Keine Kommunikation

Keine Kommunikation
Sunday 22 February 2009

Guten Tag Frau Miller, ich bin 47, Schweizerin in Frankfurt lebend und Mutter von 2 Töchtern, 13 und 15. Vor 1 Jahr nach 6 monatiger Ehetherapie ist mein Mann, Engländer, 43 und Banker, aus unserem Haus ausgezogen , hat mir die 20-jährige Ehe per SMS gekündigt und seitdem auch unsere Kinder nicht gesehen, wobei dies eher auf Wunsch der Kinder nicht geschehen ist. Wir haben es nicht verstanden, irgendeine Art der Kommunikation zu etablieren, auch nur der Kinder wegen, und seit Monaten herrscht nur totale Funkstille, auch weil ich, mithilfe meiner Psychologin das ganze zu verarbeiten versuche, mich der Schuld mittlerweile entziehe. Ich habe vor einigen Monaten angefangen Bücherzu lesen, die meine vielen Fragen beantworten. Angefangen mit Richard David Precht bin ich nun bei Evas Erwachen gelandet. Ich habe es genauso wie “Das Drama des begabten Kindes” verschlungen und teile ganz und gar Ihre Theorie der Verwurzelung in der Kindheit. Was ich aber nach Ende von “Evas Erwachen” festgestellt habe, ist dass, Kinder die sie beschreiben Gewalt erfahren haben, auch Gewalt weitergeben, wohl denkend es wäre richtig. In meinem Falle liegt der Hund aber woanders begraben. Mein Mann hat nie gelernt zu kommunizieren, ist wohl als Kind schon emotional verhungert und hat aufgrund der nicht existierenden Gefühle seitens seiner Eltern angefangen Tischtennis zu spielen. Aufgrund seiner exzellenten Leistungen hat er sich so Anerkennung in der Suche nach Liebe erarbeitet. Ich habe 20 Jahre unter kaum existierender Kommunikation gelitten und arbeite dies auch auf. Unsere große Tochter, die ihrem Vater in mancherlei Hinsicht sehr ähnelt, hat als Folge nicht erhaltener Liebe vor allem seinerseits, psychosomatische Symptompe gezeigt und erst nach 1 Jahr und vielen Gesprächen hat sie selber erkannt, dass sie Hilfe braucht. Auch sie arbeitet ihre Vergangenheit jetzt auf und ich bin sehr stolz auf sie. Aber sie genauso wie ich rätseln an der Frage: “Was ist mit Kindern, die wie mein Mann, in England vielleicht noch viel mehr, da ich in 8 Jahren Englangaufenthalt gelernt habe, dass dort oft Probleme unter den Teppich gekehrt werden, dh nicht direkt angesprochen werden weil dies als unhöflich gilt, Kinder noch vielmehr leiden als jene, die Gewalt erfahren haben. Meine Schwiegermutter betrügt meinen Schwiegervater seit 30 Jahren und ganz England weiß das, mein Mann hat es als 11-jähriger vom Sohn des Mannes erfahren, mit dem seine Mutter bish heute und auch für unsere Kunder ersichtlich befreundet ist. Kinder die so wie er mit 11 wohl niemanden hatten, dem sie sich anvertrauen konnten, also helfende Zeugen, verhalten sie sich dann genauso in ihrem späteren Leben, dh hätte ich (und auch die Kinder) gar keine Chance gehabt? Ich tue mich immer noch schwer, vieles verarbeiten zu können, da ich bis heute mit meinem Mann nicht kommunizieren kann, er gemäß seiner Aussage alles verarbeitet hat und es nur noch um Gegenwart und Zukunft geht. Ich weiß dass mein Glück in der Vergangenheit liegt, mit meinen Eltern kann ich darüber reden und ich habe Ihnen verziehen, unsere Beziehung ist seitdem richtig gut, denn ich habe ihre Kindheit geschildert bekommen und das war (Vater Deutscher, Mutter Österreicherin) mitten im 2. Weltkrieg, einfach nur traumatisch, alleine schon das Zuhören. Wie sind denn die Verhaltensmechanismen eines solchen Menschen, der, wie er sagt, keinen Freund auf dieser Welt hat, jedem misstraut und traurigerweise kein Bedürfnis hat, die Vergangenheit aufzuarbeiten? Ahnlich wie bei Kindern die Gewalt erfahren haben? Ich arbeite an mir, suche nach Fällen von Schwarzer Pädagogik bei meinen Kindern, finde aber immer wieder nur Ereignisse die die beiden mit ihm hatten, die sie auch genauestens beschreiben können, so beeindruckend muss dies gewesen sein. Ich weiss ich bin noch lange nicht am Ziel, aber ich würde mich sehr freuen, von Ihnen diesbezüglich zu hören. Vielen Dank im voraus für Ihre Zeit.

AM: Sie schreiben, dass Ihre Vergangenheit ein Glück war, dass Sie Ihren Eltern alles verziehen haben ( ja was gab es denn zu verzeihen?), weil diese im 2 Weltkrieg so traumatisiert wurden. Aber haben Sie sich schon gefragt, warum Sie es aushielten, mit einem Mann 20 Jahre zu leben, mit dem Sie gar nicht kommunizieren konnten und der Sie per SMS verlassen hat? Hält man dies denn aus, wenn man nicht schon als Kind gelernt hat, dass man keine Kommunikation mit den Eltern erwarten durfte?

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet