Weshalb helfen AM Bücher?

Weshalb helfen AM Bücher?
Wednesday 18 November 2009

Sehr geehrte Frau Miller,

es ist für mich (39 J.) wundervoll zu wissen, dass es Sie mit Ihren Büchern gibt. Einfach unbeschreiblich erlösend ist für mich Ihr Buch „Du sollst nicht merken“.

Mit Hilfe dieses Buches haben sich die letzten Puzzleteile endlich zusammen gefügt, so dass ich einfach alles in meinem Leben verstanden habe. Besonders hilfreich waren Ihre Ausführungen zu Freud und seine Theorien, Hitler, die Erklärungen zum Thema Schweigen und Verdrängung, Depression als Ausdruck des unterdrückten Selbst und die Unantastbarkeit der Eltern.

Auch Ihre kritische Haltung zu der Verehrung Gottes und Ihre aufgeworfene Frage, warum eigentlich Josef nicht verehrt wird, fand ich sehr inspirierend. Dadurch habe ich verstanden, warum in Politik und Gesellschaft sexueller Missbrauch wissentlich toleriert und damit gefördert wird.

Wie Sie unschwer erahnen können, bin ich selbst auf das Schwerste missbraucht worden. Die Unfassbarkeit, was meine Eltern mir angetan haben, ist in meinen tiefsten Schichten angekommen. Und erst jetzt kann ich ungläubigen Hass gegen meine Eltern empfinden, der sich endlich nicht mehr gegen mich selbst richtet. Ich lag unzählige Male im Sterben und mein Leid war groß.

Doch ich hatte das „Glück“, einen ungemein starken Überlebensinstinkt zu haben, der mich meinen eigenen Weg hat finden lassen. Dafür bin ich vor 5 Jahren aus meinem Beruf ausgestiegen und in die Berge gezogen. Ich habe mir im Selbststudium alles über Emotionale Intelligenz bis hin zur Bewusstseinsforschung angeeignet. Ich habe an mir jede Erkenntnis und Methode ausprobiert und sie daraufhin überprüft, was davon meiner Seele hilft und was nicht. Zwar verstand ich immer mehr, aber wesentlich besser ging es mir nicht.

Dann fühlte ich dieses Jahr etwas Böses in mir aufsteigen. Ich empfand Mordgelüste gegenüber anderen Menschen. Ich war erschrocken über mich selbst und spürte, dass jetzt nicht mehr nur ich sondern auch andere Menschen in Gefahr waren. Und dann fielen mir zum Glück Ihre Bücher in die Hände. Ich fühlte mich so verstanden und konnte mir endlich meine Wut GEGEN MEINE ELTERN erlauben.

Manchmal fühle ich eine so rasende Wut, weil ich nichts mehr gegen meine Eltern unternehmen kann. Alles ist verjährt, obwohl ich erst 39 Jahre alt bin. Als Juristin sind mir natürlich die Konsequenzen bewusst, die es mit sich bringen würde, wenn weltweit die Verjährungsfrist für Missbrauch abgeschafft würde: Unsere Gerichte würden wegen Arbeitsüberlastung zusammenbrechen und die Gefängnisse wären überfüllt.

Denn ich glaube, dass es den meisten Menschen gar nicht bewusst ist, wie viele Täter es auf dieser Welt gibt: Genau so viele wie Betroffene! Und die sitzen überall (Ärzte, Psychiater, Richter, Abgeordnete, Rechtsanwälte) und verhindern Gerechtigkeit. Und genau deshalb werde ich von nun an Betroffene seelisch beraten und mich juristisch einsetzen. Ich kann gar nicht anders, es ist mein tiefster Wunsch meinen Teil dazu beizutragen, dass es irgendwann gerechter zugeht.

Ich habe noch einen langen Weg vor mir, aber mir geht es endlich deutlich besser. Meine ambivalenten Gefühle sind vorbei und meine Wahrnehmung ist vortrefflich geworden. Vor allen Dingen ging das dann relativ schnell, nachdem ich Ihre Bücher gelesen habe. Darüber bin ich am meisten verwundert und ich wünschte, Therapeuten und Psychiater würden Ihre Überzeugungen berücksichtigen. Leider tun sie das nämlich immer noch nicht, ich kann also auch keinen guten empfehlen, dabei habe ich wirklich viele ausprobiert.

Ich wollte mich mit diesem Brief bei Ihnen bedanken. Ihre Einsicht und Weitsicht sind für mich unglaublich. Sie haben das alles bereits vor knapp 30 Jahren gewusst und publiziert, das ist grandios! Schlimm ist, dass sich seitdem kaum etwas verändert hat.

Aber wir gehen in ein neues Zeitalter und es werden immer mehr Opfer bereit sein, das Schweigen zu brechen. Denn letztendlich können nur wir, die Betroffenen, etwas ändern. So lange wir das Spiel mitmachen und Schweigen, geben wir unseren Eltern und den anderen Tätern die Macht.

Danke für Ihre Kraft, Ihr Durchhaltevermögen und Ihre Liebe, Sie sind ein großes Vorbild für mich!

Herzliche Grüße

A. E.

AM: Ich habe mich über Ihren Brief SEHR gefreut, natürlich über die Tatsache, dass Ihnen meine Bucher ( und vor allem Du sollst nicht merken, das ich für besonders wichtig halte), so gut geholfen haben. Doch vor allem freut es mich, dass Sie offenbar begriffen haben, WESHALB Ihnen diese Bücher helfen konnten.
Die aufgezwungenen Schuldgefühle, gepaart mit der Angst vor Bestrafung, die den berechtigten Zorn blockieren, bilden oft den größten Widerstand gegen den Weg, den Sie zu gehen gewagt haben. Sie wirken wie ein Gift für den Körper. Aber wenn man sich vor der Angst vor den Eltern befreien kann (weil man gesehen und gespürt hat, wie schmerzhaft sie uns verletzten), dann wird der Zorn frei und schenkt den Verletzten die Kraft zu fühlen und Schritte zu unternehmen, die seit langem fällig waren.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet