Empörung als erster Schritt

Empörung als erster Schritt
Friday 29 June 2007

Liebe Alice Miller, liebe Barbara,
mit großer Erleichterung habe ich Ihre Antwort gelesen. Ja, es war eine traumatische Therapie. Ich habe es immer als ein Trauma für mich empfunden, das mein Leben nachhaltig beeinträchtigte und niemand glaubte mir…

Mir fällt auf Ihre Frage da eine Begebenheit ein von der ich glaube, dass sie einer der Grundsteine für das Aushalten für dieser Grausamkeiten ist.
Meine Mutter lernte einen neuen Partner kennen. Und die Art wie sie ihn mir vorgestellt hat, war schrecklich für mich. Ich war noch relativ klein.
Einen Nachmittag wartete ich darauf dass meine Mutter von der Arbeit kommt. Es klingelte im Haus. Ich schaute zum Fenster und sah einen fremden Mann. Ich hatte Angst. Trotzdem öffnete ich. Er sagte, dass er mit mir zusammen meine Mutter von der Arbeit abholen will…Ich zog meine Jacke an und stieg zu ihm ins Auto. Die ganze Fahrt über im Auto zitterte ich innerlich vor Angst, ich war ganz starr konnte kein Wort sagen und hoffte nur das wir bald ankommen…Wir holten tatsächlich meine Mutter ab. Es kam nur ein Lächeln von ihr und was sie sagte weiß ich nicht mehr…
Meine Angst vor ihm, war wie sich später zeigte, nicht unbegründet und ließ mich nie mehr los. Er war gefühllos, brutal und destruktiv. Meine Gefühle zählten nicht, obwohl ich meiner Mutter meine Angst mitteilte… Seit dem habe ich extreme Angst vor Menschen…
Letztendlich habe ich dann auch im Bezug auf den Therapeuten wieder meine Wahrnehmungen unterdrückt, weil ich die Sympathie meiner Kollegin nicht verlieren wollte, ich wollte nie wieder isoliert sein…Denn sie hatte mir ja ermöglicht mich zu fühlen und plötzlich konnte sie meine Wahrnehmungen nicht mehr bestätigen, das war furchtbar, als müßte ich sterben…
Ist das die Spur? Ich spüre, daß diese Begebenheiten einen Zusammenhang bilden. Im Moment traue ich meinen Wahrnehmungen noch nicht voll. Es ist wie eine offene Gefängnistür aus der man sich nicht heraus wagt, weil sie nur in weitere Gefängnisse führen könnte, womöglich ganz ohne Fenster…
Meine ganze Jugend über hat mich diese Blockierung der Gefühle, auf die ich bis heute glaubte kein Recht zu haben, krank gemacht. Die weiteren vergeblichen Therapien, haben mich noch mehr verschlossen, eingekapselt.
Kann ich darauf vertrauen, dass wenn ich hinterfrage, innere Dialoge aus der Sicht der heutigen Erwachsenen mit meinen Eltern (nur für mich, weil ich keinen Kontakt mehr möchte) führe, mich wehre gegen ihre Grausamkeiten, dass ich dann ein wenig mehr Kraft zum Leben bekomme? Ist die Empörung ein Prozeß der sich dann einstellt, wenn man beginnt die Seele des Kindes zu verteidigen? Kommt dann allmählich die eigene Würde zurück, meine Gefühle die ich leben kann?

Vielen herzlichen Dank. b.a.

AM: Sie fragen: “Kann ich darauf vertrauen, dass wenn ich hinterfrage, innere Dialoge aus der Sicht der heutigen Erwachsenen mit meinen Eltern (nur für mich, weil ich keinen Kontakt mehr möchte) führe, mich wehre gegen ihre Grausamkeiten, dass ich dann ein wenig mehr Kraft zum Leben bekomme? Ist die Empörung ein Prozeß der sich dann einstellt, wenn man beginnt die Seele des Kindes zu verteidigen? Kommt dann allmählich die eigene Würde zurück, meine Gefühle die ich leben kann?“
Ich kann alle diese Fragen absolut bejahen, Sie haben mich sehr gut verstanden, und nun wünsche ich Ihnen den Mut, diese Wege auszuprobieren. Ihre Angst wird ganz sicher abnehmen, weil das Kind dank Ihnen als Erwachsener die Kommunikation bekommen wird, die es immer brauchte und die es tragischerweise nie bekam.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet