Illusionäre Liebe
Sunday 26 March 2006
Liebe Alice Miller,
In Ihrem Buch EVA`S ERWACHEN fiel mir folgendes auf und ich finde es wichtig es Ihnen mitzuteilen. Eigentlich wollte ich das schon vor 3 Jahren tun. Aber erst in letzter Zeit wo ich hier auf Ihrer Homepage sehen kann, wie aufmerksam Sie mit Ihren Leserzuschriften umgehen, habe ich Vertrauen gefunden…
Zuvor möchte ich etwas aus ABBRUCH DER SCHWEIGEMAUER zitieren (Vorwort der TB-Ausg. 2003, S.13)
„Diese Wahrheit [über die Kindheit] auf einmal zu erfahren und dieses Wissen zu integrieren ist schlicht und einfach unmöglich, auch wenn wir uns das sehnlichst wünschen. Die Fähigkeit des menschlichen Organismus, Schmerzen zu ertragen, ist zu seinem Schutz begrenzt und alle Versuche, die diese Grenze mißachten und die Verdrängung gewaltsam aufheben, haben nur negative und oft gefährliche Wirkungen, wie jede andere Form von Vergewaltigung auch. Die Folgen eines traumatischen Erlebnisses wie etwa einer Mißhandlung können nur aufgelöst werden, wenn alle traumatischen Facetten dieses Erlebnisses in einer behutsam begleitetenden Therapie erlebt, artikuliert und verurteilt werden konnten. In den letzten Jahrzehnten gab es verschiedene gefährliche Versuche, die Folgen von Kindheitstraumtisierungen auf gewaltsame Art zu beheben, die alle gescheitert sind und scheitern mußten.“
Ich finde diese Sätze sehr wichtig und es zeigt Ihren Weg auf. Deshalb kann ich es nicht verstehen, warum Sie in EVA´S ERWACHEN (TB-Ausg. ) Im Kapitel II Abschnitt 2, Denkblockaden schreiben (S. 126):“ Seit einigen Jahren gibt es neue Richtungen in den Psychotherapien die gezielt mit den Traumen arbeiten und in kurzer Zeit Erfolge vorweisen können, wie zum Beispiel die Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR), die von Francine Shapiro entwickelt wurde. Ich habe zu wenig Erfahrung damit, um zu verstehen, weshalb sie so wirksam sind, aber ich kann mir vorstellen, dass in vielen Fällen schon das Interesse des Therapheuten an den traumatischen Erlebnissen einen Prozeß in Gang setzen kann, in dem die Sprache des Körpers einen wichtigen Stellenwert erhält.“
Ich konnte das nicht glauben, denn das bloße Interesse kann nicht ausreichen, das kann nur von kurzfristger Dauer sein. Denn aus eigener Erfahrung ist dies nicht möglich. Ich schaute im Internet nach weiteren Informationen über EMDR. Und ich war in wenigen Minuten ernüchtert. Was war dort zu erfahren? Letztendlich sind Sie selbst nur wenige Mouse-Klicke von Menschen entfernt die von starken Regressionen und Ängsten berichten. Eine junge Frau traute sich nach einer EMDR-Sitzung nicht mehr aus ihrer Wohnung heraus, hatte Angstzustände und das Schlimme war, das die Therapheutin ihren Gefühlen hilfos gegenüber stand und ihr nicht helfen konnte. Sie suchte im Netz nach Hilfe, nach Menschen die ihr nun etwas raten konnten. – Ich verstehe nicht wie sie schreiben können: „…ich habe zu wenig Erfahrung damit, um zu verstehen, weshalb sie so wirksam sind…“ Das ist ein eindeutiger Widerspruch zu dem oben zitierten Text im ABBRUCH. Was für Erfahrungen braucht man und was gibt es nicht zu verstehen, um zu erkennen, dass es sich hierbei um eine gewaltsame Theraphieform handelt. Der therapeutische Mißbrauch bei EMDR liegt nahe. Welcher verantwortungsvolle Therapeut, der Kenntnis seiner eigenen Lebensgeschichte hat und über eine intakte Gefühlswelt verfügt, der bereit ist seinen Klienten zu begleiten, zu unterstützen, wird EMDR anwenden? Ich finde EMDR schlicht weg verantwortungslos. Kommt diese Behandlungsform nicht dem Zeitgeist nahe, ganz schnell alles aufzulösen ohne Rücksicht auf unseren Körper, der sein eigenes Tempo hat, der auf echte, wirkliche Kommunikation angewiesen ist?
Der Trend scheint immer mehr dahin zu gehen, den Menschen als Maschine zu betrachten. Man füttert ihn mit den richtigen Informationen, löscht Daten, Fehlprogrammierungen, gibt ihm den nötigen Treibstoff in Form von Pillen und der Mensch funktioniert wieder, reibungslos.- Die vielen neuen Therapieformen scheinen nur eines zu wollen: die Vermeidung wirklicher Kommunikation und damit die Vermeidung des direkten Kontakts zum Klienten, der weiterhin seine Not verkapselt, um das Bild der liebenden Eltern aufrechtzuerhalten.
Im Kapitel I Abschnitt 2 Das Umgehen der Kindheitsrealität in der Psychotheraphie schreiben Sie zuvor ab S.55. wie gefährlich NLP ist, das es eine Manipulation des Körpers ist und eine Frage der Zeit wie lange die anfängliche positive Wirkung der „Programmierung“ anhält. EMDR ist für mich auch eine Manipulation und äußerst gefährlich, wenn der Therapeut nicht in der Lage ist die plötzlichen Gefühle aufzufangen, den Klienten zu stützen.
Der gesamte Organismus kann dadurch stark überlastet werden. Dem Machtmißbrauch durch den Therapeuten sind Tor und Tür geöffnet. Solange es in den Therapiesitzungen noch immer Therapeuten gibt, die fast ausnahmslos die Elternposition einnehmen, ist es eher unwahrscheinlich, dass sich hier eine langfristige positive Wirkung einstellt, insbesondere bei schweren Traumatisierungen.
Das Leben ist zu kostbar, als das man es immer wieder aufs neue an Menschen verschwendet, die ihre Macht ausspielen und den Klienten stellvertretend für ihre eigenen seelischen Mißhandlungen quälen und büßen lassen. In solchen Therapien wird die seelische Grausamkeit, das Verbrechen am Kind, das sich nicht wehren kann und darf, zementiert. Das „böse, schlechte Kind“ bleibt gefangen und wird nie mehr sprechen können. Unsere Eltern haben dann gewonnen. Wir leiden und tragen ihr Leben weiter, aber das eigene Leben kennt man nicht und man weiß nicht, dass es das wirklich gibt. Man wird nie erfahren, dass das eigene Leben möglich ist, das es gut und richtig ist sich zu fühlen.
Meine eigenen Erfahrungen, bestätigen mir, wie wichtig Informationen, Hinweise und Klarsicht sind, auch was Manipulation und Ignoranz in der Therapie anrichten können. Denn die Verdrängung alleine aufzuheben ist auch so schwer, weil es keine Reflektion gibt.
Das erste Buch das ich von Ihnen laß, war das DAS DRAMA. Ein Jahr zuvor, ich war gerade 23 Jahre alt, hatte ich mich aus einer Therapie gelöst, die mich stark schädigte. Von der ich mich bis heute nicht erholt habe. Ich war damals, eine junge attraktive Frau, voller Sehnsucht nach Leben. Aber ich hatte Angst vor Männern, ich kann nicht lieben, ich mußte immer weglaufen.
Das ist bis heute so.- Dieser Therapeut war völlig unfähig Gefühle zu zeigen. Er konnte mich nicht anschauen und wenn, dann starrte er mich nur an, ohne Mimik, er wirkte verklemmt. Es war keine wirkliche Kommunikation möglich. Dieses entsetzliche Schweigen seinerseits schmerzte mich sogar körperlich… Ein Satz der mir heute noch weh tut war: „Ihre Familiengeschichten interessieren mich nicht…“ Ich schämte mich plötzlich meiner Person, fühlte mich so schuldig, mein Selbstwertgefühl sank. Ich weiß heute, daß er mich so behandelte wie die Männer in meiner Familie, die mich mit Verachtung und Mißachtung straften.
Ich habe seit dem keine emotionale Erinnerung mehr. Ich kann nicht mehr fühlen. Es ist die Hölle. Es war ein langsames Absterben, das ich nicht aufhalten konnte. Ich wurde mir immer fremder, einsamer, isolierter. Damals hatte ich große Angst, daß meine Seele stirbt. Nachts bin ich vor Angst aufgewacht und musste mich übergeben. – Vor dieser Therapie bin ich einem Menschen begegnet der mir zu hören konnte, stundenlang und ich fühlte mich zum ersten Mal angenommen, gemocht. Ich fühlte mich lebendig, konnte mich fühlen, dass ich ein Recht auf ein Leben habe. Aber diese besagte Person tröstete mich, ich sollte mit diesem Therapeuten Geduld haben, er würde sein Handwerk verstehen…Um die Zuneigung meiner rettenden Zeugin zuvor nicht zu verlieren, ließ ich mich dann bei diesem Therapeuten ein halbes Jahr lang quälen…Seit dem „möchte ich nach Hause“. Ich fühle mich vertrieben aus meinem Körper. – Kein Therapeut hat bis heute verstanden was ich meine, wie und was das ist, keine emotionale Erinnerung mehr zu haben. Ich fühle mit dem Kopf. Ich kann seit dem nicht mehr richtig riechen und schmecken. Das ist auch Teil einer Autoimmerkrankung die ich kurz nach dieser Therapie entwickelte.
Später wurde sie sehr lebensbedrohlich für mich, als ich die Kraft fand, mich von einem Mann zu trennen, den ich weder lieben noch verstehen konnte. Aber er konnte die Beziehung ohne die nötige Nähe zu mir aushalten, das hielt mich lange bei ihm…Meine Nieren drohten ihre Funktion aufzugeben. Ich sollte über mehrere Monate eine Chemotherapie bekommen, als Infusion. Aber ich sagte sie ab. Der Arzt flippte aus zog mir die Krankenakte über den Kopf und meinte, wenn ich seine Behandlung nicht wollte, könnte ich zum nächsten Bestattungsinstitut gehen. Ich blieb bei meiner Entscheidung. Ich hatte große Angst. Zu Hause kroch ich vor Panik, Verzweifelung und Hilflosigkeit auf allen Vieren auf meinem Teppich…Aber ich gab nicht auf. Ich konnte nicht etwas tun, das nicht mit meinem Denken übereinstimmte, wovon ich nicht überzeugt war. Ich flehte meinen Körper an, er möge mich nicht verlassen…Ich hatte Niemanden der mich dabei unterstützte. Erst als ich einen Arzt fand der mich nochmals untersuchte und der mich dann darin bestärkte die Chemotherapie nicht zu machen, fanden meine Freunde das auch richtig. Als ob der Arzt erst die Legitimation für meine Entscheidung war…
Ich habe heute noch meine Nieren…Ich habe instinktiv gewußt, dass mein Körper mich an viel weiter zurückliegende Trennungsschmerzen und an das Festhalten von Illusionen, demütigenden Prägungen erinnerte.
In zwei weiteren Therapien, in denen ich versuchte, meine emotionale Erinnerung wiederzuerlangen, bekam ich u.a. zu hören, ich wäre damals nicht therapiefähig gewesen, ich weigere mich „neues dazu lernen“ zu wollen. – Ich wurde immer stummer und verzweifelter. Die Last der Schuld selbst keinen Ausweg aus der Leblosigkeit und Angst zu finden und die Bindung zur Therapeutin mit der heimlichen Hoffnung, dass sie mich doch noch versteht, ließ mich dann körperlich vor Erschöpfung zusammenbrechen…Ich habe einen Kampf geführt, der meiner Mutter gegolten, irgendwann doch noch von ihr verstanden zu werden… Die Therapien haben mich noch mehr von mir weggeführt, mich noch mehr entfremdet, statt mich mehr wahrzunehmen. Ich habe, wie ich es in der Kindheit tun musste, meinen Körper übergangen, Dinge von ihm gefordert, zugemutet, die ihn überfordert und entkräftet haben. Obwohl mein Innerstes es besser wußte…Ich war verführbar, durch Worte der Therapeuten, die mir Verständnis signalisierten, aber letztendlich wohlwollend meine Erinnerungen und Gefühle abwehrten. Ich habe versucht etwas zu leisten, was unmöglich ist: das brave Mädchen zu bleiben, das verzeiht und gefühllos seinem Märtyrium gegenüber ist und trotzdem lebendig ist…Schon allein, dass mir zu gehört wurde, der Wille dazu, ließ mich sinnlos auf Verständnis hoffen und meine Bedenken beiseite wischen…Und das war die eigentliche Gefahr.
Während dieser Zeit, habe ich habe hilflos zusehen müssen, wie ein Mann der mich sehr mochte, der sich um mich bemüht hat, zu dem ich sehr starke Liebesgefühle entwickelt habe, wie ich ihn immer wieder ungwollt abgwehrt habe. Ich glaube das ich zum ersten Mal in meinem Leben so empfunden habe. Aber ich konnte es ihm nicht zeigen bzw. war jedes Mal gehemmt. Ich konnte ihn nur still im Herzen für mich lieben und wenn er vor mir Stand, war ich das kleine schüchterne Mädchen das ihn anhimmelte, wie damals ihren Papi und darauf wartete das er etwas sagte, etwas tut, das mich aus der Starre holt…Das passierte erst, als ich merkte, das er mich schrecklich gern hatte. Das war wie ein Automatismus, den ich nicht ausschalten konnte. Vorher hatten wir uns wunderbar, einfach prächtig verstanden. Es war eine Art Seelenverwandschaft… Statt mich des Gedankenaustausches mit diesem Mann weiter hinzugeben, den ich so geliebt habe, der mich ebenso mochte, war jede Kommunikation plötzlich abgebremst, ja fast unmöglich. Ich hatte plötzlich ständig das Gefühl ihm erklären zu müssen, wie es mir geht, das ich so und so bin oder jetzt nicht reden kann etc. Denn wirkliche Nähe konnte ich nicht zulassen. Damit konnte er nichts anfangen, ich blieb ihm unverständlich. Es war auch für ihn dann eine Qual. Letztendlich habe ich ihn „verloren“. Es war für mich eine starke seelische Erschütterung. Und ich schäme mich dafür „nicht besser“ gewesen zu sein. Ich schäme mich meiner, als ob ich „minderwertige Ware“ bin und mich dieses Brandmals niemals entledigen kann. – Obwohl es so weh tut, ist es mir ein Stück allein gelungen, die Zusammenhänge selbst zu erkennen und die dazugehörigen Emotionen ausfindig zu machen. Mir ist deutlich geworden wie sehr ich an der Figur meines Vaters gelitten habe als Kind. Ich wußte es natürlich schon immer, aber ich konnte erst jetzt die emotionalen Zusammenhänge verstehen bzw. diesen Irrsinn von damals als Auswirkung, als Folge bewußter wahrnehmen. Ich konnte als Kind nicht verstehen, das mein geliebter Vater mich seelisch verlässt. Ich konnte nicht mehr auf ihn zu gehen. Ich war Luft für ihn, er starrte durch mich hindurch. Oder wenn er mich registrierte, behandelte er mich fremd, als ob wir uns nicht kennen würden. Er hat mich ausgelöscht. Alle meine Versuche ihm zu zeigen, dass ich ihn lieb habe, dass er mich wieder beachtet, scheiterten. Heute kann ich nur ahnen, was es für mich als kleines Mädchen bedeutete. Mein Vater war für mich der wichtigste Mensch den es gab. Ich liebte ihn über alles. Ich war gerade fünf Jahre alt, als er mich von sich stieß. Ich habe mir nichts sehnlicheres gewünscht, als das er mich in seine Arme nimmt und sagt das er mich liebt. Selbst wenn er im Hause war, ist er nicht mehr zu mir gekommen. Meine Seele schrie stumm nach ihm. Und meine Mutter hatte es mir „verboten“ ihn weiter zu lieben. Sie hat mir meine Sehnsucht nach ihm verboten, mich mit verachtenden zynischen Worten attackiert. Nicht nur das ich meine Sehnsucht nach meinem Vater verbergen musste, sondern auch mit ihrer offenen Verachtung meiner Gefühle, wurde ich gestraft. Die Scheidung wurde vor meinen Augen ausgetragen. Zynismus, Verstümmelung und Verachtung der Gefühle, waren Kriegsschauplatz…Und ich existierte dazwischen, als Puppe, die man beliebig hin und her schob, benutzte je nach Interessenlage. Meine Gefühle von Schmerz, Trauer und Sehnsucht hatten an der Seite meiner Mutter keinen Platz. Stattdessen wurde ich zum Stopfkissen ihrer Wut, ihrem Hass auf meinen Vater, letztendlich Opfer ihrer Eifersucht, denn ich hatte einen Vater und sie nie. Sie kannte ihn nicht, weil er in der NS-Zeit durch Verfolgung um kam. Ich kann mich nicht erinnern, damals je eine Träne geweint zu haben. Dafür bekam ich in dieser Zeit entsetzliche Blasenschmerzen, von denen ich fast ohnmächtig wurde…
