Spirituelle Heiler II

Spirituelle Heiler II
Friday 19 October 2007

Hallo Alice Miller,
vielen Dank für Ihre Antwort auf meinen Leserbrief “Spirituelle Heiler” Mittlerweile habe ich Ihr neuestes Buch gelesen. Auf Seite 33 erwähnen Sie Janis Joplin. Vor einiger Zeit habe ich eine Biografie über sie gelesen, u. a. auch deshalb, weil mich ihre Musik immer sehr stark berührt hat. All diese herausgeschrieene Verzweiflung (wohl eines ungehörten Kindes). In ihrer Biografie steht u. a., dass sie (da war sie schon wohlhabend, erfolgreich und berühmt) bei ihrer Mutter zu Hause anrief und sich aufgeregt erkundigte, ob in dem kleinen Provinzblättchen ihres Heimatortes ein Artikel über einen ihrer (legendären) Auftritte erschien. Dem war nicht so, denn Janis wurde dort totgeschwiegen. Ich habe auch gelesen, dass sie ein Interview abbrach, als ein Journalist sie nach ihrer Schulzeit fragte. Kurz vor ihrem Tod besuchte sie ein Jahrgangstreffen in ihrer alten Schule. ..Ich schreibe Ihnen, weil ich mittlerweile glaube, dass Janis Joplin (und nicht nur sie) nicht nur ihren Gefühlen davon gelaufen ist (wie Sie schrieben) sondern auch ihr “FALSCHES SELBST” töten wollte. Tragischerweise hatte so auch ihr “ECHTES SELBST” keine Chance auf ein Leben. Trotz des Auslebens ihrer Gefühle in ihrer Musik hatte sie offenbar keinen Zugang zu ihrem wirklichen Selbst. Dies zeigt m. E. deutlich, dass die bloße Artikulation von Verzweiflung, Wut u. ä. alleine nicht genügt. Ich denke, dass die Drogen (egal, welche man nimmt) den Durchbruch zur erlittenen Wirklichkeit der Kindheit nicht zulassen. Sicher hatte sie keinen wissenden Zeugen, was auch Ihre Bücher für mich darstellen. In diesem Zusammenhang fällt mir auch noch Ingeborg Bachmann ein, die mit ihren Gedichten bei vielen Menschen intensive Gefühle weckte, aberüber deren Eltern, Kindheit und Jugend verblüffend wenig Wissenexistiert. Auch soll es Briefe geben, die erst 50 Jahre(!!) nach ihremTod erscheinen dürfen. Wen wollte sie schützen und warum?

Es gibt noch etwas, dass ich mitteilen möchte: In der Zeit, als mein falsches Selbst starb, habe ich dies wirklich als Sterben erlebt. Meinaltes Ich (zumindest grosse Teile davon) sind gestorben. Das war zutiefst erschreckend und beängstigend. Kein Wunder, dass sich viele Menschen davor fürchten; aber ich habe es überlebt – für ein viel besseres Leben, MEIN LEBEN – und andere werden auch leben! Zwischen dem Sterben des alten Selbst und dem Erwachen des neuen, ECHTEN Selbst gab es eine Art NIEMANDSLAND für mich, d. h., das alte Ich löste sich auf und das authentische ICH war noch nicht geboren. Dieses NIEMANDSLAND (so nenne ich es für mich) war für mich die allerschlimmste Phase.
Ich weiss nicht, ob dies bei anderen Menschen so ähnlich abläuft – oder ob dieses Gefühl sehr speziell auf mich bezogen ist. Ich habe es auch noch in keinem Ihrer Bücher gelesen (zumindest ist es mir nicht bewusst und hoffentlich habe ich es nicht “überlesen”). Vielleicht hilft es anderen zu wissen, dass dieses Niemandsland zur einer tieferen Wandlung gehören kann- und dass diese Phase vorüber geht, um das AUTHENTISCHE ICH zu “gebären”. Und dass es sich lohnt, denn das alte Selbst muss sterben, damít das eigene Ich sich zeigen kann.
Alles Gute an alle, B. T.

AM: Danke für die interessanten Informationen!

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet