Eine Kindheit unter Terror

Eine Kindheit unter Terror
Sunday 23 August 2009

Liebe Frau Miller
Nachdem ich Ihnen am 4. Mai vorigen Jahres geschrieben habe ist bei mir sehr viel geschehen, doch merke ich auch was noch für ein langer Weg vor mir liegt. Vielen Dank für Ihre Bücher und Ihre Web seite, die mich immer wieder ein Stück nach vorne bringen. Nun habe ich angefangen meine Kindheit in Wort zu fassen und sie aufzuscgreiben, Gerne möchte ich Sie Ihnen zukommen lassen. Vielen Dank für Ihren Mut und machen Sie weiter. Vielen Dank E
Hoffnung im Herzen

AM: Mein Team war über die Grausamkeit Ihrer Mutter so entsetzt, dass es mir die Lektüre Ihrer Geschichte zunächst ersparen wollte. Doch schließlich wurde sie mir doch vorgelegt, und ich habe die 60 Seiten gelesen, von A bis Z. Ich bin nicht weniger als mein Team über das sadistische, monsterhafte Verhalten Ihrer Mutter empört, die offenbar alles Erdenkliche getan hat, um Ihr Leben zu zerstören, dennoch teile ich Ihre Hoffnung, dass Sie sich durch das Schreiben und durch Ihre starke Wut (die Sie noch begreiflicherweise fürchten) aus Ihrem Käfig (Koffer, Schrank, Keller) werden befreien können. Denn Sie suchen Ihre Geschichte und Ihre Wahrheit, wollen sich nicht länger belügen über Ihre “Mutti, Vati, Omas, Opas”, wie Sie es als Kind tun mussten, und so bekommen Sie die Chance, mit Hilfe der GANZEN Wahrheit die Kette der Gewalt in Ihrer Familie zu durchbrechen. Genau das hat Ihre Mutter NICHT getan. Sie hatte nicht den Mut, den Sie jetzt haben, sie hat die Geschichte ihrer einst erfahrenen Misshandlungen völlig verdrängt, wollte ihre Leiden nicht spüren und hat stattdessen ihre grenzenlose Wut auf ihre einzige kleineTochter abgeladen, hat sie unendlich gequält, um ihre eigene Mutter in Ehren halten zu können. So leben Abermillionen von Familien seit vielen Jahrtausenden, und leider unterstützen die Religionen dieses Verhalten, indem sie unbedingte Toleranz für elterliche Grausamkeit und Verleugnung der wahren Gefühle auf Kosten der eigenen Kinder verlangen. Ihre erschütternde Geschichte enthüllt die Dynamik der Gewalt, wie ich sie in meinen Büchern immer wieder beschrieben und illustriert habe, doch selten wird sie vom leidenden Kind selbst erzählt, weil es sie aus panischen Ängsten vor Strafe verdrängt hat. Sie haben den Mut, den ALLE Mütter, die sich an ihren Kindern für ihr verdrängtes Leiden rächen, NICHT haben.
Sie schreiben, dass Ihnen Ihre Therapie geholfen hat, Ihre Verdrängung aufzulösen, aber das bloße Aufdecken der Fakten allein genügt nicht, um sich von Ihren schweren Symptomen zu befreien. Solange Sie sich für das, was Ihnen angetan wurde, beschuldigen, um Ihre Familie zu schonen (und das tun Sie meines Erachtens immer noch zum großen Teil), drehen Sie sich im Kreis der Schuldgefühle. Ich meine, dass nur das Erlebnis der unendlichen Wut und Empörung, die Sie so lange in Ihrem Körper eingesperrt halten, Ihre starken Emotionen befreien und Sie aus der Erstarrung und Gefühllosigkeit erlösen können. Erst die bedingungslose Auflehnunng gegen die Verbrechen Ihrer Mutter, gegen ihren Hass und ihr ständiges Säen von Verwirrung kann Sie von Ihren Süchten und Selbstverletzungen befreien. Sonst tun Sie sich das an, was sie Ihnen angetan hat. Wenn Ihr Therapeut wirklich frei ist von den Ketten des 4ten Gebotes, kann er sich vielleicht über das Verhalten Ihrer Eltern, die sie so vielen Verbrechern ausgeliefert haben, empören, er kann seine Neutralität aufgeben und Ihnen so helfen, Ihre eigene, seit Jahrzehnten zurückgehaltene Empörung zu spüren. Sie wurden als Sündenbock benutzt, und alle Ihre Fragen nach WARUM und “Womit habe ich es verdient?”können keine Antwort finden, weil Sie absolut unschuldig waren. Alles, was Sie erleiden mussten, hatte NICHTS mit Ihrer Person zu tun, sondern lediglich mit den Vorgeschichten Ihrer Quäler.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet