Angebliche Liebe
Saturday 16 June 2007
Liebe Frau Miller,
vor einer Weile habe ich all ihre Bücher verschenkt, die ich mir gekauft und oft gelesen hatte. Weil ich ihre Bücher jetzt nicht mehr brauche, denn ich hab endlich emotional verstanden, was ich bei Ihnen gelesen habe. Ich habe verstanden, dass meine Mutter mich wirklich nicht geliebt hat, auch wenn sie immer davon gesprochen hat, weil ihr strenges Gewissen ihr nicht erlauben würde, ihren tiefen Haß und Neid auf die Lebendigkeit ihrer Kinder zu fühlen. Endlich wird mir mein großer Zorn und die ungeheure Wut auf meine Mutter völlig verständlich. Dies ist die Reaktion auf ihre mir unbegreifliche Ablehnung, die sie aber immer wieder verleugnet hat. Und ich habe es verzweilfelt glauben wollen. Aber sie kann bloß schön reden! Nicht fühlen! Dabei muß ich bloß hinschauen, und ich sehe, daß diese Frau keine echte Liebe empfindet, und ich mich meine ganze Kindheit verzweifelt nach der Liebe, der Zuwendung und dem Schutz einer gefühllosen Frau gesehnt habe. Noch immer schützt sie ihre eigene Mutter, die kalt und grausam ist, und eigentlich ganz offensichtlich niemanden liebt (auch wenn ihre entsetzten Kinder das nicht wahrhaben wollen). Für mich ist es solch eine Befreiung die Wut auf meine Mutter zu spüren, die ich mir nie wirklich erlauben durfte, weil mich meine Mutter offiziell ja liebt. Das tut sie nicht, und sie hat es noch nie getan. Sie hat mich nie vor meinem Vater beschützt, ihre Augen haben nie vor Freude geleuchtet, wenn sie mich gesehen hat, sie hat nicht mit mir gekuschelt, sie hat sich nicht gefreut, daß ich ein Mädchen bin, sie hat mich nicht gestillt, sie hat mich nach meiner Geburt 4 Wochen allein im Krankenhaus gelassen (wo ich zwischen Leben und Tod schwebte), sie hat meine Wut nie akzeptiert, oder gar als Reaktion auf tiefe Verletzungen, die sie verursacht hat begriffen, sie hat MICH NIE GESEHEN.
Diese Frau hat meine volle Wut verdient! Und wissen Sie, ich denke, meine Mutter ist längst zu einem Zombie geworden, von dem kleinen gequälten Mädchen, das sie mal war, ist nichts mehr da. Und diesem Zombie werde ich nicht meine wahren Gefühle opfern. Ob sie das kleine Mädchen in sich befreit, ist ihre Sache, aber ich werde nicht mehr ihre Verdrängung bestätigen, indem ich ihr ihre angebliche Liebe abnehme.
Liebe Frau Miller, vielen vielen Dank für Ihren Kampf um Ihr eigenes inneres Kind, den sie mit anderen Menschen geteilt haben, mit mir, und mir damit geholfen haben, meinen eigenen Kampf zu führen.
Liebe Grüße,
A. K.
AM: Es ist sehr qualvoll an Liebe glauben zu müssen, wenn man genau spürt, dass die Versicherungen der Liebe verlogen sind, weil die Fakten die Lüge aufdecken (vier Wochen allein im Spital z.B.). Ein Kind kann sich nicht leisten, dieses Spüren wahr zu nehmen und es für wahr zu halten. Aber als Erwachsene haben Sie diesen Schritt gewagt, und nun brauchen Sie meine Bücher nicht mehr, das scheint mir ganz folgerichtig und logisch. Ich freue mich mit Ihnen, dass es Ihnen gelungen ist, Ihre Gefühle ernstzunehmen.