Ihre Werke/defensive und aggressive Grenzen
Wednesday 13 June 2007
Sehr geehrte Frau Miller,
parallel zu meiner gegenwärtigen Psychotherapie habe ich mehrere Ihrer Bücher gelesen (Das Drama des begabten Kindes, Am Anfang war Erziehung, Du sollst nicht merken, Das verbannte Wissen). Die Lektüre hat mich sehr bewegt, weil ich den Eindruck hatte, dass Sie mein Leben schildern. Ich habe erkannt, dass meine Mutter mich missbraucht hat, indem sie alle durch meinen Vater erlittenen Demütigungen an mich weitergegeben hat.
Auch Ekkehard von Braunmühl habe ich angefangen zu lesen. Die antipädagogische Unterscheidung in legitime defensive und illegitime aggressive Grenzen hat mir eingeleuchtet. Ich hatte jedoch ein Gespräch mit meiner Therapeutin darüber; sie sagt, dass das Fehlen von (aggressiven) Grenzen auch zu schweren psychischen Problemen führen könne, weil es als Desinteresse verstanden werde; sie schilderte auch einen Fall aus ihrer Praxis: Eine 21jährige Studentin hatte keinerlei aggressive Grenzen erlebt, durfte beispielsweise mit 15 für drei Monate nach New York. Ihre Eltern diskutierten zwar mit ihr; dennoch verstand sie dies als Desinteresse und meinte in der Therapie, Verbote wären besser gewesen. Das Fazit meiner Therapeutin lautet, dass ein gewisses Maß an Grenzen dieser Art als Halt notwendig sei.
Was ist Ihre Meinung zu diesem Aspekt? Sollte es wirklich unmöglich sein, Kinder und Jugendliche frei (im Sinne von: ohne aggressive Grenzen) aufwachsen zu lassen?
Mit freundlichen Grüßen, H. B.
AM: Ich kann Ihnen auf Ihre Frage nicht antworten, weil ich nicht in solchen Begriffen denke. Schon die Idee, man müsse dem Kind Grenzen setzen, ist mir fremd, weil sie davon ausgeht, dass man Machtstrukturen nicht verlassen kann. Das ist nicht meine Meinung, ich denke, dass man mit dem Kind ohne diese überlieferten Strukturen und Verbote der schwarzen Pädagogik besser, freier und sinnvoller kommunizieren kann. Wenn Sie meine Bücher und Artikel lesen, werden Sie genauer verstehen, weshalb ich so denke.