Das gerettete Leben

Das gerettete Leben
Sunday 13 January 2008

Sehr geehrte Frau Miller,

Sie haben sicherlich so gut wie keine Zeit, dennoch möchte ich mich auf der einen Seite bei Ihnen bedanken und auf der anderen eine kurze Frage an Sie richten.

Ihr Buch “Die Revolte des Körpers” habe ich so gut wie durchgelesen. Für Ihre so klaren Worte in Ihrem Buch möchte ich mich bedanken. Es ist schön festzustellen, dass es noch Menschen gibt, die die Courage haben, Dinge klar auszusprechen, die keiner hören und wahrhaben möchte. Ihr Buch wird eines derjenigen sein, die mich weiter durch mein Leben begleiten.

Damit Sie auch wissen, wer sich bei Ihnen bedankt, erlauben Sie mir, mich kurz vorzustellen:

Mein Name ist A. J., 40 Jahre, verheiratet und Mutter von drei Kindern. In meiner Kindheit bin ich von meinen Eltern sexuell mißbraucht worden. Lange Jahre habe ich ohne Wissen mit diesem Trauma gelebt. Erst vor 6 Jahren habe ich in einer therapeutischen Hypnosesitzung Zugang zu diesem, meinem Trauma gefunden. Therapeuten für mich fand ich keinen, so daß ich den Weg meiner Heilung nach längerer Stagnation im Oktober 2006 (Auslöser war mein Körper, der Krebs wollte anfangen in mir zu wachsen) allein, lediglich begleitet durch Literatur, durch die von mir ins Leben gerufene Selbsthilfegruppe und meine Familie begonnen habe. Heute bin ich dankbar für all die Geschenke der Heilung und glaube von mir sagen zu können, dass ich heute an einem Punkt angekommen bin, an dem ich anfangen kann mit kleinen aber kontinuierlichen Schritten mein Leben heute zu leben.

Ich glaube, dass meine Geschichte vielleicht anderen Mut machen kann. Ich bin auch der festen Überzeugung, dass es immer mehr Menschen geben muss, die über ihre Geschichten berichten, damit vielleicht irgendwann einmal ein Wandel – wenn auch nur ein kleiner – in der Gesellschaft und dem Umgang mit Kindern und vor allen Dingen des Mißbrauchs – welcher Art auch immer – an Kindern erfolgen kann.

Das war der Bogen zu meiner Frage: Ich möchte meine Geschichte aufschreiben, gerne würde ich dies mit jemandem zusammen tun, der die Worte für die Gedanken hat, die mir fehlen. Mit jemandem zusammen, der wie Sie meine Meinung teilt, dass der Großteil der Therapeuten einem niemals helfen kann, Traumen dieser Art zu verarbeiten und letztendlich der Schlüssel zu allem in einem selbst liegt.

Vielleicht gibt es ja auch irgendein Projekt bundesweit, bei dem ich Sie bzw. die Sache unterstützen könnte.

Mehr Zeit möchte ich Ihnen nicht “stehlen”. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie Zeit für eine kurze Antwort finden würden.

Ich danke Ihnen im Voraus und grüße Sie aus dem hohen Norden. A. J.

AM: Ich gratuliere Ihnen, dass Sie den Mut hatten, Ihre Geschichte kennen lernen zu wollen, um sich dadurch das Leben zu retten. Ich kenne niemanden, den ich Ihnen für die Mitarbeit empfehlen könnte. Fangen Sie doch da an, wo Sie sich jetzt befinden, die Wahrheit lässt sich leicht erzählen. Nur die Lügen brauchen kunstvolle Verrenkungen.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet