Traumatische Therapie
Wednesday 20 June 2007
Liebe Alice Miller,
ein kürzlich hier veröffentlichter Leserbrief, vom 12.6. hat mich sehr beschäftigt und lässt mir keine Ruhe, weil u.a. auch die psychische Gewalt in der Therapie angesprochen wurde.
Als ich damals in der Pubertät war, hatte ich große Angst vor mir selbst, vor meinen Gefühlen, die mich in Panikattacken und Verzweiflung haben ausbrechen lassen. Ich wußte in diesen Momenten nicht wohin mit mir, ich war allein. Aber ich wußte, daß diese Zustände mit meinen Erlebnissen im Elternhaus zusammen hängen. Zu diesem Zeitpunkt, lernte ich einen ältere Kollegin kennen, die selbst als sie in meinem Alter war ähnliche Not hatte. Sie konnte mir zuhören und brachte mir mütterliches Verständnis entgegen. Und das war mein Glück. Alle meine Erinnerungen waren so klar und deutlich und ich konnte sie benennen. Ich begann zu fühlen, ich lebte auf und ich spürte das mein ganzer Körper entspannte Meine Augen strahlten. …So fühlt es sich wohl an wenn man sich lebendig fühlen darf.
Aber sie konnte mir nur den Anfang geben. Und ich wollte ja auch nicht meiner Vergangenheit ausweichen. Sie meinte ich sollte eine Therapie machen. Ich willigte ein, weil ich glaubte, daß es auch wichtig ist, um meine Ängste loszuwerden. Ich vertraute ihr. Sie meldete mich bei einem Therapeuten an. Ich erinnere mich noch so genau an die erste Begegnung. Ich war sehr neugierig, gespannt, wie er wohl aussehen wird. Dann öffnete er die Tür, dahinter kam ein kleiner dunkelhaariger bärtiger Mann mit kalten wasserblauen Augen zum Vorschein, sein Blick streifte mich unsicher und glitt zu Boden…Ich konnte das nicht verstehen. Ich fühlte mich verunsichert. Auch das Gespräch war dann kühl, distanziert. Ich sollte einen Fragebogen ausfüllen, damit er wisse an was wir arbeiten müssen, wo mein Problem liegt. Ich sagte ihm, daß ich das bereits sagen könnte, was mich beschäftigt…Im nächsten Gespräch das stattfand, begann er mit Schweigen und ich fragte ihn nach dem Bogen den ich ausgefüllt hatte, er tat so als: ach ja der…Er erklärte mir irgendein Diagramm das meine Fragen ergeben hätten…Und das wars. Ich schaute ihn ungläubig an. Er schwieg wieder. Dann sagte ich, ich weiß überhaupt nicht was ich hier soll. Darauf sagte er scharf und bestimmt: sie können ja gehen wenn sie wollen. Und er schwieg wieder. Ich hielt dieses Schweigen nicht mehr aus, es tat körperlich weh. Ich sprang plötzlich auf, riß meine Tasche mit und lief zur Tür, ich konnte kein Wort mehr rausbringen. Er sprang ebenfalls erschrocken auf und meinte, melden sie sich…
Meiner Kollegin der ich dann davon erzählte, bat mich, doch Geduld mit ihm zu haben, er wird schon etwas von seiner Arbeit verstehen.
Heute weiß ich, meine Reaktion war völlig normal und verständlich, ich hätte niemals diese endlose Geduld aufbringen sollen und darauf warten, daß er mir eines Tages doch noch zu hören könnte. Er war ein völlig verunsicherter, verklemmter Mann ohne Selbstwertgefühl.
Er wollte von meinen Familiengeschichten wie er ausdrücklich sagte nichts wissen. Ich sagte, ich habe das Gefühl keinen Kontakt zu ihm zu bekommen. Die ganzen Sitzungen über verspannte ich so sehr, durch sein Schweigen, seine durchdringenden Blicke und seine gespielte Langeweile. Es war eine eisige Spannung zwischen uns.
Ich hatte dann zu ihm gesagt daß ich sein Schweigen nicht mehr aushalte. Er sagte, sie schauen mich ja gar nicht an, wie können sie dann überhaupt Kontakt mit mir aufbauen und wenn sie sprechen, sind sie so leise, das ich sie nicht verstehe. Ich sagte, das es mir inzwischen schwer fällt ihn anzuschauen, sie reden nicht mit mir und ich weiß nicht was ich mit ihnen anfangen soll. Dann lehnte er sich zurück, schloß die Augen und sagte sie können jetzt alles mit mir machen. Ich machte natürlich gar nichts…Und sagen konnte ich darauf auch nichts. Ich sagte, was soll ich ihnen denn jetzt sagen, was soll ich denn machen…Dann wurde er wütend und brach die Sitzung ab und sagte nur, das wissen sie ganz genau. Und dann hatte ich zu gehen.
Die nächste Sitzung war wieder Schweigen und er sagte, sie sind wütend, sie sind wütend. Ich sagte nein ich bin nicht wütend. Doch das sind sie. Und dann platzte ich heraus, weil sie mich provozieren, sie provozieren mich. Darauf sagte er nichts mehr. Schweigen.
Einmal als ich sagte, ich bin nicht die Stumme, Verschlossene, die Ängstliche, daß ist das was meine Eltern aus mir gemacht haben. Meinte er, doch das sind sie. Ich sagte, nein. Das ist nicht mein Ich das ich leben möchte. (Mir war damals durchaus klar, daß das was mir passiert ist, zu meiner Kindheit gehörte…)
Ein andermal stand ich vor verschlossener Tür, wir hatten einen Termin und ich bin wie immer zeitiger von meiner Arbeit los um die 14tägigen Termine einzuhalten. Ich brach in Panik aus, ich war so verzweifelt, ging in den Nebenaufgang, um einen Weg in das Haus zu finden. Fragte den Pförtner, der mir dann sagte, er wäre mit einem Mann vor einer halben Stunde weggegangen… Ich konnte das nicht fassen. Den nächsten Tag rief ich ihn an und fragte ihn, darauf erhielt ich keine richtige Antwort nur einen zynisches, ssississ, so ich war nicht da… und ich bin mit einem Mann weggegangen…Das wars und wir machten dann noch mal einen neuen Termin…
Letztendlich habe ich diese Therapie nach einem halben Jahr abgebrochen.
Ich spürte ja daß da etwas nicht stimmte, habe immer wieder versucht zu hoffen und letztendlich habe ich dabei meine Gefühle gemordet. So wie meine Eltern und besonders meine Mutter es zeitlebens von mir verlangte, nicht die Brutalität ihres neuen Lebensgefährten wahrzunehmen, dabei freundlich zu lächeln. Das für mich allerschlimmste und tragischste überhaupt ist, das ich meine Lebendigkeit den Aufbruch in mein eigenes Leben damit verpasst habe.
Ich begann dann äußerlich neue Wege zu gehen, aber innerlich war ein großes Absterben, ich konnte mich nicht mehr fühlen, alles um mich herum war plötzlich fremd und ich war zu tiefst verunsichert, alles was ich wollte oder tat, empfand ich plötzlich als eine Anmaßung, fremd. Ich konnte niemanden mehr in die Augen sehen. Ich fühlte mich plötzlich wie der letzte Dreck. Dazu kamen noch körperliche Symptome die sich im lauf der Jahre in eine Autoimmunkrankheit verfestigt haben. Seit dem sind meine Augen ständig gereizt und trocken, sie brannten und ich konnte, wenn ich jemanden anschauen wollte, das nicht, weil meine Augen fürchtlich rissen. Ich wurde kurzsichtig. Sie sind heute noch oft entzündet und trocken. Ich bekam trockene Haut, einen trockenen Mund. Und mein Brustraum ist völlig in Eisen verpackt. Einmal als ich jemanden davon erzählen konnte, hatte ich den nächsten Tag fürchterliche Herzstiche, ich konnte mich früh morgens nach dem Aufwachen nicht bewegen und mußte die Schmerzen erst abwarten…Mein Herz ist Eis und Stein.
Nachts bin ich vor Angst wach geworden, mir wurde von der Angst so übel. Plötzlich fühlte ich mich von meinen Wurzeln abgeschnitten…Ich kämpfte in den Jahren immer wieder gegen dieses Gefühl. Ich kann diesen Zustand nicht anders ausdrücken.
Ich kann nicht beschreiben wie es passierte, aber es passierte und dieser Zustand quält mich bis heute, nach fast über 20 Jahren. Ich habe starke Schuldgefühle, weil ich mich selbst in diese Situation gebracht habe, keine Verantwortung für mich übernommen habe, als ich sie hatte.
Später habe ich in anderen Therapien versucht, darüber zu sprechen. Mir wurde erklärt, daß er eben seine Methoden hatte, daß ich vielleicht damals nicht in der Lage war eine Therapie durchzustehen. Er wird seine Gründe gehabt haben. Hören sie endlich auf sich daran festzubeißen, sie machen sich das sehr einfach. Das sie sich davor selbst gespürt haben, kann ich mir nicht vorstellen, da haben sie sich bestimmt getäuscht und haben sich schöngefärbt…- Aber das stimmt nicht.
Mir glaubt niemand. Es ist wie ein Riegel, der mich daran hindert meine Kindheitsgeschichte zu fühlen. Ich weiß nicht wie ich es sagen soll…
Aber irgendwie spüre ich, daß er der Schlüssel ist, den ich brauche um weitergehen zu können, mich zu empfinden, so wie es davor war, vor diesem Menschen, das wäre ein echter Dammbruch. Ich fürchte etwas, was ich nicht benennen kann, um mich ist nur Nebel. Ich verstehe das nicht. Und das ist so schrecklich. Ist es diese enorme Angst, die dieser Therapeut in mir ausgelöst hat?
Wenn Sie antworten könnten, würde ich mich sehr freuen.
Ich danke Ihnen.
b.a.
AM: Sie schreiben: „Ich habe starke Schuldgefühle, weil ICH MICH SELBST (????) in diese Situation gebracht habe, keine Verantwortung für mich übernommen habe, als ich sie hatte.“ Sie beschreiben sehr klar und nachvollziehbar, wie der Mann Sie behandelt hat, wie er nicht im geringsten auf Ihre Ängste, Ihre geschriebene Lebensgeschichte, Ihre Person, Ihre Gegenwart eingegangen ist, dennoch fühlen SIE sich SCHULDIG. Weshalb? Könnte es sein, dass Sie schon als Kind lernen mussten, sich für Grausamkeiten (wie z.B. extreme Kontaktverweigerung) zu beschuldigen und ja nicht mit Zorn darauf zu reagieren? Weil der Zorn bei Ihren Eltern Lebensgefahr bedeutet hat?