Abbruch der Schweigemauer
Auszug
Adolf Hitler – Von Seelenmorden an Kindern zur Vernichtung
ganzer Völker
“Was für ein Glück für die Regierenden, daß die Menschen nicht denken.”
(Adolf Hitler, zitiert nach Joachim Fest, Hitler, 1973)
Kann man sich im heutigen Deutschland immer noch der Einsicht entziehen,
daß es ohne Kindesmißhandlungen, ohne Erziehung zum blinden
Gehorsam mit Hilfe von Gewalt keinen Hitler und keine Hitler-Anhänger
gegeben hätte? Also auch keine Millionen von Ermordeten? Vermutlich
hat sich jeder denkende Mensch der Nachkriegszeit einmal die Frage gestellt:
Wie konnte es dazu kommen, daß sich ein Mensch eine gigantische
Todesmaschinerie ausgedacht hat und Millionen Helfer fand, um sie in Gang
zu setzen?
Das Monster Adolf Hitler, der millionenfache Mörder, der Meister
der Zerstörung und des organisierten Irrsinns, ist nämlich nicht
als Monster auf die Welt gekommen. Er wurde weder vom Teufel auf die Erde
geschickt, wie die meisten meinen, noch wurde er vom Himmel gesandt, um
in Deutschland “Ordnung zu schaffen”, dem Land Autobahnen zu
schenken und es von der Wirtschaftskrise zu erlösen, wie mancher
heute noch denkt. Er wurde auch nicht mit “destruktiven Trieben”
geboren, weil es die gar nicht gibt. Unser biologischer Auftrag heißt,
Leben zu erhalten und nicht zu zerstören. Die Destruktivität
eines Menschen ist ihm niemals angeboren, die vererbten Anlagen sind weder
gut noch böse. Wie sie eingesetzt werden, hängt vom Charakter
ab, der sich im Leben bildet und dessen Art durch individuelle Erfahrungen,
vor allem in Kindheit und Jugend, und die späteren Entscheidungen
des Erwachsenen bestimmt wird.
Hitler kam, wie jedes Kind, unschuldig zur Welt, wurde von seinen Eltern,
wie viele Kinder damals, destruktiv erzogen, und später hat er sich
selbst zum Monster gemacht. Er war Überlebender einer Vernichtungsmaschinerie,
die im Deutschland der Jahrhundertwende “Erziehung” genannt
wurde und die ich als das verborgene KZ der Kindheit bezeichne, das nie
erkannt werden darf.
Wie dieses verborgene Grauen in seinem Reich zum manifesten Grauen wurde,
habe ich sehr genau in meinem Buch Am Anfang
war Erziehung und in meinen anderen Büchern, zum Beispiel
in Das verbannte Wissen und Der
gemiedene Schlüssel, beschrieben. Dort findet sich auch die
genaue Beweisführung für all das, was ich auf den folgenden
Seiten lediglich skizzieren will.
Jedes mißhandelte Kind muß erlittene Mißhandlungen,
Verwahrlosungen und Verwirrungen total verdrängen, um nicht zu sterben,
weil der kindliche Organismus das Ausmaß dieser Schmerzen nicht
verkraften könnte. Erst dem Erwachsenen eröffnen sich andere
Möglichkeiten, mit seinen Gefühlen umzugehen. Wenn er diese
Möglichkeiten nicht nutzt, kann sich die einst lebensrettende Funktion
der Verdrängung in eine gefährliche, zerstörerische und
selbstzerstörerische Macht verwandeln. In Karrieren von Despoten,
wie denen Hitlers und Stalins, können die einst unterdrückten
Rachephantasien zu destruktiven Aktionen von unbeschreiblichem Ausmaß
führen. Dieses Phänomen kommt im gesamten Tierreich nicht vor,
weil kein Tier als Junges von seinen Eltern zur perfekten Verleugnung
seines Wesens dressiert wird, um ein “anständiges Tier”
zu werden. So zerstörerisch agieren nur Menschen. Kindheitsbeschreibungen
von NS-Verbrechern, aber auch von Freiwilligen des Vietnamkrieges haben
bestätigt, daß die ahnungslose Programmierung zur Destruktivität
immer mit einer brutalen Erziehung zu
unbedingtem Gehorsam und der totalen Mißachtung des Kindes begann.
Der Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß zum Beispiel hat seine
Kindheit selber treffend charakterisiert, allerdings, ohne in ihr die
Wurzeln seiner Unmenschlichkeit zu sehen (vgl. R. Höß, Kommandant
in Auschwitz, München 1963):
“Ganz besonders wurde ich immer darauf hingewiesen,
daß ich Wünsche oder Anordnungen der Eltern, der Lehrer, Pfarrer
usw., ja aller Erwachsenen bis zum Dienstpersonal unverzüglich durchzuführen
bzw. zu befolgen hätte und mich durch nichts davon abhalten lassen
dürfe. Was diese sagten, sei immer richtig. Diese Erziehungsgrundsätze
sind mir in Fleisch und Blut übergegangen.”
Kindliche Regungen, Empfindungen und Gefühle zu unterdrücken,
ist Mord an der Seele des Kindes. Das Töten hat Höß als
Junge früh an sich selber erfahren und gründlich gelernt. Er
wartete nur etwa dreißig Jahre lang, bis das Regime ihm Gelegenheit
bot, das Erlernte nun seinerseits anzuwenden.
Genauso funktionierten Tausende seiner Zeitgenossen. Anstatt das verbrecherische
Tun der Eltern aufzuzeigen und zu verurteilen, hatte man es durchwegs
gelobt und verteidigt. Wenn das Bewußtsein über die Absurdität
und Gefährlichkeit brutaler Erziehung schon bestanden hätte,
wären keine Monster wie Höß möglich gewesen. Die
Bereitschaft zum blinden Gehorsam und die Nachfrage nach einem Mann wie
Hitler wären dann in Deutschland einfach nicht vorhanden gewesen.
Die jungen Menschen in Mittel- und Osteuropa, die Ende der achtziger Jahre
auf die Straße gingen, um gegen die Lügen ihrer Regierungen
zu protestieren und mehr Freiheit zu verlangen, haben in ihrer Kindheit
zweifellos Alternativen zum blinden Gehorsam und zur Heuchelei kennengelernt.
Das bewiesen sie bereits durch die Tatsache, daß sie fähig
waren, für ihre Rechte einzustehen, ohne ihrer Sache durch blinde,
unkontrollierte Destruktivität zu schaden, wie es die Terroristen
der sechziger Jahre taten, deren Erziehung vollständig vom Geist
der “Schwarzen Pädagogik” durchdrungen gewesen war. Für
ihre angeblich menschenfreundlichen Ziele hatten diese, wie einst ihre
Eltern, brutale Gewalt als Mittel gewählt. Die demonstrierenden Jugendlichen
der achtziger Jahre waren in der Lage, den Terror des Stalinismus, dessen
Lebensfeindlichkeit, Verlogenheit und Hohlheit zu entlarven – all das,
mit dem sich ihre Eltern und Großeltern noch so gut arrangierten
-, weil sie als Kinder etwas mehr Freiheit und Ehrlichkeit kennenlernen
durften als die ältere Generation. Um unter Unfreiheit bewußt
zu leiden, muß man einen Begriff davon haben, was Freiheit und Achtung
des Lebens eigentlich sind.
Wer dies niemals erfahren hat, wer als Kind nur extreme Gewalt, Brutalität
und Heuchelei kannte und ihr ausgeliefert war, ohne je einem einzigen
“helfenden Zeugen” begegnet zu sein, demonstriert nicht für
die Freiheit. Der fordert Ordnung mit Hilfe von Gewalt, genauso wie er
als Kind gelernt hat: Ordnung und Sauberkeit müssen sein, um jeden
Preis, vor allem um den Preis des Lebens. Die Opfer einer solchen Erziehung
brennen darauf, mit anderen zu tun, was ihnen einst selbst widerfahren
ist. Und wenn sie keine Kinder haben oder wenn sich diese ihrer Rache
entziehen, marschieren sie für neue Formen des Faschismus. Der Faschismus
hat im Grunde immer dasselbe Ziel: Wahrheit und Freiheit zu vernichten.
