Wie im Himmel

Wie im Himmel
Wednesday 11 October 2006

Liebe Frau Miller,
gestern habe ich mir auf DVD einen film angesehen von dem ich Ihnen unbedingt erzählen möchte. er heißt “wie im himmel” und ist von Kay Pollak. es geht um einen dirigenten, der nach einem herzinfarkt, ausgelöst durch immense emotionale spannungen und vollkommener überarbeitung, wieder in sein heimatdorf in schweden zurückkehrt.
er wurde als kind von seinen mitschülern mißhandelt. mehr von seiner kindheit wurde nicht dargestellt. auf jeden fall ist er als erwachsener sehr schräg und schrullig. emotional total verkorkst. er kehrt an und für sich in sein heimatdorf zurück um sich von dem musikgeschäft zurückzuziehen. ihm wird jedoch eine stelle als kantor vom priester angeboten und er leitet dann den chor. über die musik und die menschen findet er im laufe des film zu seinen emotionen. jeder der am chor beteiligten hat irgendein massives problem. gabriela wird von ihrem mann geprügelt und kontrolliert. die frau des priesters leidet an den zwängen ihres mannes, durch welche eine echte kommunikation mit ihm verhindert, in jedem fall erschwert wird. auch sexuell wirkt sich das aus. Lena hat einen mann nach dem anderen und ist nie wirklich glücklich.
im laufe des films kristalliert sich sehr deutlich heraus,wer von den menschen den mut hat seine eigenen emotionen zu entdecken und wer aus panischer angst in haß und rachegefühlen versinkt. es finden viele “echte dialoge” statt. viele der chorteilnehmer öffnen sich und teilen den anderen ihre tiefsten echten gefühle mit, die sie schon jahrelang mit sich herumschleppen. so klagt lena die feigheit der teilnehmer an, die schon jahrelang schweigen über die mißhandlungen von gabriela durch gabrielas mann. so eskalieren mehrer situationen wo schon jahrelang mitgeschleppete kränkungen endlich ausgesprochen werden. ein dicker mann z.b. weint und sagt wie sehr er es haßt schon jahre verspottet zu werden. ein geistig behinderter junger mann gibt zu verstehen, daß er mitmachen will. als dieser sich in einer eskalierenden situation anmacht vor angst, schreit lena die anderen an, die ihn verlachen, denn immerhin ist er ja der einzige der seine angst offen nach außen zeigt. “ist es dir noch nie passiert, daß du dich angemacht hast! schreit sie einer frau entgegen.
im laufe des films wachsen die die den mut haben sich zu öffnen zusammen und finden sich immer mehr selbst. der dirigent kann zum ersten mal in seinem leben lieben, gabriela verläßt ihren mann.
jedoch gibt es noch eine andere seite. der priester will vor lauter haß den dirigenten daniel umbringen. weil “er ihm alles weggenommen hat” fast alle im dorf fühlen sich daniel mehr hingezogen als dem priester. und als der priester aus eifersucht und panik, daniel könnte ihm seine frau und sein ansehen wegnehmen, daniel aus dem chor verbannt und ausschließt, wird der chor kurzerhand in daniels haus verlegt. fast alle verlassen die kirche. daraufhin erschießt der priester fast daniel.
die dialoge zwischen dem priester und seiner frau sind das beste an dem ganzen film. die frau sagt ihm ruhig aber entschlossen, daß sie sich schon all die jahre denkt, daß die kirche verloren ist, daß es keinen gott gibt, der schuld verteilt, daß es verlogen ist zuerst schuld auszuteilen und dann wieder “zu verzeihen”. der priester meint: sie soll gott um verziehung bitten für diese worte. sie meint “gott muß mir nicht verzeihen, weil er mich nämlich NIE VERDAMMT hat” sie holt porno hefte von einem kasten zeigt sie ihm und sagt: ich weiß schon immer, daß du diese hefte da hinten hast. sie gbit ihm zu versethen, daß er die hemmung das klammern an die angst, an die kirche ablegen soll. daß er sich sexuell hingeben soll. das passiert dann auch, danach jedoch betet der priester um verzeihung, fleht um verzeihung. danach wirft er dann bald daniel aus dem chor.
als er dies tut sagt seine frau: “du fürchtest nicht daniel. du fürchtest dich selbst. du fürchtest dich vor dem was sich in dir auftut, durch das wirken von daniel. weil daniel keine angst hat vor seinen gefühlen. dadurch kannst du deine nicht mehr verdrängen. dadurch öffnen sich deine minderwertigkeitsgefühle”.
auch gabriela sagt zu ihrem mann im gefängnis: “laß dir helfen”

eien weitere anti-daniel person ist eine frau, die zutiefst eifersüchtig ist auf lena, weil sich zwischen lena und daniel eine zarte, vorsichtige liebe zu entwickeln beginnt. sie prangert lena vor allen an, beschuldigt sie ein “leichtes mädchen” zu sein, das das nicht normal ist, daß das schlecht ist wenn “unsere kinder das sehen, wenn sie ständig von einem auto ins nächste steigt” (in wahrheit hat sie eben alle 3 jahre ca. einen neuen freund). jedoch benennt sie nicht ihre tiefe eifersucht. doch einer vom chor meint dann kurz: ich glaub, du bist einfach neidisch.

die figuren in dem film sind so sie selbst. jeder ist schrullig, jeder kämpft. kein perfektionismus, auch nicht optisch. weit entfernt von den hollywood magersucht, botox, fitneßgetriebenen, pseudo schönheiten. menschlich.

die menschen, die es schaffen zu sich zu finden, tun das jeder auf ihre eigene individuelle art. es werden dinge benannt und ausgesprochen. holprig und schrullig, aber sehr menschlich.

es gibt keine zusammenhänge die auf kindheit verweisen das nicht, aber probleme der gegenwart werden direkt benannt. menschen brechen aus mustern aus.

mit lieben grüßen
V

AM: Vielen Dank für Ihren sehr interessanten Bericht. Der Film scheint ohne Furcht zu zeigen, was geschieht, wenn Menschen anfangen zu fühlen, wie dies die anderen zum Fühlen herausfordert und manche, die es nicht wollen, zu Aggressionen treibt. Ich habe noch keinen Film gesehen, der sich in solchen Dingen bis zu Ende an die Wahrheit hält und nicht am Schluss Anleihen von der so gut bekannten Moral (oder “Spiritualität“) nimmt. Dass dieser Film keinen Bezug zur Kindheit herstellt, ist erstaunlich. Denn ohne diesen Bezug bleiben viele Gefühle unverständlich.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet