Die reiche Seele
Saturday 14 April 2007
Liebe Alice Miller,
Sie schreiben in dem Buch das DRAMA DES BEGABTEN KINDES auf S. 137
„Es läßt sich nur an der einzelnen Lebensgeschichte spürbar machen, wie wenig man als Kind die Zwänge seiner Eltern durchschauen kann und daß diese Blindheit ohne Therapie unter Umständen ein Leben lang erhalten bleibt, auch wenn man immer und immer wieder versucht, aus diesem inneren blindmachenden Gefängnis auszubrechen.“
Das macht mir Angst und ich fürchte mich gegen Windmühlen zu kämpfen, weil ich mich allein auf den Weg begebe, weil ich noch immer keinen therap. Unterstützung gefunden habe… Wer wenn nicht ich kann jetzt und in diesem Moment etwas für mich tun? Ich will nicht aufgeben…aber ich bin so verunsichert und verzweifelt.
Haben Sie Menschen kennengelernt, gespürt und gefühlt, die es trotz schwerer Traumen allein geschafft haben, sich selbst leben zu können? Denn Schreiben kann man ja viel in schönen Büchern oder anderen Veröffentlichungen, aber den Menschen wirklich fühlen und erleben, der das behauptet ist doch etwas anderes…?
War Ihnen das Buch „Die Revolte des Körpers“ erst möglich nach dem Sie selbst wie Sie schreiben eine aufdeckende begleitende Therapie machen konnten? Wäre es Ihnen ohne diese menschliche emotionale Erfahrung möglich gewesen, diesen letzten konsequenten Schritt zu tun? Das beschäftigt mich sehr. – Ich habe so Zweifel und Ängste, den Weg aus der Isolation und bzw. dem Gefängnis des nicht fühlen könnens allein zu erreichen, weil man zum Fühlen einen anderen Menschen braucht, der einen spiegelt und die Wahrnehmung bestätigt?…Ich bin so unsicher.
Wie fühlt es sich an, wenn man lebendig ist, ist man das jeden Tag? Wenn man seine Existenz nicht in Frage stellen muß, seine Gefühle nicht abspalten muß, dürfte es doch auch nicht mehr dazu kommen, daß man sich ständig fremd fühlt, wie ferngesteuert lebt…? Fühlen Sie sich jeden Tag?
Ich lese Ihre Bücher und hier auf den Seiten alles. Und doch habe ich das Gefühl mir immer mehr zu entgleiten, je mehr ich kämpfe und mich spüren möchte…Mein ganzes Selbstverständnis baute auf Illusionen. Ich bin doch trotzdem nicht der Mensch den meine Eltern aus mir machen wollten bzw. sehen wollten wie sie es brauchten, auch wenn sie meine Seele besetzt haben…?
Das ich mich mögen kann und mein Leben ohne Scheinbeziehungen führen kann, ist für mich so fremd als können meine Arme zu Flügeln werden…
Ich träume oft gefährliche, grausame Träume, Kriegsschauplätze. Es wird geschossen, es geht um Leben und Tod. Alles um mich rum ist kaputt, zerfallen, zerschossen. Autowracks, Flugzeuge liegen herum und ich muß um mein Leben kämpfen, mich verstecken, verleugnen ich bin auf der Flucht. Aber kann nirgends wirklichen Schutz finden. Und immer begleitet mich atemlose Angst. Ich kann niemanden vertrauen und kämpfe ums überleben…Obwohl ich nie Kriegsfilme schaue…
Oft vor dem Einschlafen, wenn der Körper entspannen kann falle ich in einen Halbschlaf und träume dass man mich in eine Mülltonne sperrt, in einen undefinierbar engen Raum und ich fast ersticke… Ich bin unter Wasser und kann nicht auftauchen, warum weiß ich nicht. In meiner großen Verzweiflung denke ich, ich kann das Wasser atmen, ich atme Wasser statt Luft um nicht zu sterben…Und dann wache ich auf.
Vielleicht hat mich versucht als Baby zu ertränken, vielleicht ist das auch nur Phantasie. Aber es bleibt ein ungutes Gefühl…
Als ich 2 Jahre alt war, lebte bei uns eine kleine Katze, ein grauer Tiger mit großen ängstlichen Kulleraugen. Ich habe sie einmal mit einem kleinen Kinderbesen unter den Heizkörper gejagt und fest an die Wand unter der Heizung gedrückt, sie hatte fürchterliche Angst. Dann packte ich sie einfach am Schwanz und zog sie über das Parkett hinter mir her. Da die Katze noch klein war konnte sie sich gegen eine 2jährige noch nicht wehren… Meine Mutter schimpfte daraufhin mit mir… Später als Erwachsene fiel mir ein Foto von der Katze in die Hände, ich mußte bitterlich weinen, weil ich sie einmal so gequält habe…Meine Mutter meinte Kinder sind dumm und grausam, sie wissen nichts, man muß ihnen alles erklären…
Obwohl ich erst 2 Jahre alt war, spürte ich, dass ich etwas tue was ich eigentlich nicht will, weil ich diese Katze eigentlich lieb haben wollte. Und ich habe es in dem Moment getan, als meine Mutter es merken mußte, nie wenn ich mit ihr allein war…
Meine Mutter bekam Angst- und Panikattacken, als sie erfuhr, dass sie schwanger ist. Sie wollte keine Kinder. Ich glaube sie haßte mich schon bevor ich geboren wurde. Schließlich habe ich mich ungewollt in ihrem Leben breit gemacht…Mein Vater war dann derjenige der versuchte sie zu beruhigen.
Mein Vater hatte zum ersten Mal ein kleines verfügbares Lebewesen in seiner Gewalt. Er erzählte mir u.a. wie praktisch er beim Wickeln war. Bevor er mir die Windeln wechselte steckte er mir noch mal das Fieberthermometer in den Po, damit sich der Darm restlos entleeren konnte, dann mußte er mich nicht so oft windeln, wie er mir sagte. Denn meine Mutter konnte mich die ersten Wochen nicht anfassen. Im ersten oder zweiten Monat nach meiner Geburt litt ich an Eßstörungen musste für 3 Wochen ins Krankenhaus und später kam eine Rachitits dazu, mein Rücken war ganz krumm…Meine Mutter war so Stolz darauf, als die Krankenschwestern ihr erzählten, daß ich immer als letzte mein Essen bekomme, weil ich nicht schreie wie die anderen Babys. Heute denke ich ob, meine fürchterlichen Ängste, daß mein Körper versagen könnte, daß er seine Funktion aufgibt, von daher kommt? Ich kann nicht heilen, jede Krankheit hinterläßt bei mir Spuren, die nicht vollständig ausheilen, wie bei anderen, weil mein Körper das nicht schafft…
Ich erinnere mich an einen Urlaub am Meer. Ich war so gerne am Strand und planschte vergnügt im Wasser, als mein Vater mir erzählte es sind Krebse im Wasser die beißen. Obwohl da nicht ein einziger Krebs war…Ich hatte plötzlich solche Angst. Ich wollte nun nicht mehr zum Wasser. Da nahm er mich an die Hand und zwang mich mit ihm zum Wasser zu gehen, ich weinte und wollte nicht und er sagte, „hab dich doch nicht so, da passiert dir nichts, Papi ist doch dabei und wenn du hier vorne am Rand spielst, dann kommt kein Krebs“…Vielleicht war ich da schon 3? Solche Spielchen hat er öfter mit mir gemacht, in dem er mich oft täuschte…
Als 4jährige bin ich schon 2km täglich allein aus den Kindergarten nach Hause gelaufen, obwohl einer von meinen Eltern immer schon zu Hause war. Denn ich hatte noch keinen Hausschlüssel, den bekam ich erst mit 6. Ich habe mich oft gefürchtet. Einmal traute ich mich nicht an einem LKW der Kohlen ablud vorbei und ein Mann nahm mich dann auf sein Moped und fuhr mit mir an dem LKW vorbei und setzte mich bei meiner Tante ab, die in der Nähe des Kindergartens wohnte. Dort wartete ich. Damals gab es auch noch kein Telefon…Am frühen Abend es wurde langsam dunkel und als meine Mutter immer noch nicht kam, brachte mich dann meine Tante, sie war sehr schlecht zu Fuß, nach Hause. Aber es war niemand da. Meine Tante und ich saßen im dunkeln vor dem Haus. Dann kam meine Mutter die mich gesucht hatte…sie war schrecklich wütend auf mich,…“wieso hattest du überhaupt Angst vor einem Kohlenwagen, das ist doch Quatsch, ich suche dich, statt das du nach Hause kommst, gehst du zu Tante … hättest doch bloß vorbeigehen brauchen, warum bist du nicht weitergelaufen…, arme Tante … jetzt muß ich sie nach Hause bringen, sie kann so schlecht laufen und sitzt hier im dunkeln vorm Haus, bei der Kälte… Ich schämte mich weil ich meiner Tante zur Last gefallen bin…
Als meine Eltern sich dann scheiden ließen, hat sie mich oft abends auch allein gelassen, ist einfach weg gegangen, ohne etwas zu sagen und hat meine Tante besucht. Sie dachte ich schlafe…Ich war 5 Jahre alt und bin dann aufgestanden, habe mich angezogen und bin durch den Garten zum Nachbarhaus gelaufen und habe mich dort auf die Stufen der Haustür gesetzt. Ich kannte unsere Nachbarn aber ich habe mich nicht getraut zu klingeln, obwohl sie noch auf waren. Ich konnte sie in der Küche hören. Das allein gab mir schon Sicherheit nicht allein zu sein. Ich konnte von den Stufen aus die Straße beobachten und im Laternenlicht würde ich dann meine Mutter erkennen wenn sie wieder zurück kommt…In Gedanken habe ich die Zeit verfolgt die sie mit meiner Tante verbrachte. Als ich sie kommen sah, bin ich wieder zu unserem Haus durchs Gebüsch und habe leise meine Mutter gerufen, damit sie sich in der Dunkelheit nicht erschrickt…
Zu diesem Zeitpunkt hatte mein Vater bereits eine andere jüngere Frau die er mit in das Haus brachte…Ich bekam nur vernichtende Blicke oder Blicke die mir sagten ich störe. Aber wo sollte ich denn hin? Ich hatte doch keinen eigenen Raum…
Von dem Moment an gab es mich wohl für meinen Vater nicht mehr. Er ging oft mich zwar anblickend an mir vorbei, aber sagte nichts…Meine ganze Verwandschaft behandelte mich plötzlich wie eine Aussätzige, ich gehörte nicht mehr dazu, wurde auch von meinen Cousinen nur mit Verachtung angeschaut. Ich wollte doch auch zur Familie gehören, aber ich gehörte nicht mehr dazu, war ausgestoßen…Man ging an mir vorbei, redete an mir vorbei und warf mir kontrollierende böse Blicke zu. Die ich kaum aushalten konnte. Diesen Blicken konnte ich kaum standhalten. Und das wurde weiter benutzt um ihre Verachtung für mich zu rechtfertigen, ich war ja die Blöde, die Dumme, Gehemmte…
Meine Mutter kam oft spät von der Arbeit nach Hause. Mein Vater, wenn er da war, ließ sich nicht blicken, oder fragte mich über meine Mutter aus. Manchmal wenn er mich doch mit seinem Auto mitnahm, duckte ich mich damit die Nachbarn mich nicht sehen und es meiner Mutter erzählten. Aber sie erfuhr es dann doch und machte ein fürchterliches Gezeter und zynisch: „geh doch zu deinem Vater, wirst schon sehen, wie er sich um dich kümmert…, du hast ja keine Ahnung…der kümmert sich nicht um dich, die würden dich behandeln wie der letzte Dreck“ …
Natürlich merkte ich das mein Vater nichts mehr mit mir zu tun haben wollte… Meinem Vater selbst war ich eine Last, er hielt mich für dumm, obwohl er sich kaum mit mir beschäftigt hat, nur wenn es ihm in den Sinn kam…
Mein erster Schultag war so, dass meine Mutter mich vor dem Gartenzaun der Schule abstellte, tschüß sagte weil sie zur Arbeit mußte und wegging. Ich stand ängstlich vor dem Tor und ging dann langsam die Stufen durch den Garten zur Schultür. Da stand ich bis eine Lehrerin mich herein holte, weil ich mich allein nicht in das Haus getraut hatte…Am liebste wäre ich nirgends hingegangen…Einmal bin ich einfach nach Hause gegangen ohne Mittag zu essen in der Schule. Wenig später klingelte meine Lehrerin an der Haustür und schrie mich an, was ich mir dabei denke „einfach nicht Essen zu gehen…, meine Mutter zahlt doch nicht umsonst das ganze Essengeld“…
Nachts konnte ich durch die ganzen Streitigkeiten und den Krach nicht mehr schlafen. Und wenn ich doch mal schlief, dann wurde ich durch das Gezeter meiner Mutter, ihrer Wut wach, die sich so lange ärgerte bis ich neben ihr im Bett aufwachte…Ich durfte nicht schlafen, wenn sie nicht auch schlafen konnte…Noch heute habe ich Schlafstörungen und kann keine Nacht durchschlafen…
In dieser Zeit hatte ich oft Schmerzen im Unterleib …auch enorme Kopfschmerzen, so dass ich manchmal nicht zur Schule gehen konnte und allein zu Haus blieb…
Die Schule wurde für mich zur Qual, für meine enorme Ängstlichkeit und Gehemmtheit wurde ich grausam gehänselt, ich litt so sehr darunter. Ich schämte mich meiner so sehr und alles was ich war, war mir enorm peinlich. Noch heute habe ich eine Lernblockkade, ich fühle mich zu dumm, habe immer Angst nichts zu verstehen, so wie meine Eltern mir das immer gesagt haben: „schaffst du das denn, das kannst du doch überhaupt gar nicht…naja du bist eben noch nicht so weit…“ Mein Vater hat bis heute noch versucht so mit mir zu reden, mich abzukanzeln…
Seine neue Frau scheuchte mich immer weg, wie einen Hund, wenn ich mich nicht in den uns (meiner Mutter und mir) zugewiesenen Wohnzimmer aufhielt „du hast hier nichts zu suchen, mach die Tür zu, mach das du wegkommst“…Ich war für meinen Vater nicht mehr existent, nur als physische Einheit. Er kümmerte sich nun um seine neugeborene Tochter. Ich kann weder Eifersucht noch Neid spüren.
Meine Mutter hat von klein auf mir meine Gefühle geraubt, sie mir strikt verboten und das wirkt bis heute. Meine Mutter hat mich benutzt für ihre Wut…Sie hat mich psychisch kontrolliert, jedes Gefühl von mir verachtet oder mich ausgelacht bzw. meinen Gefühlen mißtraut, sie negiert, „du spinnst doch, das bildest du dir nur ein, so ein Quatsch…das macht dir doch wirklich keinen Spaß… du willst doch bloß hören, daß ich das und das sage“…etc. Aber auf der anderen Seite sagte sie immer „Mami hat dich so lieb, du bist doch das einzige was ich habe“. Aber alles was ich ihr anvertraut habe, hatte sie nie für sich behalten. Sie hat mich immer verraten…Sie schleppte mich zu einer Kinderpsychologin, die feststellen sollte, dass ich einen „psychischen Schaden“ habe, den sie in der Schule vorlegte um endlich, meinen Vater zu bewegen, dass Haus zu verlassen. Noch heute leide ich unter dieser Demütigung…
Und immer wenn ich es geschafft hatte, mich selbst zu stabilisieren, mir Selbstwert zu geben und wenn ich glücklich war – meine Mutter hat mich auf sanfte Art psychisch terrorisiert, immer hatte sie es geschafft, mich zu destabiliesieren, in mir Angst und Verzweiflung auszulösen, mich immer wieder neu in existentielle Not zu bringen. Auch wenn meine Mutter mich nicht wirklich wahrnahm bzw. überging, aber in einem Punkt tickte sie wie ein Schweizer Uhrwerk, wenn ich glücklich war, mich fühlen konnte, Freude am Dasein hatte, immer dann wußte sie dieses Glück mit äußerst gezielter Präzision zu zerstören, sei es durch ihre Worte die wie eine Gehirnwäsche funktionierten oder durch Handlungen die mich von mir abschnitten, oder in dem sie sich der „Hilfe“ anderer bediente, die die „Schmutzarbeit“ für sie machten, damit sie immer unschuldig und rein war und immer sagen konnte „ich will nur das es dir gut geht, denn ich habe dich doch so lieb“…Ihren Neid kann ich bis heute noch nicht ertragen, ich fühle mich tödlich verfolgt, das sich immer in Selbsthaß und selbstdestruktiven Handlungen äußert…
Noch heute stehe ich unter dem Zwang, wenn es mir gut geht, mir selbst oder von anderen mein Glück, meine Gefühle nehmen zu lassen, nur weil sie mich so nicht ertragen können. Das ist schlimm. Das ist ein Selbstötungsmechanismus, der reibungslos funktioniert. Diesen Schaltkreis zu durchbrechen ist mir bis heute nicht gelungen…
Meine Mutter heirate ein zweites Mal einen Witwer…Ein Monster. Als ich ihn zum ersten Mal sah, hatte ich solche Angst, wie in meinem ganzen Leben nie wieder. Ich weinte und bat meine Mutter sich von ihm zu trennen, dass wir es doch auch allein schaffen…Später zog er dann zu uns ins Haus, er setzte meinen Vater vor die Tür… Er hat einmal in sehr herablassender Weise zu mir gesagt:“…du wirst es einmal schwer haben im Leben, Mädchen…“ bis heute fühle ich mich durch diese Sätze vefolgt, es ist wie ein Fluch mit dem er mir meine Kindheit und meine Jugend geraubt hat, weil er Recht behalten hat…so sehr ich mich innerlich auch dagegen gewehrt und aufbegehrt habe, es ist mir bis heute nicht gelungen, mein Leben als lebenswert zu leben und zwar jeden Tag und nicht nur für einen kurzen Augenblick, wie eine Ahnung die dann wieder verschwindet…Ich bin so verzweifelt…Ich besitze keine echte Daseinsfreude. Ich durfte mich als Kind in nichts wiederfinden. Alles was mir etwas bedeutete oder was von mir war, hat meine Mutter an sich gerissen und damit zerstört…
Meine Mutter und er fanden Kleidungsstücke von seiner verstorbenen Frau, die mußte ich anziehen und dabei mußte ich noch glücklich aussehen. Die Sachen waren einfach scheußlich und sehr häßlich…Der neue Mann meiner Mutter kontrollierte mich auf Schritt und Tritt. Und scheute sich nicht mich auch öffentlich für dumm und verklemmt zu titulieren…So durfte ich mir in der Pubertät, als mein Haar sehr fettig wurde, nicht zweimal in der Woche die Haare waschen. Das war in der Schule ein Alptraum…Manchmal wusch ich sie heimlich. Wenn er mich dabei „erwischte“ hieß es:…“du sollst dir doch nicht so oft die Haare waschen, das ist nicht gut…“ er war so eckelhaft, seine Stimme, alles war so widerlich an ihm, sein ganzer Körper abstoßend. Ich konnte mir nicht vorstellen warum meine Mutter sich von ihm anfassen lassen konnte…Er war hysterisch, aufbrausend und brüllte hemmungslos laut. Er verlor schnell die Kontrolle über sich, riss die Türen auf holte Tassen und Teller aus den Schränken, warf Pfannen und Töpfe durch die Haustür in den Vordergarten, zerschmiß wütend Geschirr. Oder er kam nachts wenn ich schon schlief in mein Zimmer und brüllte rum, weil ich angeblich ein Stück Seife genommen hätte, was überhaupt nicht stimmte. Ich habe nie etwas weggenommen…Und immer war ich der Anlaß. Weil ich dies oder das gesagt habe…Meine Mutter kuschte vor ihm und sagte dann immer: „warum hast denn dies oder das…warum wolltest du denn bloß…warum mußtest du was sagen…“ Auf der anderen Seite kam sie zu mir um sich bei mir zu entlasten, weil sie es selbst auch nicht aushalten konnte. So wurde ich ihr Mutter- und Freundinnenersatz. Aber die Kontrolle über meine Gefühle, über das was ich sagte und dachte hatte sie vollständig. …Ich war absorbiert…
Als meine Großmutter vor ein paar Jahren starb, die Mutter meines Vaters, wollte ich eigentlich nicht zur Beerdigung gehen. Aber aus „Anstand“ tat ich es dann doch und ging mit meiner Mutter hin. Das war so furchtbar für mich. Mein Vater saß mir mit seiner zweiten Tochter und seiner neuen Frau schräg im
Blickfeld. Ich hatte solche Mühe mich unter Kontrolle zu halten. Die ganze Familie, Onkel, Tanten und Cousinen die ich seit Jahren nicht gesehen haben waren in der kleinen Kapelle versammelt. Mein Gesicht zuckte, solche Mühe machte es mir, meinen Vater und dessen neue Familie anzuschauen. Aber der Kraftakt gelang. Er hatte mich nicht begrüßt, tat wie immer als ob er mich nicht kennt, als ob ich eine Fremde bin, schaute mich mit zusammengekniffenen Augen an. Auch nach der Beisetzung am Grab, hätte er noch einmal die Gelegenheit gehabt mich anzusprechen, aber auch das blieb aus…Vor zwei Jahren suchte er dann den Kontakt zu meiner Mutter, stand mit Blumen vor der Tür an ihrem Geburtstag. Meine Mutter lud ihn dann zum Kaffee ein. Als ich das hörte wollte ich nicht kommen. Aber sie meinte er ist doch dein Vater. Es stellte sich heraus, als ich ihn nach dem Kaffee zur Gartentür brachte, das er jetzt allein lebt, seine Frau einen anderen Mann hat und seine Tochter ihn bald durch eine auswärts liegende Tätigkeit verlassen wird…Er fühle sich jetzt einsam und es wäre doch schön, wenn wir Kontakt hätten…(nach über 35 Jahen, das erste mal.) Er meinte er mußte meinetwegen den Kontakt abbrechen, weil meine Mutter das nicht gewollt hätte…Es kam kein Bedauern, daß er mich so viele Jahre nicht gesehen hat… Später bat mich dann seine Tochter zu der ich keinen Kontakt habe, ich könnte mich doch mit ihm treffen, er leidet so, er ist so ganz anders geworden. Ich sagte ihr das ich das nicht glaube…Ich habe mich nie wieder bei ihm gemeldet und möchte auch keinen Kontakt mehr mit ihm haben oder zum Rest der sonstigen Familie. Ich möchte mit solch einem Menschen nichts mehr zu tun haben müssen. Ich habe keine Erwartungen mehr an meinen Vater, dass er mich doch eines Tages anerkennen könnte, ebenso wenig an meine Mutter…
Ich habe mich als junges Mädchen und später dann als junge Frau abgelehnt. Ich habe immer einen großen Bogen um Spiegel gemacht, weil ich mich wenn ich mich plötzlich sah, immer so erschrocken habe, warum weiß ich nicht, weil es mich gibt, weil meine Mutter mich vielleicht nie sehen konnte, weil ich mich so häßlich fand?…Vielleicht alles…? Erst über 20 Jahre später hat mir mal ein Mann gesagt, weißt du, wir waren alle hinter dir her (er meinte unsere Studienzeit), wir haben dich alle gemocht und von dir geschwärmt…aber du warst immer unerreichbar… Der einzige Mensch der das bis zu diesem Augenblick nicht merken dürfte war ich und der es noch immer nicht glauben kann… Ich hatte bis zu diesem Moment das Gefühl, alle sahen in mir das schreckliche Mädchen, das sich immer verbiegen mußte um herauszufinden wie man es und ob man es mag, ich dachte immer mich mag niemand wirklich, daß man mir am liebsten aus dem Weg gehen möchte, deshalb bin ich vorsorglich immer ausgewichen, eigentlich weggelaufen und war lieber allein als in Gesellschaft, es war anstrengend…Vor allem hatte ich Angst, das jemand in meine Seele schaut und merkt, das sie leer ist, das ich eine leere Seele habe…Jetzt wo ich eine Frau mittleren Alters bin, sieht es in mir nicht anders aus. Ich bin vor Anstrengung ganz ausgelaugt…
Das ständige auf der Flucht sein, sich ständig vor vermeintlichen körperlichen und seelischen Besitzergreifungen zu schützen, war so kräftezehrend…Mein ganzes Leben lang habe ich es vermieden mich zu verlieben, habe dieses Bedürfnis verdrängt, bis heute. Und als ich mich doch in jemanden verliebt habe, ich hatte nicht wie sonst die Chancen wegzulaufen, lebte plötzlich das kleine Mädchen in mir wieder auf, das sich mit Händen und Füßen dagegen wehren wollte, aber die Liebesgefühle waren doch größer und ich begann zu Leiden. Ich war nicht in der Lage mit dem Mann so zu reden, wie ich es mir gewünscht habe. Und bei jeder Begegnung hatte ich gehofft, daß ich es diesmal schaffen werde frei und offen mit ihm zu reden, ohne Spannung, ohne ein Zittern, ohne mich häßlich und blöd zu fühlen. Oft ist es mir auch gelungen. Und dann dachte ich, jetzt wird er mich noch mehr mögen…Obwohl er so sehr meine Nähe gesucht hat, hat das wenige was ich an Gefühlen zeigen konnte und was ich an Angst und Hemmungen verdrängen konnte, mich hoffend gemacht, er würde mehr Interesse an mir zeigen, als mich nur im Büro anzurufen oder dort zu treffen. Wenn er mich sah, strahlte er und ich auch. Aber meine größte Angst ist immer die Frage: „was machst du denn so“…Ich mache ja nie etwas. Meine Seele ist so leer, da ist ja nichts. Ich verbringe ja die meiste Zeit für mich alleine, lese sehr viel und meide Gesellschaft…Und ich fürchte mich so davor, dass es jemand entdecken könnte…Ich kann nicht mal tanzen, weil ich Linkshänder bin, den man auf rechts getrimmt hat, dadurch fällt es mir irre schwer meinen Körper zu koordinieren bzw. einem Rythmus zu folgen…Manchmal war ich sehr befremdlich, habe so getan, als ob ich ihn nicht gesehen habe. Das muß für ihn schrecklich gewesen sein… Ich schäme mich für meine Liebesgefühle, die er auch gar nicht erwidern konnte oder wollte… Ich finde keine klaren Gedanken…Das schmerzt mich so.
Ich muß mir eingestehen, daß ich nicht wirklich lieben kann, weil ich nicht weiß wer ich bin, wie sich das anfühlt….und deshalb auch nichts hatte erwidern können und wenn nur mit dem Gefühl, dass es keine wirkliche echte Beziehung gibt, nicht für mich, mit mir geht das nicht…Ich fühle mich wie eine Wand an der man geschmeidig abprallt.
Er war so gerührt von einer Laudatio die ich für ihn geschrieben habe, die von der Stiftung vorgelesen wurde… Ich habe es mit echtem Herzen geschrieben, aber ohne Hemmung und Blockkaden kann ich ihm nie direkt gegenüber treten…Ich weiß nicht was ich sagen soll…Ich schaffe es beim besten Willen nicht und das tut mir so weh…Und ich bin so schrecklich häßlich geworden, ein altes Schrappnell…
Ich lebe in Illusionen, vielleicht habe ich mir das alles auch nur eingebildet, die schönen Augenblicke, die warmen Gefühle…? Mir fehlt so die klare Sicht…Ich mißtraue und zweifle an jedem Gefühl in mir, daß ich mich täusche und jedem Gefühl was mir entgegengebracht wird. Ich denke immer das es vielleicht nur eingebildet ist oder nicht echt ist und das es mir nicht zusteht, dass man mich nicht wirklich meint…Wer soll mich aushalten, wenn ich das selbst nicht einmal kann…
Woher soll ich denn wissen, wenn ein Mann mich anlächelt sich mit mir unterhält, ob er es so meint wie er es sagt? Das er mich wirklich mag und mir nichts vormacht bzw. das es wirkliches Interesse an mir ist? Ich habe Angst vor zu viel Nähe. Ich fürchte mich ständig, jemand könnte merken, daß ich keine Seele habe, das hinter der Fassade nichts ist… Ich bin auf der Flucht, entdeckt zu werden…Wer ist man denn wenn man gar niemand mehr ist?…Mich gab es ja nie wirklich…
Aber ich bin so auf der Suche…Mir wird mein inneres Gefängnis zur Falle aus der ich nicht raus komme, obwohl doch alle Türen offen stehen, oder nicht?…Und ich habe so große Angst diesen Kampf zu verlieren, dass ich niemals nach Hause komme, dass ich nie ein richtiger vollwertiger Mensch werde. Ich habe jetzt solche enormen Kopfschmerzen, die mich fast lähmen…
Emotionale Blindheit ist wie ein Wahn, ein Zug der durch alle Haltepunkte rast…
Wenn Sie die Zeit finden könnten und mir antworten, ich wäre so erfreut.
Vielen Dank. R.
AM: Ihre Seele ist nicht leer, ganz im Gegenteil, sie ist reich an Gefühlen, sonst hätte mich Ihr Brief niemals so angerührt. Dieser Reichtum macht Ihnen Angst, weil Sie in einer unmenschlichen Welt aufgewachsen sind und jedes Mal verletzt wurden, wenn Sie Ihre Gefühle und Bedürfnisse zu zeigen versuchten. Und niemand war da, der diesem kleinen verletzten Mädchen hätte beistehen können. So haben Sie gelernt, brav zu sein, sich zu schützen, um nicht noch mehr Wunden einstecken zu müssen. Ich stimme Ihnen zu, dass Sie eine Begleitung brauchen, um sich aus Ihrer schützenden Einsamkeit herauswagen zu können und Ihre Gefühle voll leben zu lassen. Haben Sie meine FAQ-Liste gelesen? Wollen Sie nicht versuchen, sich mit Hilfe dieser Liste eine Therapeutin zu suchen, die Ihr Vertrauen verdient und den Mut hätte, die Verbrechen zu sehen, die Ihre BEIDEN Eltern an Ihnen begangen haben, und die Sie nicht mit frommen Ratschlägen davor abhält, Ihre aufgestaute Wut endlich zuzulassen? Ich wünsche Ihnen viel Glück und AUSDAUER beim Suchen.