Demütigung an Schulen, Traumata nach OP

Demütigung an Schulen, Traumata nach OP
Wednesday 23 May 2007

Liebe Frau Miller,
anfangs ablehnend, wurde mir immer mehr – auch schmerzlich – bewußt, dass Ihre Theorien wahr sind. Ich habe mich auf den Weg gemacht, diese Dinge in meiner Biographie aufzudecken. Ich sehe in erschreckendem Maße meine Prägung, die sich in der Erziehung meiner eigenen Kinder wiederspiegelt. Woher kommen die Sätze, die ich sage? Manchmal graut mir vor mir. Zum Teil erschreckt mich der Umgang mit meinen Kindern und ich frage mich, was haben sie mir früher alles angetan. Mein Bauch kennt zum Glück den Weg und seit ich ihm immer mehr Gehör schenke, werde ich feinfühliger für die Nöte meiner Kinder. Dafür möchte ich Ihnen danken. Ihre Schriften haben mir die Echtheit meiner Gefühle gezeigt. Der Weg ist mühsam, aber er lohnt sich.
Auf perfide Weise habe ich die unglaubliche Wucht ihrer Thesen in der Schulzeit meines Sohnes persönlich am eigenen und am Leib meines Sohnes erlebt. Leib natürlich nicht, denn die Prügelstrafe ist ja abgeschafft. Aber die seelische Grausamkeit mancher Lehrer kennt keine Grenzen. Was sich in diesem Bereich an Menschen tummelt, denen die Kinder vertrauen, verschlägt einem die Sprache und spätestens dann weiß man den Begriff „es graut mir“ zu deuten.
Gerade für Eltern wäre es unendlich hilfreich, die Machenschaften, den sozial- geistigen Mißbrauch an den Kindern aufzudecken. Ich würde es begrüßen, wenn Sie zu diesem Thema etwas schreiben könnten. Unser Kind hat mittlerweile ein Schultrauma und ist fest davon überzeugt, ein schlechter Schüler zu sein. Mir als Mutter dreht sich da der Magen um und ich frage mich, wie ich meinem Kind wieder ein gesundes Selbstbewußtsein geben kann.Wie kann ich mein Kind vor solchen Lehrern schützen? Ich sage ihm zwar, dass seine Gefühle richtig sind, aber er verteidigt seine Lehrerin vehement, da er sich sehnlichst wünscht, dass sie ihn beachtet und ihn mag. Das schlechte Verhältnis zwischen mir und seiner Lehrerin belastet ihn natürlich auch schwer und er sitzt zwischen zwei Stühlen. Wir beenden die Situation zwar mit einem Schulwechsel aber solche Lehrer lauern ja überall. Entgehen wird man ihnen nicht.
Wir sind natürlich traumatisiert durch Erziehung. Wie sieht es aber mit Traumata durch Operationen aus? Selbst als Baby durch eine Operation schwer traumatisiert, habe ich einer OP meines Sohnes mit 1, 5 Jahren zugestimmt. Seit dem gehen wir durch die Hölle. Da ich diejenige war, die ihn begleitet hat, hat er absolut kein Vertrauen mehr in mich. Durch die Schulsituation verstärkt sich das ganze Problem noch, da mein Mann und ich zunächst davon ausgingen, dass die Schuld bei unserm Sohn liegt. Wir sind zwar mittlerweile mit ihm in therapeutischer Behandlung, ich befürchte aber, dass die Maßnahme nur an der Oberfläche bleibt und nicht tiefenpsychologisch behandelt wird. Aus meiner eigenen Geschichte mit meiner Mutter weiß ich, dass sich nichts einfach auflöst und die zerstörte Beziehung zwischen uns ist nicht zu kitten. In der Geschichte mit meinem Sohn lerne ich zwar Stück für Stück immer mehr Geduld für seine Lage aufzubringen. Da er aber in seinem Vertrauen zu mir so nachhaltig gestört ist, schafft er es immer wieder für sich die Tatsache zu schaffen, dass ich ihn nicht liebe. Wie kann man diesen Teufelskreis durchbrechen?
Wenn ich mir die Operationswut in Deutschland so ansehe, dann frage ich mich, wie viele Personen da draußen herumlaufen, die nicht wissen, wie nachhaltig sie in ihrem Urvertrauen gestört sind und wie dieses Ereignis ihr Leben bestimmt, ohne, dass sie etwas daran ändern können. Manchmal sind die posttraumatischen Schmerzen bei mir so groß, dass ich mir wünsche, sie hätten mich einfach nur sterben lassen. Für mein Leben wäre das leichter gewesen. Für meine Kinder habe ich beschlossen, zu kämpfen. Die Narben nach einer OP mögen gut heilen, der tiefe Einschnitt in die Seele verheilen nicht und ich staune (nach ihren Büchern eigentlich nicht mehr!) wie nonchalant an uns und besonders Kindern rumgeschnippelt wird.
Wenn es Ihre Zeit erlaubt, freue ich mich auf Antwort.
Seien Sie herzlich gegrüßt, R. L.

AM: Haben Sie schon versucht, Ihrem Sohn zu sagen, dass es ein Fehler war, ihn zu schlagen, dass Sie das damals nicht wussten, aber jetzt erst wissen, wie schädlich das sei? Sie können ihm versprechen, es nie wieder zu tun und ihn bitten, Sie an das Versprechen zu erinnern, falls Sie wieder einmal „die Geduld verlieren“ sollten. Sie können uns schreiben, wie er darauf reagiert hat.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet