Abbruch der Schweigemauer

Abbruch der Schweigemauer

Hoffmann und Campe 1990, 3. überarb. Aufl. 1996;
Suhrkamp TB 3497, revidierte Neuauflage 2003

Die Abhängigkeit des kleinen Kindes von seinen Eltern, sein Vertrauen zu ihnen, seine Sehnsucht danach, geliebt zu werden und lieben zu dürfen, kennen keine Grenzen. Diese Abhängigkeit auszubeuten, das Vertrauen zu missbrauchen, die Sehnsüchte zu betrügen und zu verwirren und dieses Verhalten als Erziehung “zum Besten des Kindes” auszugeben, bezeichnet Alice Miller als gefährliches Tun, das täglich aus Ignoranz und der Weigerung, diese aufzugeben, begangen wird. Welche Folgen eine solche Heuchelei für ganze Völker haben kann, demonstriert die Autorin exemplarisch am Beispiel des Tyrannen Nicolae Ceausescu, der das verdrängte Elend seiner Kindheit Millionen von Menschen aufgezwungen und als Heil für Rumänien ausgegeben hat.

Hoffnung für erwachsene Menschen, die unter ihren verdrängten Kindheitserfahrungen leiden oder neues Leiden verursachen, sieht Alice Miller nur dann, wenn ihre Notsignale von ihnen selbst und der Gesellschaft endlich gehört werden, wenn die Mauer des Schweigens über die Leiden der Kindheit endgültig abgebrochen wird – in den Medien, in der Psychiatrie und Psychotherapie, in der Politik und der Kirche. Unabdingbare Voraussetzung der Heilung ist dabei die Erfahrung der Wahrheit, die allein den Menschen helfen kann, “die Geschehnisse ihrer Kindheit zu erkennen und deren Folgen aufzulösen, damit sie ein bewusstes, verantwortungsvolles Leben führen können. Denn Menschen, die wissen und fühlen, was in ihrer Kindheit geschah, werden niemals sich selbst oder andere schädigen wollen.”

Leseprobe.