Wissender Zeuge in Freiburg

Wissender Zeuge in Freiburg
Wednesday 26 March 2008

Liebe Frau Miller,
 
heute nun ist es soweit, ich möchte Ihnen persönlich für Ihre aufklärerische Arbeit in Bezug auf Ursachen und Auswirkungen von Kindesmisshandlungen danken. Was Sie zum Thema an Ansichten vertreten, kann ich als wahr in meinem bisherigen Leben bestätigen. An diesem Punkt war ich kurzzeitig auch schon nach der erstmaligen Lektüre ihrer Bücher vor ca. 4 Jahren, doch hatte ich damals noch nicht meinen eigenen Raum entfaltet und die Stärke entwickelt, das ganze Ausmaß Ihrer Botschaft zu verinnerlichen. Das ist heute anders und ich möchte Sie an meiner Freude darüber teilhaben lassen.
 
Zu meinem Weg aus dem Elend: Meine Stunde Null als Erwachsener war ironischerweise erreicht, als ich es “geschafft hatte”, wie man so sagt. In meinem Fall hieß das die erfolgreiche Promotion zum Doktor der Naturwissenschaften. Es schien, als läge mir die Welt zu Füßen, smart und angepasst wie ich war…und dann fiel ich (zu dem Zeitpunkt für mich völlig unverständlich) in ein großes schwarzes Loch (aus heutiger Sicht treffender beschrieben: ich kehrte heim zu diesem depressiven Ort in mir, vor dem ich mein Leben lang geflohen war.) Mein Darm rebellierte, später kamen Angstzustände hinzu, die mich an meinem Verstand zweifeln ließen, da in den jeweiligen aktuellen Situationen keine echte Gefahr bestand. Anfänglich war ich bei allen möglichen Ärzten und Quacksalbern auf der Suche nach einer “richtigen” Krankheit (ich ließ mit mir machen, was nötig schien: Magen- und Darmspiegelung, EEG, Heilversuche mit E.coli-Ansiedlung oder Candida-Pilz-Bekämpfung; was wäre ich zu dem Zeitpunkt froh gewesen, mit irgendetwas “Handfestem” sprich Physischem diagnostiziert zu werden). Am Ende meiner sehr leidvollen aber noch unbewussten Zeit (über die wirklichen Ursachen dieser Rebellion des Körpers) konnte ich die kräftezehrende Aufrechterhaltung meines Scheinlebens nicht mehr gewährleisten, ich ging zur erstbesten Psychologin und bekam auch die gewünschte “Hilfe” in Form von Antidepressiva. Mein Zustand stabilisierte sich, ich lebte wieder ein “normales” Leben ohne starke Gefühle, die Fassade war wieder errichtet. Nach einigen Monaten ließ ich die Medikamente ausschleichen, dachte ich doch, es wäre wieder alles “in Ordnung”. Was für ein (im Nachhinein glücklicher) Irrtum: die Symptome kehrten zurück, oder besser, meine Körperwahrnehmung war wieder intakt, die verdrängten Signale nicht zu überhören. Ich konnte mir nichts mehr vormachen und beschloss, dem Rat der Psychologin zu folgen und eine stationäre Therapie zu machen (bei Herrn H.-J. Maaz, “Der Gefühlsstau. Ein Psychogramm der DDR (1990)”). Und tatsächlich, meine Depression löste sich auf. Ursächlich durch das Zulassen Dürfen der so lange unterdrückten völlig berechtigten WUT auf die erlittenen Grausamkeiten und Verstümmelungen in meiner “normalen” ostdeutschen Kindheit durch meine Mutter, eine völlig überforderte und verunsicherte Frau, die mir mit Schlägen und anderen “erzieherischen” Maßnahmen meine Eigenheit auszutreiben versuchte und mich für Ihre Bedürftigkeit missbrauchte (siehe auch Brief an die Mutter weiter unten). In diesen intensiven Wochen habe ich wieder Kontakt zum Kind in mir aufgenommen, und diese Erfahrung war so was wie mein “Urknall”, wissenschaftlich gesprochen. Ich finde das Gleichnis so passend, weil ich seitdem wirklich eine Ausdehnung meiner (inneren) Welten erlebe. Oder in der Sprache der Märchen ausgedrückt: es kommen immer mehr Ländereien hinzu und ich als König (ohne Untertanen J) bin auf Entdeckungsreise in meinem Reich.
 
Seitdem weiss ich mit Sicherheit, es gibt Glück für mich auf Erden. Nämlich immer dann, wenn ich ein fürsorglicher, schützender, empathischer und liebevoller Erwachsener für das Kind in mir bin, erlebe ich den Zustand dieses Einsseins, IM SCHMERZ WIE IN DER FREUDE. Um das zu erfahren musste ich in der Tat emotional zurück in die frühere Hölle, in der meine damaligen Bezugspersonen mich im Stich gelassen haben.
 
Und mit dieser Erfahrung kenne ich jetzt auch mein Unglück und seine Entstehung: immer wenn ich mein wahres Selbst (und die Gefühle, die mir Orientierung geben) verleugne, vergesse, rationalisiere, verkläre. Einschließlich des Leids aus meiner Kindheit, denn auch diese Erlebnisse gehören zu mir, sie sind mir wirklich passiert.
 
Es hat dann nach Umzug in den Südwesten Deutschlands weitere Jahre meines Lebens gebraucht, diese “Unglückslehre” zu verinnerlichen; getrieben von der verständlichen kindlichen Sehnsucht nach seinen Eltern habe ich die “Versöhnung” gesucht. Dieser Weg hat sich als ungesund für mich herausgestellt. Mein Fazit heute: Entweder mit den Eltern sein (und unglücklich) oder mit mir glücklich sein (und ohne die Eltern). Ich bin lange vor der Radikalität dieser Erkenntnis zurückgeschreckt, und doch, sie ist und bleibt gültig. Weil meine damaligen Bezugspersonen sich WIRKLICH schuldig gemacht haben an mir, weil sie mich behindert haben beim Entfalten meines Selbst und diese ständigen großen und kleinen Verletzungen und Misshandlungen in meinem Körper gespeichert sind FÜR DEN REST MEINES LEBENS. Deswegen ist kein Miteinander mit diesen früheren VERSTÜMMLERN möglich und kein Verzeihen ohne Verdrängung und Selbstaufgabe, und das bedeutet Lügen und Abtöten. Das werde ich nicht mehr dulden. Das ist meine Wahrheit und ich habe lange gezögert, die Konsequenzen zu ziehen. Ich habe dann Mitte Februar das Schweigen gebrochen und die Konfrontation gesucht in einem Brief an die Mutter, den ich nachfolgend kopiere:
 
Hallo Mutter,
 
heute möchte ich Dir einige für mich wichtige Dinge sagen, die ich so bisher noch nicht gesagt habe. Es ist jetzt 5 Jahre her, seit ich wirklich begonnen habe, mein Leben in meine Hände zu nehmen. Rückblickend begann dieser Weg mit der erfolgreichen aktiven Überwindung einer schweren Depression im Rahmen einer 8-wöchigen stationären Psychotherapie in H. 2003 war für mich das Jahr meiner Wiedergeburt, denn in dem Jahr habe ich wieder meinen gefühlsmäßigen Zugang zu meiner Kindheit gefunden. Das ist sehr befreiend gewesen.
 
Danach habe ich lange Zeit geglaubt, mit dem bewussten Wiedererleben schmerzlicher Kindheitserlebnisse und meiner Entschuldigung der damals beteiligten Erwachsenen (“Versöhnung”) sei der therapeutische Heilungsprozess abgeschlossen und der Weg frei für das eigene selbstbestimmte Leben (Erwachsen werden). Dem ist aus meiner Erfahrung aber leider nicht so. Ein echter Frieden mit der Vergangenheit hat sich in mir nicht eingestellt. Vielmehr zeichnet sich für mich deutlich ab, dass für ein Gelingen des Heilungsprozesses nach dem bewussten emotionalen Wiedererleben des einst erlittenen Leids als Kind diese ausgegrabenen Wahrheiten von mir als Erwachsenen veröffentlicht und vertreten sein wollen. Dieser Brief dient dazu, Dich betreffende noch unausgesprochene Dinge zu benennen und meinen Standpunkt klar zu machen.
 
Verlassenheit als Säugling
 
Von Zeit zu Zeit erlebe ich das Trauma des hilflosen, total überforderten und lebensbedrohten Säuglings der ersten Wochen auch heute als Erwachsener wieder. Die Erinnerung des damaligen Todeskampfes zeigt sich an solchen Tagen als systemischer Zusammenbruch mit Übelkeit, Würgereflexen, starken Bauchschmerzen, Durchfall, Angstzuständen, Panikattacken und starken Verspannungen der gesamten Muskulatur. Der Brustbereich scheint eine einzige offene Wunde vom vielen vergeblichen Schreien. Ungehört. Mutterseelenallein.
Die Nahrung, die ich die ersten Wochen so dringend gebraucht hätte, sowohl sprichwörtlich als Muttermilch als auch im übertragenen Sinne als Kontakt mit einer beruhigenden, zugewandten, empathischen Bezugsperson, konntest Du mir leider nicht bereitstellen. Für mich ist klar, dass sich dieser Mangel in eine Krise zugespitzt hat, die mit meiner Einlieferung in das Krankenhaus endete. Dort nun kam es auch noch für Wochen zur physischen Trennung von Dir als mein Tor zum Leben und Garant des Lebens.
Alle oben geschilderten heute noch reaktivierbaren Symptome lassen diese frühe Hölle auferstehen. Auch heute noch hallt in mir der ferne Schrecken nach, wenn ich Martinshörner höre und Unbehagen breitet sich aus beim Anblick von Ärzten in Weißkitteln. Es war großes Unrecht und erzeugte ungeheueres Leid, mich als Säugling allein gelassen zu haben!
 
Prügel als Kind
 
Ich erinnere mich noch genau an diesen unentschuldbaren Vertrauensbruch. Es war die Zeit, als Du zu Teppichklopfer (vorher waren es Deine eigenen Hände) und Prügel als Mittel der Disziplinierung (sprich: Ausrichtung auf Deine Normen) gegriffen hast. Ich war zuerst völlig geschockt, dass Du mir als Deinem Kind tatsächlich Gewalt antatest, in der Lage und willens, mir körperlich Schmerzen zuzufügen. Wie demütigend habe ich es empfunden, den von mir vorsorglich versteckten Teppichklopfer Dir bringen zu müssen, um dann die Bestrafung erdulden zu müssen. Von der Person, die mich eigentlich beschützen sollte. Alles Bitten und Flehen half nichts. Wie demütigend, dass auch vor meiner kleinen Schwester zu erleben. A. konnte mitleiden, sie weinte an meiner Stelle, während ich alles daran gab zu lernen, nie wieder vor Dir Schwäche zu zeigen. Mir tut es leid, dass sie es war, die die von Dir gelernte Lektion, Schwächere schlagen zu dürfen, zu  spüren bekam. Und als Du mir auch ausgetrieben hattest, mich wütend gegen diese Grenzverletzungen und Angriffe auf meine Integrität zu wehren (nach eskalierenden verbalen und körperlichen Attacken, ich denke nur an “ich schlage Dich windelweich, du Balg”, “ich werde Dich lehren, die Hand gegen Deine Mutter zu erheben”, “ich werde Dir Deinen Jähzorn schon austreiben”; als wäre hier wirklich ein Kampf im Gange gewesen zwischen zwei verfeindeten gleichstarken Erwachsenen), dann fanden Mitschüler in mir ein wehrloses Opfer. Dieses tägliche Gejagt- und Verprügeltwerden (von selbst zuhause geschlagenen Kindern) habe ich monatelang ertragen, das war weniger schlimm als eine erneute Konfrontation mit Dir oder aber das Eingestehen von Schwäche vor Dir.
In dieser Zeit hast Du Dich für mich in ein beängstigendes fremdes Wesen verwandelt, ich träumte von Dir als böser Hexe und habe mein Innerstes vor Dir seither verborgen. Die Furcht vor Dir und die Wut auf Dich sind in meinem Körper gespeichert und lassen einen unbelasteten echten zwischenmenschlichen Austausch nicht zu.
 
Eine gute Kindheit zu haben bedeutet für mich ein Aufwachsen in einer Atmosphäre des Respekts vor dem Kind als eigenem Wesen und der Bereitschaft, es so zu begleiten, dass seine Selbstbestimmtheit und Integrität gestärkt werden. Das war bei mir nicht der Fall.
Es ist mir verstandesmäßig klar, dass es gute Gründe gibt, die Dich zu der Person gemacht haben, die ich in meiner Kindheit erlebt habe, und diese liegen für mich wiederum in Deiner Kindheit und dem dort erlebten Umgang mit Dir und Deinen Bedürfnissen, allen voran dem Deiner Eltern.
Das ändert nichts daran, dass Unrecht und Leid weitergegeben worden sind von Dir an mich.
 
Die Vergangenheit kann nicht mehr geändert werden. Auf meinem Weg zu einem erfüllten, authentischen Leben steht eine aufrichtige Kommunikation mit allen meinen Bezugspersonen an, eine Kommunikation, die die Erfahrungen der Vergangenheit bewusst einschließt. Das ist für mich ein notwendiger Schritt zur Stärkung meiner inneren Orientierung.
 
Was will ich heute von Dir?
 
·                     Ich will, dass Du Dich entschuldigst bei mir für die Schläge.
·                     Ich will, dass Du anerkennst, dass Du mir als Kind durch Dein Verhalten Schmerzen und Leid zugefügt hast.
 
Bitte schreib mir und reagiere auf meinen Brief. Ich denke, aufgrund der Brisanz des Themas ist nur ein schriftlicher Austausch vorteilhaft zurzeit. Ich bin bereit, mir Deine Gedanken und Sichtweisen der genannten Dinge anzuhören. Wesentlich jedoch für die Art und Weise des weiteren Kontaktes mit Dir ist für mich Deine Reaktion auf die beiden Forderungen, die ich oben formuliert habe.
 
Grüße,
T.
 
Das Antwortschreiben auf meinen Brief hat es mir nochmals gezeigt, es ist ein hoffnungsloses (und kindliches) Unterfangen, gerade bei den ehemaligen Tätern Verständnis zu suchen. Was nutzt es mir heute, wenn es eine formale Entschuldigung für die Schläge gibt. Und gleichzeitig auf meiner “Schwererziehbarkeit” bestanden wird, meiner “Verwöhntheit”, “Dickköpfigkeit” (“…leider hatte ich bei dir jedoch schon im Kindesalter den Eindruck, dass du nichts und niemanden akzeptierst und respektierst…”) und auf die gesellschaftlich anerkannte “gute” Absicht verwiesen wird, einen “anständigen, geradlinigen Menschen (zu) erziehen, der Werte und Normen im Leben einhält” (was für ein Schwachsinn, das prügelnd erreichen zu wollen). Oder: “…Es ging mir dabei jedoch nicht auf Ausrichtung auf meine Normen, sondern auf in dieser Zeit währende allgemein gültige Werte und Normen, die auch von dir eingehalten werden sollten… Aber genau das zu tun ist einfach NICHT RICHTIG, wird doch so sichergestellt, dass auch die nächste Generation be- und verhinderter Menschen aufwächst, behindert nicht im Sinne angeborener Schwächen, sondern behindert in der Entfaltung des vollen menschlichen Potentials in individueller Ausprägung, ich nenne das Verstümmeln. Bezeichnenderweise ist das Zeigen von Mitleid für “echte” Behinderte gesellschaftlich hoch angesehen, die erzieherisch verursachten Beschneidungen hingegen werden stumm oder ausdrücklich befürwortet, oft begründet mit der Schreckensvision einer anarchistischen, egomanischen Gesellschaft, wenn dem Kind keine “Manieren” und Umgangsformen beigebracht würden.
 
Und selbst wenn die Eltern die Wahrheit (über meine und ihre schreckliche Kindheit) aushalten könnten und mich bestätigen, es kann nichts rückgängig gemacht werden. Es wäre vielleicht eine Erleichterung in der Hinsicht, keine verwirrenden Manipulationen mehr von dieser Seite erwarten zu müssen, da die Beschäftigung mit ihrer eigenen Kindheit in den Vordergrund rücken würde. Leider ist das bei mir nicht der Fall, und so muss ich sie mir sprichwörtlich vom Halse halten.
 
Jetzt ist es passiert, ich habe Anfang März den Kontakt zu den Eltern abgebrochen (auch zum Vater, ich will nicht mehr verleugnen, dass ich ihm gleichgültig geblieben bin mein Leben lang, wie so unmissverständlich gezeigt durch seine ABWESENHEIT in meiner Kindheit) …und ich weiss, es waren die richtigen Entscheidungen.
 
Wenn mich die alten Sehnsüchte besuchen (ausgelöst meist über Nacht durch Träume zum Beispiel von einem anwesenden Vater oder einer lächelnden Mutter, die ein Stück Erdbeertorte mit viel Sahne anbietet), dann kann ich den Nebel lichten, das lähmende Gift neutralisieren, indem ich mir klar mache, dass ich keine Wahl mehr habe! Mein halbes Leben ist vergangen (ich bin jetzt 39) und ich bin NICHT EIN EINZIGES MAL von Ihnen gesehen worden als liebenswertes EIGENES WESEN, als Geschenk des Lebens. Sie haben keine Ahnung, wer ihr Sohn ist. Und dann trauere ich über diese Wunde in mir, und bin empört über die Verursacher. Und nicht mehr bereit, mich auch nur noch einmal von Ihnen verletzen zu lassen mit ihrer Ignoranz. Das bin ich mir wert.
 
Mit dem Wissen stehe ich, scheint mir, recht einsam da in meiner Wahlheimat. Ich kann heute damit alleine leben (da ich mir immer schneller beistehen kann in den Zeiten der Verwirrung), fände Kontakt zu Gleichgesinnten jedoch erleichternder.
Und ich bin am Suchen nach Wegen, wie ich als wissender Zeuge beitragen kann, die Wahrheit zu verbreiten für Menschen, DIE DAFÜR ERREICHBAR SIND. Ich würde gerne ansprechbar werden für Leute im Raum Freiburg, die sich bei Ihren Schriften richtig aufgehoben wissen. Daher würde ich mich freuen, wenn Sie meine Zuschrift und somit die eigens dafür eingerichtete Mailadresse thommes001@web.de auf Ihrer Webseite veröffentlichen würden. Bin gespannt, was daraus wird, weiss es selbst noch nicht, ich stehe ja auch erst am Anfang meines (neuen) Lebens J. Und meine jüngsten Erfahrungen mit echter Freiheit: ich kann mich von meiner Kreativität wundervoll überraschen lassen. Ich habe keine finanziellen Absichten, ich bin kein Therapeut, obwohl ich gerade auch mit dem Gedanken spiele, eine therapeutische Ausbildung nebenberuflich zu beginnen (falls ich einmal in diese Richtung gehen möchte, brauche ich ja eine Berechtigung… was für eine Gefahr, mit einer amtlichen Bescheinigung die Befähigung zu angemessener Hilfestellung bestätigt zu bekommen ohne die wahren Hintergründe für das Leiden von Hilfesuchenden am eigenen Leidensweg aufzudecken).
 
Dieser Weg ist bis jetzt im Rückblick unglaublich befreiend gewesen. Ich freue mich auf mein Leben, fühle mich echt und unverfälscht und bin angekommen im Hier und Jetzt (und es hat absolut nichts mit dem in esoterischen Kreisen so angestrebten Ideal der Erleuchtung sprich Selbstlosigkeit zu tun. Ich mag mich und ich brauche mich, um aktiv werden zu können zur Befriedigung meiner Bedürfnisse). Ich habe Lust, in irgendeiner Form Musik zu machen. Freies Tanzen habe ich schon vor 5 Jahren wiederentdeckt als meine Lieblingsform des Selbstausdrucks. Ich bin mir sicher, dass ich dem alten Such(t)schema bei der Partnerinnenwahl heute nicht mehr zwanghaft ausgesetzt bin (je unnahbarer desto attraktiver L), denn ich begegne heute (wenn auch noch selten) wirklich Frauen, die mit ihrem wahren Selbst verbunden sind, und ich kann sie SEHEN. Was für ein Geschenk, eine innere Orientierung zu besitzen. Und ich bin mir jetzt auch sicher, noch möglichen eigenen Kindern ein ausreichend guter Vater bei ihrer Begleitung sein zu können.
 
Ohne meine Großmutter mütterlicherseits als helfender Zeugin, die Wiederentdeckung meiner Wut als Kraftquelle, Ihre Bücher, Frau Miller, und Ihre Webseite wäre ich nicht so “schnell” da, wo ich heute bin. Meine tiefe Dankbarkeit für Ihren riesigen Mut, die Klarheit und die Beharrlichkeit, die Sie zeigen in Ihrem Lebenswerk der Hilfestellung zur Befreiung der Menschen aus ihren (Kinder)Gefängnissen nach Ihrer eigenen gelungenen Flucht. Bleiben Sie noch lange bei guter Gesundheit und erleben Sie noch viele solcher bestätigenden Beispiele wie meines für die Richtigkeit und Fruchtbarkeit ihrer Glücksarbeit. Ich hoffe, Sie freuen sich mit mir über mein gerettetes Leben.
 
Herzliche Grüße, T.U.

AM: Vielen Dank für Ihren Brief. Sie haben es gewagt, Ihre Wahrheit GANZ zu verstehen, nicht halb, nicht ein bisschen, sondern vollständig, indem Sie sie auch durch Ihren Brief an die Mutter und Ihre klaren Forderungen überprüft haben. Sie ließen sich nicht durch Therapeuten verwirren, auch nicht von Priestern einschüchtern, Sie sind Ihrem Körper gefolgt, Sie nahmen ernst, was er Ihnen sagte, was er Ihnen erzählte, und zogen daraus die logischen Folgen. Meines Erachtens genügt dies, um anderen Wissender Zeuge sein zu können. Ein Psychologiestudium kann einem gerade dies nicht geben, denn es verlangt neue Opfer, z.B. die Anpassung an die Mentalität der Professoren, an das herrschende System der Uni etc, Opfer, die wir schon als Kinder bringen mussten. Wir wollen doch nicht diese Opfer bringen, nachdem wir verstanden haben, wohin uns der Selbstbetrug geführt hat und wie schwer es war, die Freiheit von diesem ganzen Kram zu erlangen. Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Freiheit.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet