Schwarze Pädagogik

Schwarze Pädagogik
Wednesday 20 September 2006

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Alice Miller,

dank Ihrer Bücher konnte ich den Schleier vor meinen Augen entfernen und die Methode erkennen, welche der Wahsnsinn hat. Demütigung, „Zucht und Ordnung“, schonen der Eltern – alles erlebt und durchlitten. Und ich bin auf dem Weg der Besserung; doch nicht nur das. Dank Ihrer Bücher und einiger anderer habe ich einen Blick bekommen für Probleme, die offensichtlich verdrängt werden. Für den Wahnsinn, der Methode hat.

Immer noch müssen Kinder im Zeichen der Erziehung Demütigungen und Schlimmeres hinnehmen. Immer noch werden Erziehungsmethoden, die aus dem Buch „Schwarze Pädagogik“ wörtlich entnommen zu sein scheinen, angewandt. Im Privatfernsehen gehen sog. „Super-Nannys“ kalt lächelnd den Weg der Erniedrigung, reden Kindern Schuldgefühle ein und sperren sie ins Zimmer auf den „stillen Stuhl“. Natürlich sehe ich mir solche Sendungen nicht mehr an, da rege ich mich zu sehr auf. Aber ich lese Zeitung.

Ab und zu auch die BILD-Zeitung. Und da läuft gerade eine Erziehungsserie. Erst gab der Internatsleiter von Schloß Salem sein Wissen zum Besten, das allerding fast ohne schwarze Pädagogik auskommt. Doch nun können Eltern anrufen und „Experten“ befragen. Allesamt Experten in schwarzer Pädagogik. Keiner kommt auf die Idee, nach den Gründen und Ursachen bei Problemen der Kinder zu fragen. Aber alle haben Ideen, wie man Kindern das abgewöhnen kann. Sei es das Fläschchen mitten in der Nacht, das ein Eineinhaljähriger noch haben möchte, seien es andere Dinge.

Besonders schockiert hat mich der folgende Fall: ein sechsjähriges Mädchen möchte von seiner Mutter nicht mehr angezogen werden (!!!!) und weigert sich, in den Kindergarten zu gehen. Zuerst gibt die Expertin den Rat, im Kindergarten nachzufragen, ob es irgendwelche Probleme gibt. Sei das nicht der Fall, handle es sich um einen „Machtkampf“ zwischen Mutter und Tochter, den die Mutter für sich entscheiden müsse. Das Kind müsse sich daran gewöhnen, rechtzeitig angezogen zu werden und fertig für den Kindergarten zu sein. Gelinge das nicht, emrpfiehlt die „Expertin“, das Kind im Schlafanzug (!!!!!!!) in den Kindergarten zu bringen.

So wird es uns nie gelingen, aus Kindern empfindsame Erwachsene und einfühlsame Eltern werden zu lassen. Ich dachte bei der Lektüre, ein Pamphlet aus längst vergangener Zeit in Händen zu halten. Aber nein, das Datum war von heute, aus dem 21. Jahrhundert.

Was kann man tun, um diese Leute aufzuhalten? Kann man sie überhaupt aufhalten? Wer hilft den Kindern?

Ebenfalls gestern lief in Arte ein Bericht über Teufelsaustreibungen im Kongo. Die christlichen Kirchen haben es geschafft, den alten Teufelsglauben mit ihrer Doktrin zu mischen. Das Ergebnis ist sensationell.

Wurden nach dem alten Glauben nur Erwachsene und auch hier überwiegend Ältere Menschen vom Teufel besessen und dieser mit Kräutern, Waschungen u. ä. ausgetrieben, sind die Gläubigen nun auf ihre Kinder verfallen. Diese müssen hungern (bzw. fasten), bekommen Peperonisaft in die Augen gerieben und werden manchmal ohne Betäubung vom Priester operiert. Dieser holt dann aus der Wunde ein Stück Fleisch, das angeblich der Teufel ist und dieser sei damit ausgetrieben. Wenn das Kind Glück hat, darf es zurück zu den Eltern.

Die meisten aber haben dieses Glück nicht, sie werden verstoßen, ausgesetzt, müssen auf der Straße ums Überleben kämpfen. Hilfe bekommen sie nicht, schließlich sind sie ja von Teufel (Kendoki) besessen.

Dies alles spielt sich nicht nur im Kongo, sondern auch und gerade in Großbritannien ab. Man (ich) möchte schreien ob dieser Zustände. So bleibt es bei dieser Email und der Frage, ob Sie nicht warnen können vor den „Ratschlägen“ der BILD-Zeitung. Übrigens, auch Ratschläge sind Schläge.

Vielen Dank, dass Sie bis hierher gelesen haben, Danke für Ihre Geduld. Das war mit wichtig mitzuteilen, vor allem an jemand, der mich versteht. Gerne dürfen Sie veröffentlichen, entweder mit Abkürzung oder unter vollem Namen. Auch für evtl. Rückfragen stehe ich gerne zur Verfügung. Und meine eigene Geschichte, die folgt später.

Mit freundlichen Grüßen, Klaus Speck

AM: Danke für Ihren Bericht. Die Geschichte mit dem Pyjama zeigt den Sadismus mancher Experten, den diese gar nicht wahrnehmen, weil sie noch nicht entdeckt haben, dass sie selber als Kinder sadistisch behandelt wurden und unbewusst die tollen Tricks ihrer Eltern übernommen haben. Warum erwarten Sie von mir, dass ich dorthin schreibe, statt selber dies zu tun? Ich schreibe ja seit Jahren darüber. Doch die Zeitungen sollten erfahren, dass ich nicht die einzige bin, dass nicht alle Leser sich für dumm verkaufen lassen und dass manche die unbewusst angebotene Grausamkeit der Schwarzen Pädagogik bereits besser durchschauen als die Redakteure der Zeitungen. Warum wird niemals empfohlen, das Kind nach seinen Gefühlen zu befragen anstatt es zu bestrafen (z.B.: Weshalb willst du nicht zur Schule, hast du vielleicht Angst? kann ich dir helfen, deine Angst zu verstehen?). Nein, es werden Rezepte angeboten, Ratschläge, was zu MACHEN sei, anstatt zu VERSTEHEN, womit das Kind Schwierigkeiten hat. Weil man dann nicht mehr die Machtperson sein kann.
Wenn sich die Leser nicht melden (warum eigentlich? aus Furcht vor den eigenen Eltern, die ebenfalls Lügen für die höchste Wahrheit angeboten haben?), dann wird sich ja nichts verändern; der Glaube an die „Experten“ bleibt unerschüttert, niemals hinterfragt.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet