die Luft abgedrückt…
Saturday 23 February 2008
Sehr geehrte Frau Dr. Miller,
derzeit lese ich Ihr Buch „Dein gerettetes Leben“, das mir meine etwas über 70ig jährige Psychotherapeutin geschenkt hat. Dazu muß ich anmerken, daß eben diese Psychotherapeutin meine Patientin in meiner naturheilkundlich/homöopathischen Arztpraxis ist. Ich kenne die Therapeutin bereits seit 7 Jahren und beschäftige mich seither unter ihrer Anleitung immer intensiver mit tiefenpsycholgischen Themen. Seit eindreiviertel Jahren besuche ich eine ihrer Selbsterfahrungsgruppen.
Durch „Dein gerettetes Leben“ wurde ich auf Ihre Webseite aufmerksam. Meine Therapeutin liegt „ganz auf Ihrer Linie“ und auch ich bin von „Dein gerettetes Leben“ begeistert, da mir erst jetzt einiges bewußt wurde, was ich bei der Lektüre von „Die Revolte des Körpers“ (ebenfalls ein Geschenk meiner Therapeutin) noch nicht begriffen hatte.
Weshalb ich Ihnen nun schreibe ist, daß ich mir nicht im Klaren darüber bin, ob ich die Selbsterfahrungsgruppe bei dieser Therapeutin weiterbesuchen soll.
Diese Dame, eine Schülerin von Fritz Riemann hat mir ausgezeichnete Buchtips gegeben/ Buchgeschenke gemacht, wie z.B. Ihre oben erwähnten Veröffentlichungen, Fritz Riemanns „Grundformen der Angst“, Eugen Drewermanns „Grimms Märchen tiefenpsychologisch gedeutet“, Hans-Joachim Maaz „ Der Lilith Komplex. Die dunklen Seiten der Mütterlichkeit“. Diese Bücher waren für mich sehr wertvoll. Ich habe beim Lesen Schmerzen bis in den Körper hineinverspürt, viel geweint und einen abgrundtiefen Haß auf meine Mutter entwickelt und diesen Haß auf Anraten meiner Therapeutin auch zugelassen, indem ich in Kissen hineingeschrien habe, mit Handtüchern auf das Bett eingedroschen und dabei unflätigste gemeine Beschimpfungen ausgestoßen habe. Diese bisherige Therapie hat mir sehr gutgetan. Heute weiß ich, falls mir entsprechende Auslöser begegnen, wo ich doch immerwieder aufkeimende Wut- und Haßgefühle abladen müßte und kann genau deshalb mit diesen Gefühlen zwar noch nicht perfekt, aber doch viel konstruktiver umgehen als früher, sodaß in mir nach sieben Jahren Beschäftigung mit der Tiefenpsychologie, davon eindreiviertel Jahre Selbsterfahrungsgruppe, der Wunsch aufkommt, selbständig meinen Lebensweg zu gehen. Selbstverständlich möchte ich dabei weiter Seelenhygiene betreiben, sowie man eben auch täglich Körperhygiene betreibt.
Nun habe ich allerdings Angst, daß eben diese sehr erfahrene Therapeutin nicht loslassen kann! Nicht loslassen kann wie meine Mutter ihre Kinder auch nicht loslassen konnte. Was war der Auslöser?
Auslöser war, daß ich mit der Zeit meine eigenen Gedanken entwickelt hatte, die sich nicht mit denen der Therapeutin deckten. Ein Beispiel: Sie empfahl vor etwa einem Jahr der Therapiegruppe Dahlkes Buchveröffentlichung „Aggression als Chance“. Ich wollte dieses Buch nicht lesen, da ich der Meinung bin, daß bei nur eingeschränkt verfügbarer Zeit nicht alles zu lesen wäre und ich deshalb meine Zeit mit diesem aus meiner Sicht weniger wichtigen Buch nicht verschwenden möchte. Dahlkes Bücher sind nicht schlecht, aber eben nicht psychotherapeutische Spitzenklasse. Die Reaktion der Therapeutin darauf war: „Das mußt Du lesen, das ist doch Scheiße, wenn ein Arzt dieses Buch nicht liest.“ Meine Einwände wurden als „gequirlte Scheiße“ abgetan. Der Großteil der Gruppe hat noch während der Gruppensitzung den Buchtitel gekauft. Ich wollte ihn nicht kaufen. Daraufhin war ihre Reaktion: „Dann schenke ich Dir das Buch eben!“ Nun wollte ich dieses Buch aber nicht geschenkt bekommen, da doch alle anderen das Buch gekauft haben.
Kurz: ich habe mich massiv gedemütigt gefühlt. Gedemütigt, wie von meiner Mutter, die auch immer Recht haben mußte. Und selbst wenn sie nicht Recht hatte, dann hat sie eben solange herumgetobt, bis man aus Angst einfach nachgegeben hatte. Also habe auch ich dieses Buch gekauft und mit Wut im Bauch gelesen, um „mitreden“ zu können. Das Buch ist nun wirklich nicht besonders gut! Vor etwa 5 Wochen gab es eine ähnliche Situation. Wieder wurde ihre Weltanschaung – es handelte sich um ein astrologisches Thema – von ihr entgegen meiner, wie ich meine, fundierten Meinung durchgepeitscht. Gerne lasse ich die große Erfahrung meiner Therapeutin gelten; dennoch bin ich nicht bereit, mein Gehirn zu Beginn einer Gruppensitzung an der Garderobe abzugeben.
Ich habe jetzt, vier Wochen später, in der letzten Gruppensitzung kundgetan, daß ich mit der Selbsterfahrungsgruppe aufhören möchte. Ich habe gerade durch meine Therapeutin mich von meiner Mutter nach und nach lösen können (ganz ist das immer noch nicht gelungen) und ich möchte mir eben deshalb als jetzt 45 jähriger Mann nicht mehr, sozusagen durch die Hintertüre, im Wiederholungszwang eine neue dominante Mutter ins Leben hereinholen. Die Gruppe hat meinen Wunsch, mit den Sitzungen aufzuhören bedauert, mir davon mit guten Argumenten auch abgeraten, indem sie zu Recht auf meine Übertragung Mutter-Therapeutin hingewiesen hatte, aber letztlich keinen Druck auf mich ausgeübt weiterzumachen. Der Druck kommt aus meiner Sicht aber nun von der Therapeutin, die zwar vor der Gruppe gesagt hatte, ich bräuchte nicht mehr zu kommen, in einem anschließenden Telefonat allerdings mit dem Argument, sie hätte Sorgen um mich, doch wieder Druck aufgebaut. Sie wäre zwar nicht meine Mutter, aber sie möge mich wie einen Sohn.
Ich möchte aber mit den Gruppensitzungen aufhören. Ich halte meine Therapeutin für sehr gut und bin ihr auch für ihre gute Arbeit dankbar. Dennoch fühle ich, daß mir die Luft abgedrückt wird und es jetzt an der Zeit ist, meine Seele alleine, ohne Krückstock laufen zu lassen. Ich meine, ich habe heute die Kraft dazu. Was soll ich tun???
Danke für Ihre Auskunft. Mit freundlichen Grüßen, W. P.
AM: Sie sehen eigentlich ganz klar, was Sie – mit Recht – tun wollen und müssen. Der Körper hilft Ihnen sogar, indem er Ihnen die Luft “abdrückt”, dennoch fragen Sie mich, was Sie tun sollten. Offenbar war es für das Kind, das Sie waren, ganz gefährlich, etwas Eigenes zu tun und sich dem Willen Ihrer Mutter zu widersetzen. Jetzt besteht die Gefahr nicht mehr, auch wenn das Kind in Ihnen sie immer noch fürchtet. Sie dürfen es genießen, Ihre eigenen Wege zu gehen, auch wenn es den anderen nicht passt. Sie haben das volle Recht dazu, absolut.