Aufdeckende Therapie

Aufdeckende Therapie
Sunday 27 August 2006

Liebe Alice Miller,
ich danke Ihnen für die Antwort.
Ich habe zwar schon im Internet alles durchforstet, aber irgendwie bekomme ich keinen roten Faden rein. Auch habe ich keine Seite gefunden, die dies vielleicht erklären könnte.
Was ist eine aufdeckende Therapie?
Soweit ich das verstanden habe, ist es keine Analyse und keine Gesprachstherapie.
Danke & Gruss

AM: Aufdeckend nenne ich eine Therapie, die den Klienten hilft, ihre verdrängte schmerzhafte Kindheitsgeschichte mit Hilfe der erwachten Gefühle und Träume kennen zu lernen, damit sie nicht länger Angst zu haben brauchen vor Gefahren, die ihnen in der Kindheit real gedroht haben, aber heute nicht mehr drohen. Die Klienten haben dann nicht mehr nötig, das unbewusst zu fürchten und zu wiederholen, was ihnen im zartesten Alter passiert ist, weil sie es jetzt kennen und in der Gegenwart des Therapeuten, als einfühlsamen Zeugen, mit Wut und Trauer darauf reagieren konnten. Sie hören dann auf, sich lieblos zu behandeln, sich zu beschuldigen, sich durch Süchte aller Art zu schädigen, weil sie nun Empathie für das Kind entwickeln konnten, das unter dem Verhalten der Eltern schwer gelitten hat. Sollten später Gefahren im Leben des(r) Erwachsenen auftreten, wird er/sie besser ausgerüstet sein, um ihnen zu begegnen, weil er/sie seine alten Ängste jetzt verstehen und einordnen kann.
Dieses Vorgehen steht im krassen Gegensatz zu sämtlichen Formen der Behandlungen, in denen es darum geht, ein neues Verhalten einzuüben, oder um das Wohlbefinden zu verbessern (mit Yoga, Meditationen, positiven Gedanken usw). Hier wird das Thema der Kindheit in allen Fällen gemieden. Die Angst vor diesem Thema ist in der ganzen Gesellschaft gegenwärtig und leicht festzustellen. Ich führe sie zurück auf die Angst der einst geschlagenen Kinder vor dem nächsten Schlag, falls sie es wagen würden, die Grausamkeit ihrer Eltern zu durchschauen. Und da die meisten Menschen mit Schlägen (psychischen aber auch vor allem physischen, die immer noch als harmlos und notwendig angesehen werden) aufwachsen mussten, ohne sich wehren zu dürfen, ist diese Angst so verbreitet.
Sie zeigt sich auch in der Psychoanalyse, die bis heute dem Problem der Misshandlungen in der Kindheit ausweicht und es ausblendet. Ihre Theorien sind bereits auf dieser Angst vor den Eltern aufgebaut. So bleiben Analysanden wie auch Analytiker manchmal Jahrzehnte lang im Labyrinth, leiden permanent unter Schuldgefühlen, weil sie es den Eltern angeblich so schwer gemacht haben, das “gestörte” Kind zu verstehen, und wissen oft gar nicht, sie dürfen es nicht erfahren, dass sie schwer misshandelte Kinder waren. Ob eine Gesprächstherapeutin dieses Wissen ermöglicht, hängt davon ab, was sie über ihr Leben und ihre ersten Jahre weiss. Um diese Fragen zu klären, habe ich die FAQ Liste verfasst, die die Hilfesuchenden darüber orientieren kann, was sie zu erwarten haben, bevor sie sich binden.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet