Befreiung

Befreiung
Friday 14 December 2007

Sehr geehrte Alice Miller,

Ihr neues Buch scheint für mich persönlich geschrieben. Es brachte mir die Befreiung und machte mir bewusst, zu spüren was wirklich geschehen war – den Missbrauch.
Das Entsetzen und Erschrecken über die Realität, das Erkennen der Wahrheit. Ich konnte sehen und spüren wie misshandelt mein inneres Kind war und wie es um sein Überleben gekämpft hatte. Er empfand ich Trauer, dann entstand ein tiefer Frieden. Das Wissen und annehmen wie es wirklich war, schuf Ruhe, Klarheit und innere Freiheit. Und dem bewussten Erkennen jetzt ist Frieden. Bei meiner Mutter ist der Krieg noch präsent, die Angst auch.

Wahrnehmen können wer ich bin und die Zwänge, Gewalt, Brutalität anschauen – was sich zerstörerisch Raum in meinem Leben genommen hatte und Angst machte. Ich suche schon geraume Zeit den Grund der Wahrheit in meinem Leben warum es so ist wie es ist.
Mir war nicht zugänglich was mein Körper gespeichert hat.

Die Geschichte: Zweiter Weltkrieg.
Nach den Aussagen meiner Mutter waren wir eine ganz normale Familie. Sie sagte auch Vater kam verroht aus dem Krieg zurück. Ich bekam es zu spüren. Kurz nach meinem 3ten Lebensjahr erfolgte Flucht, Vertreibung, Internierung in sechs Flüchtlingslagern. Der Transport erfolgte in Viehwaggons. Meinen 4ten Geburtstag verlebte ich zwischen Gepäckstücken , wegen der bitteren Winterkälte, im Viehwaggon. Mutter war mit meiner kleinen Schwester und mir an der Grenze zum Verhungern und derart drei Jahre unterwegs. Wir überlebten.
Meine Großmutter, die mich von Herzen liebte, wo ich heute noch ein Gefühl der Liebe und Geborgenheit, ein beschützen spüre wurde von Scharfschützen auf unserem Besitz erschossen .Meine Mutter war mit mir bereits geflohen, sie war geblieben.

Die Hypothek des Leides war mir nicht bewusst die ich unbewusst trage.
Ich erfuhr krasse Brüche im Leben, ohne die Ursache sehen zu können, nur mit der Wirkung sich arrangieren müssen. Jetzt verstehe ich langsam.

Danke, daß Sie mir das wertvolle Wissen vermittelt haben.

Glück entstand als ich vor 43 Jahren meinen neugeborenen Sohn in meinen Armen hielt.
Glücklich bin ich mit meinen kleinen Enkelinnen.

Mein Sohn leidet seit Jahren an Migräne.
Ich bitte Sie um Ihren Rat, was lässt sich tun, damit die Migräne meines Sohnes vergeht?

Mit herzlichem Dank, R I M

AM: Vermutlich hat es Sie sehr entlastet, die grauenhaften, verdrängten Erlebnisse aus der Kriegszeit, die Sie als Kind erfahren mussten, an Ihr Bewusstsein zu holen. Ob es Ihnen auch gelungen ist, zu erinnern, was Ihnen Ihre Eltern angetan haben, weiss ich nicht, darüber schreiben Sie fast nichts ausser dem Satz: „Sie (Ihre Mutter) sagte auch Vater kam verroht aus dem Krieg zurück. Ich bekam es zu spüren.“ Es wäre möglich, dass Ihr Sohn unter etwas gelitten hat, das Ihnen noch nicht bewusst ist. Ich weiss es nicht. Ich frage mich nur, warum Sie gerade mir geschrieben haben, wo Sie doch wissen, dass ich mich mit den durch die ELTERN ausgelösten Traumen beschäftige, Traumen, mit denen man vollkommen allein ist, im Gegensatz zu Kriegserlebnissen, die ein gemeinsames Schicksal sind.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet