Nochmals Danke!

Nochmals Danke!
Friday 14 July 2006

Liebe Frau Miller!

Im Dezember letzten Jahres schrieb ich Ihnen schon eine erste kurze, hier veröffentlichte Dankesmail. Dass Sie mir persönlich geantwortet haben, hat mich sehr gefreut damals, damit hatte ich nicht gerechnet!

Inzwischen bin ich auf dem eingeschlagenen Weg weiter gegangen, obwohl die erste Euphorie („jetzt wird es mir endlich besser gehen, ich werde mir endlich näherkommen!“) sich wieder gelegt hat. Ein langer Weg liegt vor mir – immer noch – aber ich habe inzwischen begonnen, mir professionelle Hilfe zu holen. Ich habe den inneren Befehl, mit allem allein fertig werden zu müssen, da mir doch „eigentlich nichts fehlt“, aufgeben können.

Durch Ihre Bücher, die ich mittlerweile alle gelesen habe (bis auf das neueste), ist mir nicht nur meine eigene Vergangenheit und ihre Wirkung bis zum heutigen Tag klarer geworden, auch in der Gesellschaft sehe ich nun einiges mit ganz andern Augen.

Die Zeichen treten überall klar zutage: ob es Filmbiographien über Hemmingway, Mozart, Beethoven oder die Kennedys waren – alle reagierten mit schweren Krankheiten auf den Verlust ihres Selbst. Und kaum ein Biograph stellt die offensichtlichen Verbindungen her. Es ist, als stünden sie direkt vor der Wahrheit und sehen sie dennoch nicht. Da wird von „Tragik“ oder „Fluch“ geredet, aber man tut so, als käme das Unheil aus dem luftleeren Raum.

Ich selbst bin geschlagen, belogen, emotional vernachlässigt, sexuell und seelisch missbraucht worden. Die Folgen: Depressionen u. Hypomanien, Erfolglosigkeit trotz Begabungen, Beziehungsunfähigkeit. Ich habe sehr lange gebraucht, um zu erkennen, dass meine Mutter keineswegs der bessere Elternteil war, als den ich sie lange empfunden hatte. Es scheint mir ein allgemeines Muster zu sein, dass bei problematischen Eltern zuerst der Konflikt mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil erlebt wird, während der gegengeschl. idealisiert bleibt. Man braucht ihn gewissermaßen umso dringender als tröstenden Ausgleich für die schmerzliche Erkenntnis, vom anderen Teil nicht geliebt zu werden. Irgendwann aber musste ich einsehen, dass meine Mutter mich vielleicht sogar noch weniger liebte, dass ich ihr schlicht gleichgültig war, weil sie nach eigener Aussage „nie Kinder wollte“.

Mit jetzt 42 Jahren habe ich endlich den längst überfälligen Schritt tun können und den Kontakt mit meinen Eltern abgebrochen, weil er mir eigentlich nie gut getan hat. Ich habe mich viele Jahre lang durch Schuldgefühle zu Besuchen manipulieren lassen und dabei ständig unter dem Gefühl der Ohnmacht gelitten, nicht tun zu können, was ich eigentlich möchte, nämlich ihnen endlich den Rücken zu kehren.

Ich habe immer dumpf gefühlt, dass mein heutiger Zustand Folge meiner „Erziehung“ sein muß, und ich habe auch immer den Gedanken abgelehnt, dass Gewalt „in der Natur des Menschen liege“. Durch Ihre Bücher bin ich endlich in dieser Grundüberzeugung bestätigt worden. Dass die Gewalt (ob nun physisch oder psychisch) in jeder Generation immer neu produziert wird, heisst noch lange nicht, dass sie unausweichlich ist, da Teil der menschlichen Natur!

Obwohl ich schon länger dazu neige, Krankheiten als eine Art Botschaft zu sehen, ist mir doch erst durch Ihre Bücher aufgegangen, welch verblüffend klare Sprache unser Körper spricht, wenn wir ihm nur zuhören wollten und die Bedeutung seiner „Aussagen“ nicht zu verdrängen versuchten!

Gerade lese ich Schatzmans „Die Angst vor dem Vater“, und plötzlich geht mir auf, warum ich just in dem Jahr meines Auszugs bei den Eltern wie aus heiterem Himmel eine Schicksalsgläubigkeit entwickelt habe. Der verschwundene äußere Druck durch meinen Vater wurde von meinem Unterbewusstsein auf das abstrakte Prinzip „Schicksal“ verschoben, um meine ständig erlebte Fremdbestimmtheit weiter inszenieren zu können. Im selben Jahr bekam mein Vater übrigens ein zunächst für lebensbedrohlich gehaltenes Lungenemphysem! Er bekam buchstäblich „keine Luft mehr“. Kein Wunder, fehlte ihm doch nun mit mir eine seiner letzten Möglichkeiten, seine unbewussten und bis heute unverarbeiteten starken Aggressionen und Ängste an einem unschuldigen Opfer abzureagieren.

Liebe Frau Miller, es war eine gute Entscheidung, das Praktizieren aufzugeben, um statt dessen Bücher zu schreiben. Sonst hätten viele, viele Menschen wie auch ich nie von ihren Gedanken erfahren können, die erstmals Licht in das Rätsel meines Lebens brachten! Haben Sie für Ihre Arbeit nochmals herzlichen Dank!

Mit freundlichsten Grüßen, R. H.

AM: Ich bin so froh, dass Sie von meinen Büchern so viel profitieren konnten, und würde Ihnen raten, gerade das letzte, „Die Revolte des Körpers“ zu lesen, sowie die FAQ Liste und die Artikel auf dieser Webseite, weil Sie offenbar viel mit diesem Wissen anfangen konnten. Das intellektuelle Wissen allein genügt zwar nicht, aber ich halte es für eine wichtige Voraussetzung, um diese anstrengende Arbeit durchführen zu WOLLEN. Wenn Sie mit Hilfe Ihres Therapeuten die Wut und die Angst des allein leidenden Kindes, das sie damals waren, finden und fühlen werden, wird Ihr Körper ganz sicher Ihnen dafür danken. Die Depression wird Ihrer Lebendigkeit Platz machen.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet