Wunderbar

Wunderbar
Friday 01 February 2008

Liebe Alice Miller,

wenn ich an dem zweifle, was geschah, lese ich meinen Lesebrief mit Ihrer Antwort darauf. Vielen Dank.
Sehr oft denke ich an Sie, erzähle Ihnen etwas. Ich kaufte mir Ihr Bilderbuch. Diese lebendigen und lauten Farben zischten und schrieen nur so aus den Seiten. Ich habe Ihre Wahrheit gesehen, eine essentielle Kraft, ein Fundament…. Ihre Gesichter haben mich inspiriert, ich nahm mein Kinderfoto von kleinem Mädchen mit ganz ganz tiefen Augen, die in der Weite etwas Hoffnungsvolles sahen. Ich malte dieses Foto ab und ließ auf der Staffelei tagelang stehen….wir unterhielten uns wortlos. Diese Augen! Ich war damals ca. 2 und jetzt erkenne ich mich auf diesem Foto und dem Bild wieder, ich erkenne mich! Es ist so wunderbar, vor allem, weil ich mich so oft nicht im Spiegel erkannte….
Sie sind eine bewegende Malerin!

Mit „Du sollst nicht merken“ habe ich mich sehr gestärkt, und meine Psychotherapie, trotz zerreißenden Schuldgefühlen, Angst und Verwirrung nach ca. 40 Stunden beendet!
Es war so schwer, dass ich nicht mal mich getraut habe zu merken, das diese mich wortwörtlich ausgebremst und fast in eine Sackgasse verführt hat… Und ich fragte am Anfang die Therapeutin, ob sie Sie gelesen hat. Sie nickte. Und verdammt! Ich merke jetzt, wie ich bereits Jahre lang damit beschäftigt war, in einer leeren Schachtel, nach einer großzügigen, nahrhaften Mahlzeit zu suchen. An meine Dummheit zu glauben versuchte, wenn ich nichts finde, was doch da sein sollte! Die Augen, die mich fassungslos anstarren, wollen doch mir nur helfen, hinweisen.
Ja, die Therapeutin starrte mich an, es war bekanntes Bild, dass mir wohl gewisse Sicherheit gab. Ihre Sprachlosigkeit bemängelte ich, daraufhin antwortete sie genervt, dass ich manchmal so mich ausdrücken würde, dass es da nichts dazu zu sagen gäbe.
Das furchtbare für mich war, dass ich sie, wie meine Mutter, mit meiner Lebendigkeit und Fröhlichkeit erwärmte! Sie hörte meine Theorien, wir unterhielten uns wie auf einer Fachtagung, sie kaufte sich Bücher, die ich empfohlen hatte, sogar 2 von Ihnen!
Und dann griff sie mich an! Wie aus heiterem Himmel! Meine Rosawolke war weg, und ich saß in kaltem, lieblos zusammengewürfeltem Raum, vor einer grauen Person, die in einer Kampfhaltung vor mir saß.
(Zwei Tage zuvor brach sie vor mir in Tränen aus! Ich hatte etwas von gegenwärtigen Situation erzählt, die mich belastete, zugleich sah ich wichtige Botschaft, die etwas über meine Kindheit verrat: ich suchte vergeblich und zwanghaft nach einer Menschengruppe, die mich als ein geliebtes, verschollenes und endlich gefundenes Familienmitglied begrüßen würde! Aber genau von dieser Botschaft hat sie mich abgelenkt! Ich holte sie von 0815 Auslegungen, die sie mir immer zur Ende der Stunde vortrug, ab und sagte, dass ich mich „so“ zwanghaft verhalte, weil mich niemand aus meiner „Familie“ willkommen hieß. Sie fing an zu weinen, als ob sie aus einem hohen Baum ins elende, blutige Dreck meiner Kindheit gefallen wäre. Ja! Die ganze Zeit stand ich dadrin, und sie antwortete mir aus ihrem Baum, und verwies mich in ferne Horizonte. Dann zog ich sie einfach runter, und nun heulte sie, aber es war ihr Schmerz, meins hat sie nicht verstanden….
Ich tröstete sie, erklärte, dass sie ihre Kindheit doch nicht verarbeitet hat, obwohl sie mir das mehrmals betont hatte.)
Es war Hölle für mich, diese Beziehung zu beenden, in o.g. Buch fand ich das nötige Werkzeug, um mich zu unterschtützen! Es war so schwer, weil diese Person doch so viele Eigenschaften mit meiner Mutter teilte…. Ich wollte auch sie fröhlich machen, bei Mutter habe ich ja „versagt“.
Ich musste sogar nachschauen, es sind lediglich 2 Monate vergangen, aber ich konnte mich so sehr entwickeln, ich musste mich nicht ausbremsen, keine Umwege mehr streifen!
Danke, Frau Miller! Es ist eine lebendige Zeit, die ich seit 2 Jahren lebe, ich mach einen Entwicklungsschub nach dem anderen. Ich spreche nicht mehr von meinem Weg, sondern von meiner Entwicklung- ich muss doch nirgendwo mehr hin, ich bin nicht mehr heimatlos.

Ganz lieber Dank an Barbara:
Ihr „Liebesbrief an meinen Ärger“ hat meine Kräfte mobilisiert, mich gestärkt und unterstützt.
Es tat so gut, mich selbst von dem Pranger zu befreien. Ich bin nicht böse, wenn ich mich nicht missbrauchen, gebrauchen und verbrauchen lasse! Nein, die waren böse, nicht ich, als ich mich wehrte! Die Blutsauger, die Hautfresser! Aber ich hatte mich oft gewehrt, wenn ich offen angegriffen wurde, ich habe die angeschrieen, denen Spiegel vorgehalten. Daher wurde ich bereits als Grundschülerin von zu Hause rausgeschmissen!!! Oh, nein! Meine Oma schmiss mich raus, dann ging ich mit dem, was ich auf einmal tragen konnte (nicht mal alle Schulbücher) zwei Kilometer weit zur Mutter&Stiefvater&3Kids. Dann schmiss er mich raus, und dann ging ich zu Oma zurück, obwohl ich nicht wusste, ob sie schon „sanft“ ist. Und ich bemühte mich um ihre Gunst, um ihre Verzeihung ….
Verzeihung wofür?????!!!!!!!!!
Und dann kam mein Ärger raus! Diese Dreckslumpen, ich war nicht böse!!!

Jetzt zeigt mir mein Ärger, wenn jemand mich verletzen will! Das hat er schon immer getan, aber jetzt nenne ich ihn nicht mehr „negatives Gefühl“!

Viele liebe Grüße, M. P.

AM: Sie haben das Spiel der Therapeutin durchschaut, die Ihrer Mutter glich und die Konsequenzen gezogen. Sie ließen sich nicht mehr fangen. Und nun erleben Sie die Befreiung, das ist ganz logisch. Sie schreiben: „Ich spreche nicht mehr von meinem Weg, sondern von meiner Entwicklung- ich muss doch nirgendwo mehr hin, ich bin nicht mehr heimatlos.“ Das ist ganz wunderbar, jetzt sind Sie bei sich. Ich gratuliere Ihnen.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet