erstes, leises Zeichen

erstes, leises Zeichen
Sunday 04 May 2008

Liebe Alice Miller,

vor einiger Zeit bekam ich das Buch „Die Revolte der Körpers“ von Ihnen zu lesen. Meine Gedanken waren, endlich jemand der mich versteht. Seither habe ich fast alle Ihre Bücher gelesen. Die letzten habe ich gerade bestellt.
Ich stecke noch voll in der Aufarbeitung meiner Kindheit und es macht mir noch alles sehr viel Angst.
Ich war ein ungewolltes Kind. Schon als Baby wurde ich sehr oft grün und blau geschlagen. Sehr oft gequält, Gedemütigt und Misshandelt. Meine Mutter hat versucht mich umzubringen und durch Essenentzug mich gefügig gemacht.
Als ich ca. drei Jahre war fing mein Vater an mich sexuell zu missbrauchen. In diese Zeit fallen auch die Sexorgien mit den Messegästen. Ca. ein Jahr später fing dann mein Opa (väterlicher Seit`s) auch an mich sexuell zu missbrauchen. Als ich so ungefähr fünf Jahre alt war starb mein Opa und ich dürfte oder musste bei meiner Oma schlafen (das sie nicht so alleine ist). Sie wohnte nur über der Straße von meinen Eltern, brachte mich abends ins Bett und ging wieder zu meinen Eltern rüber, den Abend zu verbringen. Der Nachbar meiner Oma bekam den Schlüssel und sollte immer mal nach mir sehen. Am Anfang war er sehr nett und freundlich bis er sich später als ein Monster entpuppte und regelrecht über mich herfiel.
Bis dahin hatte ich niemand mit dem ich hätte reden können oder der mich verstand. Ich wurde immer ruhiger und verstummte dann ganz. Seine Drohungen zu schweigen kamen noch dazu. Selbst den Kontakt zu Schulkameraden brach ich ab auch den Lehrern im Unterricht habe ich keine Antwort mehr gegeben und lebte ganz apathisch.
So verlief meine Kindheit über die ich nichts mehr wusste.
Als ich ungefähr 13 war sprach mich unser Pastor an und ich hatte das Gefühl er ve4rsteht mich. Über einen langen Zeitraum hatten wir viele Gespräche aber aus meiner Kindheit kam nichts an die Oberfläche. Aber es war eine gute Zeit für mich, denn ich fing wieder an zu reden, wenn auch mit sehr viel Misstrauen.
Mit 27 Jahren lernte ich dann meinen Mann kennen, der sehr lieb und nett war. Den Pastor verlor ich aus den Augen. Mit 28 heiratete ich dann und bekam mein erstes Kind. Als das Kind da war fing mein Mann an mich zu schlagen und zu vergewaltigen. Mit 30 Jahren bekam ich mein zweites Kind und mit34 Jahren mein drittes Kind. Mein Mann änderte sich nicht und schlug auch meine Kinder. Ich wurde immer verzweifelter aber merkte erst sehr spät was eigentlich passiert. Mir 37 Jahren habe ich mich von meinem Mann getrennt, es war der einzige Weg um meine Kinder zu retten. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nichts von meiner Kindheit, aber vielleicht habe ich es gespürt oder erahnt um zu diesem Schritt fähig zu sein. Nach der Scheidung nahm ich den Kontakt zu dem Pastor wieder auf. Ganz langsam und durch die Erlebnisse in der Ehe kam ich an meine Kindheit ran.
Zur Zeit sind meine Kinder 20,18 und 14 Jahre alt. Meine beiden großen wohnen schon alleine und ich wohne noch mit meinem jüngsten zusammen.
Seit ca. einem Jahr bin ich in bei einem Psychologen und immer noch bei der Aufarbeitung meiner Kindheit.
Nun stelle ich auch oft fest wie ich meine Kinder gebraucht habe aber auch was ich unbewusst verkehrt gemacht habe. Ich hoffe aber um so mehr ich weiß und um so mehr ich die Zusammenhänge erkenne, dass ich irgendwann es mir und meinen Kindern zugute kommt.

Das ist ein Anfang endlich an die Öffentlichkeit zu gehen und mein schweigen ein für allemal zu brechen.

Es grüßt Sie herzlich E.

AM: Es ist tatsächlich höchste Zeit, dass Sie Ihr Schweigen brechen und dass es Ihnen bewusst wird, wie schwer Sie als Kind und auch später gelitten haben, ohne es eigentlich gefühlt zu haben, weil Sie so Angst haben mussten vor Ihren eigenen Gefühlen.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet