Der Hass der Mutter
Wednesday 19 August 2009
Sehr geehrte Frau Miller,
ich habe einige Ihrer Bücher gelesen und ich bin Ihnen sehr dankbar, dass mich diese Lektüre ermuntert hat, weiterzudenken, das Undenkbare zu denken. – Gerade schlich sich ein Schreibfehler ein, den ich „brav“ korrigiert habe: das Undankbare zu denken… – Doch bei all diesem Denken fühle ich mich so hilflos, mir fehlt ein Adressat, einer der mich wirklich versteht. Irgendwie können Nichtbetroffene die Tiefe des Schmerzes nicht verstehen. Vor ein, zwei Jahren war ich aktiv in Ihrem Internet-Forum. Doch da hat mich die Grausamkeit der Erfahrungen der Anderen erschreckt, mein Leiden kam mir so lächerlich gering vor. Aber es hört nicht auf. Es ist nicht lächerlich. Mein Körper zeigt die kuriosesten Symptome, die ich nicht deuten kann. Ich komme mir vor, als hockte ich nach über 50 Jahren immer noch in der Kartoffelkiste, in die meine Mutter mich in ihrer Wut gesteckt hat, nachdem ihre erste Bestrafung, mich zu verprügeln und dann in den Keller einsperren, nur zu meiner wütenden Gegenaggression geführt hatte. Ich war noch so klein – an mein Alter kann ich mich nicht mehr erinnern –, dass ich die Bretterwand in der Kellerecke nicht überwinden konnte. – Meine Mutter lebt noch, bedeckt mich weiter mit ihrem Hass. Und ich dachte, ich tue das, was „alle“ tun, kümmere mich um die alte Frau im Betreuten Wohnen. Doch immer noch gelingt es ihr, mich tief zu beleidigen. Vor drei Wochen habe ich gedacht, dass ich einen Strich unter die Angelegenheit „Mutter“ ziehen könnte. Vorbei, diese letzte Beleidigung war zu heftig. Ich kümmere mich nicht mehr um sie, rufe nicht an, fahre nicht vorbei. Äußerlich. Doch über mir hängt jeden Tag das „schlechte Gewissen“. Ich muss mich sehr zusammenreißen, andere Verwandte nicht nach ihrem Befinden zu fragen. – Ich kann meine Mutter nicht hassen, nicht loslassen, obwohl sie mich hasst. Warum nur nicht? Sie hasst mich, seitdem ich auf der Welt bin. Sie hasst mich, weil sie zweiundzwanzigjährig ihren Sohn durch einen Unfalltod verloren hat, und weil ich neuneinhalb Monate später weiblich und rothaarig auf die Welt kam, nicht männlich und dunkelblond wie ER. Sie hat ihr Trauma niemals aufgearbeitet, hat mich als Ziel ihres Hasses erkoren, ihres Hasses auf ihr ungerechtes Schicksal. – Ihre Bücher sprechen vom Hass, der sich gegen aggressive Eltern richten kann. Doch ich bin unfähig zu diesem Gefühl. Und so bleibe ich immer in dieser Opferrolle in der Kartoffelkiste hocken, ohne Ausweg. – Haben Sie diese Thematik in einem Ihrer Bücher beschrieben? Vielleicht habe ich das noch nicht entdeckt?
Ein freundlicher Gruß von EBR
AM: Ich habe in ALLEN meinen Büchern darüber geschrieben. Wenn Sie das noch nicht entdeckt haben, lesen Sie mein Buch “Dein gerettetes Leben”.