Den Gefühlen gefolgt
Saturday 07 November 2009
Liebe Alice Miller
Am Anfang war Erziehung, dieses Buch war mein Einstieg vor 25 Jahren in Therapie. Ich bin Ihnen heute noch dankbar für dieses Buch, weil es mir half, zu verstehen, aber noch nicht zu fühlen. Sie und Virginia Satir waren meine Türöffner fürs Leben und haben mich mein Studium lang begleitet.
ich verschlinge jetzt gerade ihr Buch “das gerettete Leben”. Es hat mich schwer beeindruckt, da ich ganz viel Erfahrungen bestätigen kann, von denen Sie schreiben in den Leserbriefantworten. Ich bin Ihnen so unendlich dankbar, dass Sie es wagen auszudrücken, was ich immer schon als Kind und erwachsene Frau empfunden habe. Nie habe ich gewagt,meine Mutter dafür zu hassen, für ihre seelischen Mißhandlungen und körperlichen Übergriffe an mir. Nach 25 Jahren verschiedener Therapieformen von Gestalt,Ausdrucksmalen,Gesprächstherapie und nun endliche Körpertherapie(Skan) kann ich zulassen, was ich als so verlassenes hilfloses Mädchen gefühlt habe, und es ist eine unendliche Einsamkeit herausgekommen nach Demütigungen, Lügereien, Kleinmachen,Beschämungen,bewußt Angst machen ( soll ich dich auf dem Markt verkaufen)und vieles mehr.Auch Angst vor einer neuen Beziehung zu einem Mann, der mich ja auch wieder verlassen könnte. Aber ich kann die Schmerzen in der Therapie aushalten und darf sie endlich rauslassen, auch die Wut und den Haß, und der ist beträchtlich. Ich sollte ihr helfen, als sie suizidal vom Balkon springen wollte und nach dem Tot ihres Mannes Schlaftabletten liegen hatte. 10 Jahre lang hat sie damit gedroht, sie zu nehmen und ich habe sie gestützt.Sie kennt ja meine Verlassenheitsangst, welche sie gut geschürt hat. Ich tät es noch heute, hätte ich nicht angefangen zu fühlen. Ein ISDN Telefon schützt mich nun vor ihren Anrufen seit 5 Monaten.
Vor 13 Jahren ( 39 Jahre alt)hatte ich Krebs und es war nicht sicher, ob ich es überleben würde. Ich wollte aber, und setzte alles dran. Nun weiss ich, dass ich mich immer überfordert habe und genauso rücksichtslos mit mir und meinem Körper umgegangen bin wie meine Mutter mit meinem. Ich wusste einfach nicht, was ich da tat. Nun kann ich überhaupt mal Grenzen setzen und nein sagen, auch wenn es schwer fällt, und ich glaube, verlassen zu werden. Ich werde es heute überleben, damals dachte ich zu sterben.
Es ist so heilsam und gibt endlich Ruhe in meinem Körper, weil meine inneren Spannungen und Ängste sich langsam bessern. Ich kann Nähe zu anderen Menschen zulassen und muss nicht immer auf der Flucht sein.Auch einen neuen Mann möchte ich mir suchen.
Das Menschen sich vor diesem inneren Leid, Schmerz,Hilflosigkeit fürchten, kann ich so gut verstehen. Sie brauchen wirklich jemanden, der davor nicht zurück schreckt.Ich habe so einen Therapeuten gefunden, der sehr viel Mut hat und dadurch ich auch.
Das ewig brave Mädchen ist nicht mehr da,( bin 53 Jahre alt jetzt) und ich nehme den Tot meiner Mutter in Kauf, indem ich sie nicht mehr stütze und helfe und gleichzeitig mir sagen lassen muss, wie daneben ich doch bin und sie alles besser weiss. Ich darf sie hassen und verlassen.
Lieber Frau Miller, dieser Brief ist nur für Sie gedacht als unendlicher Dank dafür, dass Sie nie aufgegeben haben so wie ich und heute nach 25 Jahren das schreiben, was ich nun erleben kann.
Falls Sie doch den Brief veröffentlichen wollen, dann doch bitte ohne meinen Namen,weil es so schnell zuzuordnen ist.
Ganz herzlichst
AM: Danke für die Erlaubnis, Ihren Brief zu veröffentlichen, weil er andere Besucher ermutigen wird, ihr eigenes Schicksal zu erkennen und das Leiden auszuhalten, um sich davon frei zu machen. Sie dürfen Ihren Gefühlen folgen und danach leben. Das ist wunderbar.