Die Hilflosigkeit der Politiker

Die Hilflosigkeit der Politiker
Saturday 14 March 2009

Liebe Alice Miller und Team,
auffallend bei der gesamten Berichterstattung der Presse scheint mir gerade in diesem Fall eine besondere „Sippschaft“ zu wenig „beobachtet“ zu werden denn nachweislich war dieser Junge (Tom) in psychologischer Behandlung worüber sich aber niemand grosse Fragen stellt. warum Psychologen versagen. Der „blinde Fleck“ mancher (aller) Therapeuten ist ja hinreichend von Ihnen schon beschrieben worden und dass „Störungsexperten“ selbst eine Störung haben wenn sie ausser den Traumas das „social environment“ bei ihren „one man shows“ aussen vor lassen scheint sich anscheinend immer noch nicht herumgesprochen zu haben.
Dass Politiker mit der Materie überfordert sind erkennt man an ihren Stellungnahmen (schlimmer gehts nimmer!) und bastelt Orsucci mit Peter Fonagy neuerdings an einem kypernetischen Modell (Kindheit) so fragt man sich ob es nicht besser wäre, wenn beide Experten zumindest einen Teil ihrer Zeit in der Öffentlichkeit (mit Aufklärung) verbringen würden, wie es uns England z.B. im Hinblick auf Krippenplätze vormacht… und man staune – Shonkoff scheint ähnliche Öffentlichtsarbeit vorzuhaben: It‘s a gap between what we know and what we do.“
So dramatisch der Fall in Winnenden ist – genauso dramatisch scheint mir die Dummheit der Deutschen nach wie vor zu sein (wenn es um Kindererziehung geht) und Ursula Gertrud von der Leyen (Bundesministerin für Familie, Frauen und Jugend) geht da mit gutem Beispiel voran und plant bis ins Jahr 2012 rund 500.000 neue Krippen- und Kindergartenplätze. Sir Richard Bowlby hat sich mit 8 international bekannte Bindungsexperten zusammen getan und einen „offenen Brief“ an (englische) Zeitungen geschrieben, in dem sie die Ganztagsbetreuung bzw. den tägliche Aufenthalt von Babys und Kleinkindern in Tagesstätten bezichtigen, mitverantwortlich für die Zunahme der mentalen Probleme der Jugendlichen zu sein. Darunter zählen Verhaltensauffälligkeiten, geringes Selbstbewusstsein, schlechte schulische Leistungen, Drogen- und Alkoholmißbrauch, und zu wenig Einfühlungsvermögen.
Frau Leyen hatte vor ihrer „Kompetenzernennung“ tatsächlich (man staune!) auch noch Volkswirtschaft studiert und beim Stichpunkt „Gesundheit“ unter dem Aspekt Bindungsrisikofaktoren fragt man sich natürlich wie Kind gesund bleiben kann, wenn Mrs. Leyen Entscheidungen trifft, die an Inkompetenz nicht zu überbieten sind. Hierzu folgende Zusatz-Info: Ganz neu und bislang unveröffentlicht sind die Langzeitstudien des Heidelberger Präventionsmediziners Professor Ronald Grossarth-Maticek. Seine Ergebnisse sind dramatisch: Für einen Menschen gibt es nichts Besseres als eine ununterbrochene Mutter-Kind-Beziehung in den ersten Lebensjahren. Ganz konkret heißt das: Von 1.000 Kindern, die diese gesunde Beziehung erleben durfte, werden später nur 48 rauchen, 34 alkoholsüchtig sein, 13 vor dem 60. Lebensjahr an Krebs erkranken. Wurde die Beziehung zur Mutter dagegen traumatisch unterbrochen – und sei es nur durch einen mehrtägigen Krankenhausaufenthalt – sehen die Zahlen selbst bei einer später erfolgten gesunden Ablösung von der Mutter ganz anders aus: Von 1.000 Kindern werden dann 330 Raucher, 212 alkoholsüchtig und 117 vor dem 60. Lebensjahr krebskrank.
Frau Leyen bringt es mit Ihren o.g. „Volkswirtschaft-Kompetenz-Entscheidung“ tatsächlich fertig dass Krebsraten steigen und Jim Beam sich besser verkauft – und… oh Wunder: „allgemein anerkannt wurde Leyens Bemühen, die Einhaltung des Jugendschutzgesetzes konsequent durchzusetzen: „Abgabeverbote für Tabakwaren, Alkoholika“. Das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen bzw. sich die „zwingende“ Frage stellen wieso Mrs. Leyen durch „Investitionen in Fremdbetreuung“ Alkoholkonsum fördert, wenn sie ihn anschliessend wieder verbietet???
Ich sehe das so: „Frau Leyen projiziert ihre Wahrnehmungsstörungen auf die anderen, liest sie dort wieder heraus und präsentiert sie als Tatsachen“ bzw. anders formuliert: „Das Denken ist eingeschränkt, mehrschichtige Zusammenhänge werden in ihrer Komplexität nicht mehr begriffen (Schizophrenie simplex). Man könnte es auch so nennen: „Die Pervertierung des Denkens als Manifestation des Politiker-Syndroms.“
Winnenden könnte man sagen „wäre“ nur ein Politiker-Gedanken-Pervertierungs-Beispiel mehr (wenn der Fall nicht so extrem wäre) bzw. was muss denn noch alles passieren damit angebliche Experten einfachste Zusammenhänge erkennen – wobei allen voran – mir die „Sippschaft der Pervertierungs-Psychologen“ auf die Titelseiten gehört und natürlich alle Eltern die Kinder misshandeln bzw. vernachlässigen. Letzteres scheint mir übrigens zu wenig beachtet zu werden (weil Misshandlungen mehr Schlagzeilen machen) und wie der Fall Winnenden zeigt, beweist sich einmal mehr dass seelisch „sichere Bindung“ durch nichts zu ersetzen ist, auch nicht durch ein begütertes Elternhaus. Wenn Peter Fonagy die Bindungstheory mit der „Theorie of mind“ mixt hat das natürlich auch seinen Grund, denn ausser dass manche Eltern ihre Kinder zu Monstern „zurichten“ erziehen die anderen sie zu „Schwachköpfen“ so dass nicht wundert – wenn beide aufeinandertreffen – dass sich in 100 Jahren nichts ändern wird.
Ich Danke für Ihre Aufmerksamkeit. WK

AM: Danke für Ihr Schreiben, dem ich leider zustimmen muss, obwohl es so pessimistisch klingt. Aber es fällt wirklich auf, dass in diesen Debatten über Winnenden überall das Wesentliche ausgelassen und sorgfältig umgangen wird, als ob es eine Verschwörung darüber gegeben hätte. Weshalb fragt sich kein Mensch, wie sich ein Junge fühlt, der verzweifelt versucht, das Herz seines Vaters mit guten Leistungen im Schießen zu gewinnen? Und weshalb die heute erstaunten Eltern sein Leiden (Depression genannt) offenbar gar nicht bemerkt haben, sonst wären sie nicht so erstaunt. Der Amokläufer von Virginia hat angeblich Antidepressiva bekommen, um seine Gefühle zu unterdrücken, aber das hat ihn nicht gehindert, die Tat auszuführen. Die nie artikulierte Wut kann gegen Medikamente immun bleiben und scheint viel Unheil anrichten zu können, wenn alle sich die Ohren zudrücken und niemand etwas wissen will. Oder wenn die Morde und Selbstmorde in manchen Religionen sogar geheiligt werden.
Was den Wunsch nach mehr Attachment und weniger Krippen betrifft, dann bin ich auch Ihrer Meinung. Aber wenn man bedenkt, dass das kleine Kind zu Hause eine Mutter haben kann, die an ihm die Misshandlungen aus der eigenen Kindheit abreagiert, weil man darüber nirgends sprechen darf, dann mag die schöne Idee von der guten Bindung zu Hause nur eine Illusion sein.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet