was kann ich tun?

was kann ich tun?
Thursday 14 February 2008

sehr geehrte frau miller

ich habe schon mehrere bücher von ihnen gelesen und bin seit jahren in einem prozess – in einem dialog mit meinem inneren kind. zum glück habe ich auch einen therapeuten, der mich auf dem weg auf eine gute weise unterstützt.
warum ich mich heute an sie wende ist folgendes:

von beruf bin ich heilpädagogin (habe selber 4 erwachsene kinder) und arbeite mit kindern und jugendlichen in einer psychotherapiestation – mit kindern und jugendlichen, die allesamt schwerste verletzungen ihrer integrität (sexueller missbrauch, gewalt, verwahrlosung) erlebt haben und nun, weil niemand sie mehr haben will dort „landen“, sogenannte schwierige kinder!
gerade aus meiner auseinandersetzung mit dem eigenen schmerz, dem kontakt zu meinem „kind“ habe ich einen guten zugang zu diesen kindern. natürlich sind sie im sozialen „schwierig“, indem sie nach aussen stellen, re-agieren ausagieren, was in ihnen als unsagbarer schmerz und lebensunsicherheit vorhanden ist. sie ecken überall an, sind teilweise delinquent, gewalttätig und werden von der psychiatrie mit allen bekannten krankheitsetiketten versehen.

ich selber erlebe im umgang mit ihnen so deutlich, dass sie nicht „krank“ sind, dass sie im grunde genommen „gesund“ reagieren auf krankmachende bedingungen.

wo ich immer wieder fragend anstehe ist, wie ich mit diesem wissen, oder vielmehr mit diesem tiefen empfinden für das „gesunde“ in ihnen, diese menschen begleiten, zum lernen, zu ihrer neugier am leben heranführen kann, dies vor allem in einem umfeld, das oftmals monokausal die schwierigkeit bei ihnen ortet.

gerade das, was sie in ihrem letzten buch geschrieben haben, von den „helfenden zeugen“ trage ich in mir und frage mich, wie ich ihnen „helfender zeuge“ sein kann.
von meinen eigenen kindern durfte ich erfahren, wie kostbar und verletzlich kinder sind.

ich weiss nicht, ob sie meine frage oder mein anliegen verstehen.

mit freundlichen grüssen und grossem dank für ihr unermüdliches und unerbittliches einstehen für die integrität und den schutz des lebendigen in den kindern und den menschen.

e. b.

AM: Sie fragen mich, ob ich Ihr Anliegen verstünde. Selbstverständlich verstehe ich Ihre Lage und das Gefühl der Ohnmacht, aber weiß auch, dass es Wege gibt, aus der Hilflosigkeit herauszukommen. Offenbar leben und arbeiten Sie in einer Umgebung, in der Sie sich isoliert und unverstanden fühlen. Könnten Sie sich vorstellen, dass Sie meine Flugblätter, die Sie auf dieser Webseite finden, ausdrucken und unter den „schwierigen“ Jugendlichen verteilen? Sie könnten dies als Grundlage für ein Gruppengespräch benützen, um zeigen zu können, WESHALB sie so geworden sind, wie sie jetzt ungewollt sind, und dass sie das ändern können. Eine Frau in einer ähnlichen Lage wie Sie hat das getan und war erstaunt, dass sonst schwer zugängliche Leute neugierig und nachdenklich wurden. Sie hat solche Gespräche dann mehrmals durchgeführt, mit erstaunlich guten Resultaten. Dies wird selten getan, weil die meisten Betreuer ihre eigenen Eltern noch sehr fürchten. Aber die Wahrheit tötet nicht. Es sind die Lügen und Selbstlügen, die uns krank oder gar „ver-rückt“ machen.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet