Bitte um Hilfe

Bitte um Hilfe
Tuesday 28 August 2007

Liebe Frau Miller,

Im Frühjahr dieses Jahres war ich (Frau, 42 Jahre) mit einer ausgeprägten Panikstörung, erstmals aufgetreten, in stationären psychotherapeutischer Behandlung. Seit Mai werde ich ambulant weiter betreut. Durch meine Therapeutin habe ich Ihre Bücher kennengelernt, 3 davon habe ich schon gelesen und hatte schon viele Aha- Erlebnisse, vielen vielen Dank!! Vor einigen Tagen hatte ich dann plötzlich starke Gefühle zu meinem schon vorher intellektuell erkannten Wissen des seelischen Mißbrauches an mir als Kind. Kaum beschreibbare stärkste Angstgefühle und schließlich starke Wut besonders auf meine Mutter.( Sie traten bei meinen morgendlichen Qi Gong Übungen auf.) Heute hatte ich nun meine erste darauffolgende Therapiestunde und erzählte davon. Meine Therapeutin unterbrach mich strikt sofort, nachdem ich den bei den erwähnten Gefühlen in mir aufgekommenen Satz zitierte:” Warum hast du ( meine Mutter) mich nie wirklich geliebt?” Meine Therapeutin meinte, dass ich das so nicht formulieren soll. Woher ich das denn wüßte? Das wäre meine subjektive Wahrheit. Ich würde damit meine gesamte Kindheit mit einem Stempel versehen. Ich solle mich auf die konkreten Situationsebenen beziehen und könne da meine Vorwürfe formulieren, die zweifellos berechtigt wären. Außerdem fragte sie mich, wer denn wirklich lieben könne und ob ich glaube, meinen Kindern eine ständige echte Liebe entgegenzubringen. Sie ist Verhaltenstherapeutin und hat mir im Weiteren Mut gemacht, meine Mutter durchaus in Schranken zu verweisen, wobei die Möglichkeit, dass da gar keine Verbindung mehr machbar ist, nicht vorkam. Auf meine Frage, woher ich denn die Kraft nehmen solle, sagte sie, ich solle es einfach wagen und dann erfahren, dass es mich nicht umbringt. ( Dazu ist zu sagen, dass ich seit einigen Tagen von einer starken Müdigkeit geplagt bin)

Ich bin selbst ganz beeindruckt von den starken entsetzlichen Gefühlen der Ohnmacht und der Angst in mir bzgl meiner Eltern. Zum ersten Mal kommt diese starke Wut in mir hoch, die ich als wohltuend und befreiend empfinde, die ich mir gerne zugestehen möchte, dass ich das mal so klar empfinde, dass meine tiefe Sehnsucht nach Liebe und Respekt nicht erfüllt wurde. Das ständige Differenzieren und Mitleid und Relativieren hat mich ja so lange davon abgehalten, eigene Gefühle zu spüren und das Drama zu erkennen. Bei der Therapiestunde heute fühlte ich mich so allein, so unverstanden, wieder wurde mir gesagt, wie ich die Dinge sehen sollte. Es sei nicht gut, wenn ich alles pauschal schlecht machen würde bzw mich überhaupt als nie geliebt fühlen würde, sagte meine Therapeutin, und das sollte ich mir von Anfang an klar machen, denn eine einmal eingeschlagene “Wahrheit” verstärkt sich oft automatisch.

Im Augenblick weiß ich gar nichts mehr. Soll ich da differenzieren? Nicht so pauschal werten? Führt mich das in die falsche Richtung? Geht das überhaupt, zu sagen, hier und da oder in diesem Punkt war meine Mutter ein Schrecknis aber die Formel ” sie hat mich nicht geliebt” ist unzulässig? Was mache ich mit meiner Wut? Wie schaffe ich es, nicht an meiner Angst zu ersticken? Wie kann ich jetzt mit meiner Mutter umgehen? Was bedeutet die Müdigkeit?
Ich bitte Sie herzlich, mir Ihre Einschätzung mitzuteilen, es wäre mir eine große Hilfe.
K.B.

AM: Die Müdigkeit ist ein Zeichen, dass Sie Ihre Gefühle, die zum Glück schon deutlich da sind, unterdrücken wollen, weil diese Therapeutin Sie verwirrt, weil ihr Ihre Gefühle vermutlich angst machen (vor ihren eigenen). Diese Frau mit ihren Theorien ist für Sie eine Gefahr. Sie brauchen eine andere Begleitung. Trauen Sie Ihren Gefühlen, sie sind Ihre Freunde und Helfer auf dem Weg zu Ihrer Wahrheit. Die Panikattacken zeigen, dass Sie als Kind Grund hatten, ihre Mutter zu fürchten, doch jetzt kann sie Sie nicht mehr verwirren, außer Sie erlauben, dass Ihre Therapeutin das anstelle der Mutter tut. Eine Verhaltenstherapie brauchen Sie nicht, denn Sie sind doch ganz nahe an der Wahrheit, dass Sie keine Liebe erfuhren als Kind. Jetzt, als Erwachsene, können Sie sie ertragen und brauchen nicht, sich IHRE WAHRHEIT AUSREDEN zu lassen.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet