Danke Frau Miller

Danke Frau Miller
Monday 10 December 2007

Sehr geehrte Frau Miller!

Endlich habe ich mich “aufgerafft” Ihnen zu schreiben und mich bei Ihnen zu bedanken.
Bedanken für Ihren Mut und die klaren , deutlichen Worte mit denen Sie über die Misshandlungen sprechen und die Täter benennen.
“Aufgerafft” deshalb, weil ich schon viele Briefe im Geiste formuliert, aber die Erinnerungen und Gedanken, die dabei hochkamen, waren zu schmerzhaft. Heute sieht das etwas anders aus.
Ich bin übe inzwischen mehr Nachsicht mit mir selbst und ich habe gelernt mich nicht mehr selbst zu belügen. Ihre Bücher und die darin zum Ausdruck kommende Empathie, haben mir dabei sehr geholfen. Unterstützung fand ich bei meinem Mann, dem wissenden Zeugen. Im Gegenzug konnte auch ich ihm helfen mit belastenden Kindheitserlebnissen fertig zu werden.
Unseren Sohn erziehen wir gewaltlos. Wir begegnen uns in der Familie mit Achtung und Respekt.
Konflikte lösen wir konstruktiv, wenn es auch manchmal etwas länger dauert, bis wir eine Lösung gefunden haben mit der alle zufrieden sind.
Leider ist es so, dass andere Kinder nicht so erzogen werden und zu Gewalt neigen, um ihre Probleme zu lösen. Unser Sohn machte uns neulich den Vorwurf ihm nicht beigebracht zu haben, wie man Konflikte mit Gewalt beendet. Es wäre für ihn auf dem Schulhof leichter, wenn er sich nicht nur verbal sondern auch körperlich zur Wehr setzen könnte. Seither denke ich viel über diese Sichtweise nach. Was ist richtig? Ich finde keine eindeutige Antwort, außer dass man mutig zu seinen Überzeugungen stehen sollte. Nur, wie beschützt man sein Kind? Darf ich / dürfen wir zulassen, dass unser Kind unter unserer Erziehung leidet? Hinzufügen möchte ich noch, dass unser Sohn sehr sensible ist und schon als 3 jähriger körperliche Gewalt verabscheute und mutig seiner Erzieherin gesagt hat, dass sie ihren eigenen Sohn nicht an den Ohren ziehen darf. Das hat ihn nicht gerade beliebt gemacht!

Zum Schluss meines Briefes noch einmal Danke. Danke dafür, dass unser Sohn gesünder aufwachsen kann, weil seine Eltern ihre Verletzungen selbst aufgearbeitet haben und auch weiterhin wachsam bleiben, damit wir erkennen wenn uns alte Kindheitserinnerungen in die Quere kommen. Wir sind nicht perfekt, bemühen uns aber, unserem Sohn so wenig wie möglich zu schaden. Lieben tun wir ihn natürlich auch.

Mit freundlichen Grüßen, M. H.

AM: Vielen Dank für Ihren Brief. Ich spüre daraus, dass Sie von meinen Büchern profitieren konnten, und das freut mich natürlich. Es ist ein Glück, dass Sie sich mit Ihrem Mann gegenseitig unterstützen und so Ihrem Sohn die Wiederholungen Ihres Schicksals ersparen können. Ich glaube übrigens nicht, dass man mit Gewalt die Konflikte “beenden kann”. Es ist ein Zeichen der Schwäche und Hilflosigkeit, wenn man zur Gewalt greift, das lässt sich doch am Verhalten der misshandelnden Eltern leicht beobachten. Der Starke kann sich eben verbal wehren, er hat eher den Überblick und wird nicht von unbewussten, unterdrückten Kränkungen und anderen Emotionen getrieben. Auch wenn seine Worte den anderen nicht gefallen, sie müssen mit SEINEN echten Gefühlen übereinstimmen, dann kann ihm nichts Schlimmes mehr passieren.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet