Der Schmerz
Thursday 01 January 2009
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Sehr geehrte Frau Dr. Miller,
für diese Worte aus Ihrer Antwort des Beitrages „A.Miller-Treffen“
„“..aber ich möchte nicht, dass dort meine Texte gelesen und diskutieren werden, wenn keine Person eine kompetente Begleitung gewährleisten kann. Meine Texte wecken manchmal starke emotionale Reaktionen, und es kann sehr schwierig sein, wenn nur „Interessierte“, aber nicht mit meinem Therapiekonzept vertraute Teilnehmer zusammenkommen. Ich möchte keine Verantwortung für die Folgen tragen, die ich ernst nehme““.
danke ich Ihnen. Das Sie ansprechen, das Ihre Texte manchmal starke Reaktionen wecken können – es zeigt mir, dass Sie auch diese sehr ernst nehmen. Das gibt mir persönlich ein gutes Gefühl.
Ich bin in den „Genuß“ solcher sehr starken emotionalen Reaktionen – (es waren eher Irritationen in einem Ausmaß dass ich nicht mehr wusste wem oder was ich glauben kann) – gekommen.
Mir hat ein Mensch Hilfe bei der Aufarbeitung meiner Kindheit angeboten – die ich sehr gerne in Anspruch nahm – mit verheerenden Folgen für mich und wohl für sich selbst.
Unter dieser Art Hilfe – nämlich -meine Kindheit – verstand ich, dass ich ALLES dazu sagen kann und darf, wie ich es fühle- wie es wichtig ist für mich. Mal negativ – mal positiv.
Mit „In – Frage“ stellen, eben mit allen Reaktionen, die beim „Heranführen an den eigenen Friedhof der Kindheit“ entstehen können. Dazu gehörte auch – In Frage stellen – Ihrer Bücher. Ich las Texte verstand sie – fühlte sie aber nicht. Je mehr ich mit Ihren Texten konfrontiert wurde von meinem Gegenüber – desto weniger konnte ich mich dafür öffnen.
Was ich unter anderem auch bei dieser angebotenen Hilfe erlebte – waren die ein und selbigen Schuldzuweisungen, die mir mein Vater immer wieder gab. Mein Wesen macht krank, meine Art ist anstrengend, ich nehme Luft weg, Raum zum Fühlen und Denken..etc.. – das ich nix verstehe, was mein Gegenüber fühlte. Mein Gegenüber arbeitete selbst seine eigene Geschichte auf.
Ich liess mich wieder in diese „Schulden-Falle“ drängen – die mich sehr destruktiv machte.
Mir war nicht bewusst, dass mein Gegenüber eigentlich so handelte, wie er es gelernt hatte. Ich konnte das nicht verstehen – betrachtete das als Verletzung meiner Person und wehrte mich mit Händen und Füßen.
Ich las das „Drama“ um mein Gengenüber zu verstehen – und verstand nichts. Gar nichts. Ich fühlte mich überrollt von der Geschichte meines Gegenübers – und gleichzeitig versuchte ich mit aller Gewalt meine eigene Geschichte klein-zu-reden.
Fazit war – wenn ich wirklich verstehen möchte – also mein Gegenüber – wisse ich ja in welcher Literatur ich was finden kann.
Wie um alles in der Welt sollte ich mein Gegenüber denn verstehen, wenn ich mich selbst nicht verstand? Wie konnte ich Empathie für das Leid meines Gegenübers entwickeln, wenn ich mir selbst nichts dergleichen entgegenbrachte?
Wie konnte ich nachvollziehen, dass mein Gegenüber Angst vor Nähe hat und Tendenzen zum „weglaufen“ verspürte? Wie konnte ich das nachvollziehen – wurde ich doch seit fast meiner Geburt ständig verlassen – ich musste mir doch erst mal klarmachen, dass ich an diesem VERLASSEN-WERDEN keine Schuld hatte……..und vor allem fragte ich mich – wie kann ein Mensch Hilfe anbieten, wenn er diesbezüglich – seiner eigenen wirklich schrecklichen Kindheit – vom Verstand her wohl nahe ist – aber sich (noch) nicht traut richtig zu fühlen?
Das Ende einer wohl nie gewesenen Freundschaft und derart vielen Verletzungen auf beiden Seiten – tat derart weh – öffnete mir aber auch die Augen und ermöglichte mir den Zugang zu mir – auch Ihre Bücher und Texte nicht nur vom Verstand her zu beGreifen sondern wirklich fühlen zu können. Ich muss mich allerdings langsam rantasten. Zuviel auf einmal geht nicht – da macht mein Körper nicht mit. Denn dieser leitet mich – wie es ihm gut tut.
Zu Weihnachten habe ich mir „dein gerettes Leben“ geschenkt – ich bin erst beim Vorwort -welches ich bestimmt schon zig mal gelesen habe – zuViel überflutet mich.
Ich bin anders – keine Frage – und das ist gut so -denn was ich heute sehe – war auch – den Mut haben – Logik in Frage zu stellen- überhaupt viele Fragen zu stellen um meiner Kindheit entgegenzutreten – in all ihrem Grauen.
Weiterhin habe ich eine ganz persönliche Frage – „das Heimkind erwacht“ sind Fragmente meines Lebens – einige Erinnerungen ab ca. dem 3. oder 4. Lebensjahr kommen hoch – Krankenhausaufenthalt zwecks Schienenanpassung – (ich wurde mit einer Dysmelie geboren – die Wahrscheinlichkeit, dass es bei den drei Abtreibungsversuchen dazu gekommen ist – schätze ich sehr hoch ein – ) an meinen Opa kurz vor seinem Tode erinnere ich mich – er lag im Krankenhaus – ich weiss, er war lieb zu mir – wie wichtig oder von welcher Bedeutung, ist es für meinen weiteren Weg – diese Zeit zwischen der 8 Lebenswoche bis ca 3 Lebensjahr zu „erforschen“ zu wissen, was da war – diese Heimerzieherin weiss so gut wie nichts. Es gibt niemand, der mir Fragen dazu beantworten kann.
Ich weiss sehr wohl, dass auch die Zeit im Mutterleib wichtig ist – wie Sie sehen, wurde auch dort schon Gewalt an mir ausgeübt.
Momentan erlebe ich meine Heimeinweisung mit 8 Jahren in einer Intensität die ich nicht für möglich gehalten habe. Es tut einfach nur weh – das Gefühl – eine derart große Wunde zu sein – anders kann ich es nicht beschreiben.
Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit
Herzliche Grüße S.J.
AM: Es war zu erwarten, dass schwere Zeiten auf Sie zukommen, als Sie die Illusionen plötzlich fallen ließen. Aber ich zweifle nicht daran, dass Sie sich dadurch von vielem befreit haben und diese Befreiung immer deutlich werden spüren können. Von dem angeblich geliebten zum in Heime abgeschobenen Kind gelang Ihnen ein großer, mutiger Schritt in Richtung Ihrer Wahhrheit, den Sie sicher nicht bereuen werden. Der große Schmerz dieser Erkenntnis ließ sich nicht vermeiden, aber, einmal wirklich erlebt, wird er sich mit der Zeit abschwächen und anderen Gefühlen Platz machen.