Dank und: vielleicht kann Körperarbeit unterstützen?
Wednesday 27 February 2008
Liebe Frau Miller,
gerade habe ich mitten in einem Satz das Buch „Dein gerettetes Leben“ weggelegt und mich an den Computer gesetzt. Ich weiß noch nicht so richtig, wo ich anfangen soll, aber meine Erfahrung hat mir gezeigt: wenn ich etwas sagen will, finden sich die Worte mehr oder weniger alleine. Ein ganz tiefes Bedürfnis, das ausgedrückt werden will: DANKE!!! – für die Bücher und all die hineingelegten Gedanken, Zeit, Mühe und vor allem die unbestechliche Klarheit. Seit Mitte Januar diesen Jahres bin ich bereits beim 4. Buch von Ihnen. Ich spüre, wie ein innerer Sturm immer stärker wird. Es ist nicht beängstigend oder unheimlich, es macht mich eher neugierig und erstaunt: „soviel Kraft?“ Seit über 25 Jahren besitze ich nun diese anderen 3 Bücher (das „Drama“, „Am Anfang …“ und „Du sollst nicht…“) und erst jetzt – mit fast 48 –war ich offenbar bereit, sie zu lesen!
Wohl war mir klar, dass meine Erziehung nicht so ideal war, gröbste Grausamkeiten, wie ich sie in Ihren Büchern gelesen habe, gab es zumindest laut meiner Erinnerungen nicht. Allerdings empfand ich als Kind viele Dinge als durchaus grausam: etwas aufessen zu müssen, vor dem es einen ekelt oder die Angst, mit der ich den ganzen Tag allein war, wenn meine Mutter mir drohte, sie würde abends meinem Vater erzählen, was ich getan hatte. Was das war, weiß ich nicht mehr, ebenso wenig, was seine Reaktion war. Aber an die Angst kann ich mich ganz gut erinnern.
Schon viele Jahre beschäftigt mich die Frage, warum ich mehrere Male hintereinander den gleichen Typus Mann gewählt hatte, bei dem ich mich nach einer Weile immer wie vor einer Wand fühle, woher meine Lethargie, meine Ängste, mein mangelndes Selbstbewusstsein, Migräneanfälle und Wutausbrüche (z.T. sogar, aber leider nicht nur, gegen Gegenstände, die nicht meinem Willen folgen!!) herrühren. Ich merkte, sie passen eigentlich nicht richtig zu meiner Persönlichkeit, aber wo lag der Ursprung?
Dann habe ich bei meiner Tochter beobachtet, wie sie mit 10/11 Jahren, Wutanfälle auch schon früher, anfing, ganz ähnliche Symptome zu entwickeln. Die Theorie mit den Genen hielt ich selbst für zu einfach und unbefriedigend.
Mit 10/11 Jahren – das ist die einzige bewusste Erinnerung an einen solchen Vorfall – hat mir mein Vater den Hintern versohlt, weil ich seinen Erklärungen zu einer Mathe-Hausaufgabe nicht folgen konnte.
Nach der Lektüre Ihrer Bücher fällt mir so vieles wie Schuppen von den Augen – vage gefühlte Zusammenhänge stehen nun klar und deutlich vor mir! – und ich mache in Gesprächen mit anderen Mütter leider auch sehr häufig die Erfahrung, dass diese sofort in eine Art Verteidigungshaltung verfallen.
Jetzt weiß ich, warum, wenn ich meine Tochter anbrüllte, oder meinen Partner, ich zwar mich selbst beobachten konnte und entsetzt war, aber nichts verändern konnte. Jetzt verstehe ich, dass das gleiche wohl auch mit mir passiert sein muss. Und manchmal – noch sehr leise, zaghaft und selten – aber doch deutlich kommen Gefühle hoch, die ich mit Wut beschreiben kann.
Was mir vor ca. 3 ½ Jahren geholfen hat, zu SPÜREN, was da so allen in mir verborgen ist, war eine Therapieform, die ich entdeckte auf er Suche, wie ich denn als Heilpraktikerin arbeiten wollte, ohne jemanden stechen, verbiegen oder mit „alternativen Heilmitteln“ zuschütten zu wollen. Es ist in der Basis eine wertfreie Körperarbeit, bei der der Klient durch die Hände des „Beraters“ und durch dessen Körper, seine eigene Körperform in einer Art „Spiegelung“ erhält. Die Augen sind dabei geschlossen, d.h. die Konzentration liegt ganz im Fühlen des eigenen Körpers.
Bei mir hat diese Bewusstwerdung meiner Körperhaltung und die Aufrichtung daraus eine Welle von Gefühlen ausgelöst, die sich schwer beschreiben lässt. Eine Mischung aus Sich-Verraten-Fühlen, Mitgefühl, Trauer, Auflehnung, Wut, Wertlosigkeit, aber auch eine Art Befreiung „ich darf so sein!“ – alles ohne jegliche konkrete Erinnerungsbilder – den Rest dieses Seminartages liefen fast ununterbrochen Tränen, aus denen aber auch hin und wieder ein spontanes Lachen hervorbrach. Am Abend dachte meine Tochter, ich hätte hohe Schuhe an, weil ich ihr viel größer vorkam. Seitdem ist die Migräne immer „kleiner“ geworden, inzwischen ist sie vollständig verschwunden. Die kraftlosen, lethargischen, mutlosen Phasen sind besser auszuhalten, v.a. jetzt auch nach dem Lesen Ihrer Bücher, aber ich merke, wie ich unendlich neugierig werde, was da noch in mir steckt und ich werde mir eine passende Therapeutin suchen.
Es erschüttert mich zutiefst, was manchen Menschen in ihrer Kindheit und folglich auch in ihrem Erwachsenenleben widerfährt!! Momentan bin ich noch sehr mit meinen eigenen Prozessen beschäftigt, aber ich spüre schon sehr klar, wohin mein weiterer Weg gehen muss! Ich werde kaum anders können, als sovielen Menschen, wie es mir persönlich möglich ist, zu helfen, sich und das Kind in ihnen zu erkennen und mit ihm gemeinsam sich auf einen neuen Weg zu begeben. Vielleicht beschränkt sich diese Hilfe darauf, sie anzuleiten, sich einen guten Therapeuten zu suchen, vielleicht kann ich durch Ihre Flugblätter ein paar Menschen erreichen und vielleicht kann ich mit Hilfe der erlernten Therapieform einigen den Weg zu ihren ureigensten Gefühlen ebnen. Es nicht wenigstens zu versuchen, wäre Verrat an meinen Gefühlen!
Großen Dank für Ihr Lebenswerk! I. H.
AM: Danke für Ihren Brief. Sicher kann die Arbeit mit dem Körper sehr hilfreich sein, sofern der Therapeut den Mut hat, die Eltern nicht vor den Vorwürfen zu schützen.