Manifest

von Alice Miller

Jeder Klaps ist eine Demütigung

Zahlreiche Untersuchungen haben nachgewiesen, dass körperliche Strafen zwar am Anfang zum Gehorsam führen, aber später schwere Charakter- und Verhaltensstörungen verursachen, wenn nicht bereits aufgeklärte Menschen helfend eingreifen. Hitler, Stalin, Mao und andere Tyrannen haben als Kinder keine solchen wissenden Zeugen gekannt. Sie lernten daher sehr früh, Grausamkeiten zu verherrlichen und den später verübten Mord an Millionen zu rechtfertigen. Millionen, die auch mit Gewalt erzogen wurden, halfen ihnen dabei.

Kinder dürfen nicht länger als legales Ventil für aufgestaute Affekte benutzt werden. Die Meinung, dass milde Strafen – Klapse – harmlos seien, wird bei uns noch oft verteidigt, weil wir sie in unserer Kindheit sehr früh übernommen haben, genau wie unsere Eltern. Sie half dem geschlagenen Kinde, sein Leiden zu bagatellisieren. Doch der Schaden zeigt sich gerade in der weiten Verbreitung dieser Behauptung, die dazu geführt hat, dass in jeder Generation Menschen durch Schläge gedemütigt wurden und dies sogar für normal und richtig erachteten.

Als das Gesetz über das Verbot körperlicher Strafen 1977 in Schweden eingeführt werden sollte, waren noch 70% der befragten Bürger dagegen. 1997 waren es nur noch 10%. Diese Statistik zeigt, dass sich innerhalb von nur 20 Jahren die Mentalität der Bevölkerung stark verändert hat. Ein destruktiver Brauch konnte mit Hilfe der neuen Gesetzgebung abgelegt werden. Vor zehn Jahren wurde das Gesetz auch in Österreich verabschiedet, und später haben sich auch andere europäische Länder dieser Entscheidung angeschlossen. Heute ist es u.a. auch in Deutschland, Irland, Norwegen, Dänemark, Litauen, Israel und auf Zypern verboten, Kinder zu schlagen. Natürlich muss eine solche Deklaration von intensiver, ausgedehnter Informationstätigkeit begleitet werden.

Das auf europaweiter Ebene geplante Züchtigungsverbot soll nicht eine kriminalisierende, sondern eine schützende und informative Funktion für die Eltern haben. Eltern, die das Gesetz missachten, sollten vom Gericht dazu verpflichtet werden, sich das fehlende Wissen über die Folgen der körperlichen Strafen anzueignen. Ähnlich wie ein Autofahrer vom Staate dazu verpflichtet ist, die Verkehrsregeln zu kennen und seine Kenntnisse vor Experten nachzuweisen. Informationen über die schädigende Wirkung der “harmlosen Klapse” müssten überall verbreitet werden, weil die unbewusste, ahnungslose Erziehung zur Gewalt sehr früh beginnt und oft ein Leben lang wirksam bleibt.