Die als Kinder Mißhandelten, die diese Qualen durchweg verleugnen,
benutzen jeweils zeitgemäße Etiketten und Parolen und stoßen
damit bei ihresgleichen auf Zustimmung, weil sie dazu beitragen, auch
die Wahrheit der anderen zuzudecken. Die perverse Lust an der Vernichtung
von Leben, die sie als junge Menschen an ihren Eltern beobachtet haben,
brennt in ihnen. Sie sehnen sich seit langem danach, auf der anderen Seite
zu stehen, Macht zu besitzen und dies – wie Stalin, Hitler, Ceausescu
und andere es getan haben – als Erlösung für andere auszugeben.
Diese alte Sehnsucht aus der Kindheit bestimmt ihre politischen “Meinungen”
und Reden, die deshalb politischen Gegenargumenten kaum zugänglich
sind. Vernunft muß gegen solchen Verfolgungswahn machtlos bleiben,
solange sie dessen Wurzeln, die in realen Bedrohungen aus der Kinderzeit
liegen, verkennt oder sie ignoriert. Der unbewußte
Zwang, verdrängte Verletzungen zu rächen, ist stärker als
jede Vernunft. Einsicht in Argumente ist von einem Verirrten, der
aus permanenter Panik handelt, nicht zu erwarten. Aber man muß sich
vor ihm schützen.
Es ist der Zugang zur Wahrheit, der uns ermöglichen wird, diese Menschen,
die sich nach der “Ordnung” durch Gewalt sehnen, daran zu hindern,
ihre zerstörerischen Pläne auszuführen. Sobald die Gesellschaft
das bereits bestehende und nachgewiesene Wissen über die Produktion
von Brutalität, Gewalt und Menschenmißachtung in der Kindheit
nicht mehr leugnet und deren Gefahren nicht mehr bagatellisiert, hat der
Faschismus ausgespielt, dann hat er in dieser Gesellschaft keine Chancen
mehr.
Es genügt nicht, den Stalinismus oder den Nationalsozialismus als
Lügen zu entlarven. Solange nicht erkannt wird, welchen Umständen
sie ihre Erfolge verdankten, können diese oder ähnliche Lügen
mit dem jeweiligen Zeitgeist angepaßten Verbrämungen weiterleben
oder neu aufleben, weil der Faschismus eine Haltung ist, die die verborgene
Geschichte der Zerstörung an die Oberfläche schwemmt.
In seinem Wesen wird er weder von ökonomischen noch von politischen
Verhältnissen bestimmt. Lange wurde der Erfolg Hitlers mit der katastrophalen
Wirtschaftslage der Weimarer Republik “erklärt”. Träfe
dies zu, wäre es ganz unverständlich, daß so viele Sowjetbürger
trotz größter ökonomischer Not Gorbatschows Politik begrüßten
und sagten: “Endlich, endlich dürfen wir die Wahrheit sagen
und sehen. Das läßt sich mit keinem Geld bezahlen, das kann
man nicht kaufen, aber ohne die Wahrheit kann man auf Dauer nicht leben.
Sie ist wie Luft, die man zum Atmen braucht.”
Es genügt nicht, die Oberfläche zu sehen und sie zu beschreiben.
Die Produktion der paranoiden Verwirrungen
in der Kindheit muß erkannt und unmöglich gemacht werden. Eine
klare Gesetzgebung, die die Kindesmißhandlungen eindeutig als Verbrechen
verurteilt, wäre ein entschiedener Schritt zur Prophylaxe (vgl. unten,
Kapitel III,2.).
Der Zugang zur Wahrheit unserer eigenen Geschichte läßt uns
auch klar erkennen, daß das, was einige destruktive und verwirrte
Menschen verwirklichen wollen – mag es für viele mit ähnlichem
Schicksal noch so verführerisch klingen -, im Grunde nichts anderes
ist als die Hölle, der sie einst selbst entkommen sind: die Hölle
des Zynismus, der Arroganz, Brutalität, Zerstörungswut und Dummheit.
Sie sind dieser Hölle dank ihrer Verleugnung entkommen, mit dem brennenden
Wunsch, endlich Rache dafür zu üben.
Kann man nicht mit diesen Menschen sprechen? Ich meine, daß man
es auf jeden Fall immer wieder versuchen muß, weil es möglich,
ja sogar wahrscheinlich ist, daß man ihnen mit diesem Versuch zum
erstenmal die Chance gibt, einem “wissenden Zeugen” zu begegnen.
Wie sie mit dieser Begegnung umgehen, entzieht sich unserem Einfluß,
aber zumindest diese Chance sollten wir nutzen. Das Leben ist sie ih