The Trap of Pretence
Wednesday August 29, 2007
Dear Ms. Miller,
I’m reading “Sandra”‘s story (“something ventured, something gained”) and I feel there is something wrong with it. Is it OK that I say so? I will start with myself: I had my own experience with my mother, and I wrote to you about it. My mother has “changed”, I wrote to you. This creates confusion – other readers write about it, too. You wrote to me that I need not be angry at my mother the way she is today. I think there is more: I think you believed that my mother really changed too easily. You are a parent that, with unusual courage, took the painstaking path of real, authentic change. How many people actually do that? Unfortunately, very few. I am afraid many of us who think our parents changed are, once again, living in illusions.
As Ms. Miller rightly comments in her FAQ list, the therapist “will need therapy herself, and this shouldn’t be your job…” – so will your mother and father: they will not change overnight, and if they seem to – don’t believe it! Why am I saying that? Because many of the “liberal” and “new-age” parents pretend to understand their children and they give them fake empathy when confronted with the truth. They are afraid to lose their children. The new, assertive child who is now a strong, somewhat intimidating healthy young man, intimidates the old woman, his mother. In his anger she recognizes her angry father, who comes to punish her, and she becomes submissive. She says “the right things” and pretends to feel compassion. This is the usual course of matters with the more “sophisticated”, “new-age”, and highly-manipulative parents. This is NOT real change in the parent. These parent buy their children’s cooperation empty words and gestures. They cheat their children into loving them again. The problem starts when you believe they changed, like I did.
Right until the end of the conversation between Sandra and her father, the father utters outrageous remarks, e.g. when talking about sexual abuse he says: “I just caressed you, and you liked it” [italics mine], and later: “your openness and your willingness to play along, your enthusiasm, all tempted me into touching you” [again my italics]. These remarks are chauvinistic, humiliating, untolerable. How can you sit at the same table with a person that talks to you like that? I would spit in this “father”‘s face and leave, if I were Sandra – or does this show I’m badly educated? Sandra maintains a relatively calm, “rational” facade, she continues to talk to her father. She suppresses her rage. She tries hard to convey her feelings to this heart-frozen man. She is again trapped in the drama of the gifted child, without knowing it.
At the end of the conversation, there is a dramatic and unexpected shift in the father’s attitude. Suddenly, he apologizes for being so blind. What happened? Is this some king of miracle? This is exactly what happened to me when I confronted my mother head-on. I believed it was real, and I wrote to Ms. Miller about it, and I guess everyone were satisfied: some parents are different. They do change. What a relieving experience.
In the last weeks my mother made some outrageous remarks about my childhood, and this time I listened to my feelings: I understood that it was very naive of me to believe that my mother really changed. What evidence did I have? Did I cure my mother of her blindness with my honesty? No. Did the therapy she started cure her? Probably not. But I was was so eager to believe she changed, to believe her pretense. I was becoming more and more confused.
It seems that Sandra also thinks that her father is genuine in his regret. However from what he said in the beginning it is clear that he cannot understand at all what he has done wrong. To really understand it, one needs empathy. Without it, one’s apologies are empty and misleading. Could the father suddenly develop empathy in the course of one conversation? In the course of several conversations?
Personally, my mother’s great manipulative talent created enormous CONFUSION for me (I wrote to Ms. Miller about it on Aug. 6). In effect, this confusion blocked the healing because I was again believing a lie. I would like to warn the readers of your site of this danger:
Real gold is hard to find, my friends. Be suspicious. I urge you to observe closely and critically the genuineness and authenticity of your parents’ statements: do not fall into the trap of pretense. If it looks too good to be true, it probably is.
N., Israel.
AM: Thank you so much for your letter. I am happy for you that you no longer cling to the illusion you so clearly describe: that the abusive mother totally changed. I agree with everything you are saying here. You really got it. For the new German edition of Paths of Life I wrote an Afterword that I am copying you here into my answer because it confirms exactly how right you are in what you are writing. The text is not yet translated into English, but I hope that someone can translate it for you if you don’t read German.
Nachwort 2007
Bei der Redaktion der Taschenbuchausgabe entschloß ich mich, eine der sieben Falldarstellungen herauszunehmen, nachdem ich von der Protagonistin Einzelheiten über die Fortsetzung ihrer Geschichte erfahren hatte. In der gebundenen Ausgabe von Wege des Lebens (1998) erzählt eine erwachsene Tochter, die ich dort »Sandra« nenne, mit Stolz, daß es ihr gelungen sei, ihren alten Vater zu besuchen und ihn, ohne starke Emotionen, mit der Tatsache zu konfrontieren, daß er sie als sehr kleines Kind sexuell mißbraucht hatte. Sie war stolz, daß sie sich nicht von starken Gefühlen hatte hinreißen lassen und ihm in aller Ruhe sagen konnte, was sie in ihrer Therapie herausgefunden hatte. Da der Vater die Tatsachen nicht leugnen konnte, versprach sich Sandra eine totale Genesung von ihren Restsymptomen.
Doch zu ihrem Erstaunen verstärkten sich diese Symptome bereits nach wenigen Jahren. Zugleich tauchten neue Erinnerungen und quälende Träume auf, die ihr von einem extremen Sadismus ihres Vaters erzählten, der ihr bislang verborgen geblieben war. Nun fühlte sie sich durch das joviale »Geständnis« ihres Vaters um ihre ganze Wahrheit betrogen und wurde von einem starken Zorn überwältigt. Es war der Zorn des kleinen Mädchens auf den allmächtigen Vater, der es schon zu Beginn ihres Lebens für seine pädophile Sexualität geopfert hatte. Ihre nun erwachten intensiven Gefühle, Träume und Körperempfindungen zeigten ihr einen Mann, der nichts zu tun hatte mit dem wohlmeinenden Vater, den sie in Toronto getroffen hatte und der so leicht seinen Mißbrauch zugeben konnte. Er wußte vermutlich damals, daß Sandras Erinnerungen nur einen Teil der Wahrheit enthielten. Er spielte also weiter den gönnerhaften, netten Papa, an dessen Ehrlichkeit sie so gerne hatte glauben wollen. Daß er nicht ein einziges Zeichen der Empathie für sein kleines Kind in ihrem Gedächtnis hinterlassen hatte, fiel ihr erst jetzt auf.
Erst diese so lange zurückgehaltene, unbändige Wut befreite die erwachsene Sandra von ihrer Idealisierung des Vaters und ihrer »Liebe« zu ihm. Sie konnte endlich das Mitleid mit ihm fallen lassen, das sie seit der Kindheit als Zeichen ihrer Großzügigkeit in sich kultiviert hatte. Nun durfte sie die dem kleinen Kind zugefügte Grausamkeit endlich in vollem Umfang wahrnehmen und wurde frei von ihren Migräneanfällen und ihrer Schlaflosigkeit.
Mein Buch Wege des Lebens war bereits publiziert, als ich von dieser Entwicklung erfuhr. Inzwischen lernte ich aus der Leserpost auf meiner Webseite, daß sehr viele Frauen die Bindung an ihre Väter nicht aufgeben können, auch diejenigen nicht, die sehr klar darüber berichten, daß sie von ihnen brutal geschlagen und erniedrigt wurden. Sie leiden manchmal sogar an Multipler Sklerose oder an Fibromyalgie, also an chronischen Schmerzerkrankungen, die auf die Schläge der Eltern und die unterdrückte Wut des Kindes hinweisen, und halten dennoch unbeirrt an der Idee fest, daß sie die Eltern lieben und von ihnen geliebt werden. Das Zulassen und Ausdrücken der Wut hätte in der Kindheit die schlimmsten Strafen nach sich gezogen oder die totale Verlassenheit bedeutet, und diese Angst vor solchen Folgen wirkt noch in den erwachsenen Kindern. Doch sobald sie einsehen können, daß sie heute nicht mehr in Gefahr sind, gelingt es ihnen, die Situation des kleinen Kindes zu verstehen und gegen die einst erlittene Grausamkeit innerlich zu rebellieren, statt sie immer noch »großzügig« zu tolerieren. In der Regel fühlt sich dann der Körper entlastet und braucht die Symptomsprache nicht mehr.
Es wurde mir damals bald klar, daß ich mich durch Sandras Wunsch dazu habe verführen lassen, wie viele Therapeuten zu denken, daß ein »gutes« Gespräch mit den Eltern zur Heilung der frühen Verletzungen beitragen könne. Heute, nach neun Jahren, muß ich das bezweifeln. Denn auch wenn Sandras Vater sie nicht irregeleitet hätte, auch wenn er seine sadistischen Spiele ehrlich zugegeben hätte (was sehr selten vorkommt, wenn überhaupt), hätte er ihr ihre Arbeit nicht abnehmen können. In meinem Buch Dein gerettetes Leben (2007) habe ich beschrieben, wie ich diese Arbeit, diesen inneren Prozeß verstehe. Die Realität der Kindheit läßt sich nicht auflösen. Auch wenn sich die heutigen Eltern in Engel verwandeln würden, die Erinnerungen an ihre Taten, ihren Haß, ihre Ablehnung bleiben im Körper ihrer Kinder als gespeichertes Wissen zurück, und es bleibt diesen erwachsenen Kindern die Aufgabe, sich von ihnen zu befreien, nicht durch Vergessen, nicht durch Vergebung, sondern durch das Zulassen der eigenen logischen Reaktion auf Folter, des Erlebnisses der Wut, die man sich so lange verboten hat. Erst wenn diese erlebt und verstanden wurde, kann sich der Körper von der Last befreien, die er oft ein Leben lang tragen mußte, um uns zu der so lange verleugneten Wahrheit zu führen. Die Medikamente waren nicht in der Lage, diese Wahrheit aufzudecken, sie halfen sie zu verschleiern, oft über Jahrzehnte, ohne eine Heilung zu bewirken.
Wie Sandra weigern sich die meisten von uns mit aller Kraft zu glauben, daß Eltern ihre kleinen unschuldigen Kinder grausam behandeln können, auch wenn die Presse uns täglich über furchtbare Fakten informiert. Doch gerade diese Weigerung führt zur Verklärung der eigenen Kindheit und damit zur unbewußten Wiederholung der Grausamkeit. Nur der Mut, die Wahrheit zuzulassen, hilft uns, unsere Blindheit aufzugeben und unseren Kindern das gleiche Schicksal zu ersparen.