Als mein Vater das Haus verlassen hatte, erlangte ich etwas Stabilität. Ich wurde eine gute Schülerin, bekam Auszeichnungen und ich hatte Freude … Meine Mutter heiratete dann ziemlich bald ein zweites Mal, heimlich, einen Mann den sie nicht liebte, den sie fürchtete, er war ein Tyrann, körperlich ein Ekel. Ich fand die Eheurkunde durch Zufall. Ich war damals 9 Jahre alt. Er sah nicht nur so aus wie Hitler, nur ohne Schnauzbart, er benahm sich auch so, schrie, tobte und wütete. Ein anderer Vergleich wäre eine Lüge. Er mochte mich nicht leiden. Ich war der Störfaktor, sein Neidobjekt, sein Ventil für Wut- und Haßausbrüche. Meine Angst war unsterblich groß. Einmal weinte ich vor Angst, lag zähneklappernd im Bett und meine Mutter „beruhigte“ mich, „es ist doch alles gut“…Anfangs nahm er mich bei Seite zu einem „Gespräch“. Was zu diesem Zeitpunkt an kindlicher Unbeschwertheit von mir übrig war, wurde jetzt restlos ausgelöscht. Von da an bekam ich in der Schule schlechte Zensuren, ich litt unter starken Minderwertigkeitsgefühlen… Ich fühlte mich zertreten, das was mein Vater nicht geschafft hatte, tat er.
Um des „lieben Friedens Willen“, wie meine Mutter heute sagt, blieb sie still, so ruhig und geduldig. Mit anderen Worten sie hat mich lieber verheizt. Sie hat mich für ihre Kindheit büßen lassen. Ich durfte es auf keinen Fall besser haben als sie…Selbst als er mich sexuell mißbrauchte, schwieg sie. Auch in dieser Ehe war ich Stopfkissen ihrer Wut und dem Haß ihrer Hilflosigkeit gegenüber diesem Mann.
Meine Mutter hat sich unbewußt einen Mann gesucht, der stellvertretend für sie ihr Kind quält, demütigt und seine Seele tötet. Was sie sich durch ihre Moral nicht getraut hat offen zu tun, hat sie ihm überlassen. – Ich wurde gehalten wie ein Hund. Alles was mir Freude machte, lernen, malen, Klavier spielen etc., wenn ich mich einfach glücklich fühlte, Glücksgefühle, wurden durch sie wertlos gemacht, zerstört. Ich habe heute weder Freude noch empfinde ich Leidenschaft an Dingen meines Selbstausdrucks. Es ist mir unmöglich geworden…Das einzige was mir damals blieb, waren Bücher, aber auch die versuchte mir mein Stiefvater wegzunehmen, so versteckte ich sie. In den Büchern konnte ich Halt und Trost finden, Orientierung, sie sprachen zu mir, liebten mich…
Ich bin schon bei meiner Geburt eine Schuld eingegangen, die ich Zeit meines Lebens nie abtragen kann, die Schuld und Angst das es mich gibt, das ich bin. Denn meine Mutter wollte mich nicht bekommen. Sie ließ es zu, dass ihr eine Krankenschwester eine Spritze gab, damit die einsetzenden Wehen zum Stillstand kamen, damit sie schläft…Ich wurde dadurch 3 Tage später geboren… Auch jetzt wenn ich schreibe, fürchte ich abgewehrt, vernichtet und gewertet zu werden, es ist wie ein aussichtsloser Kampf, um eine Stimme die sprechen darf, um dem Seelentod zu entgehen.
Mir ist es dann auch ohne Therapiebegleitung möglich geworden, mich von meiner Mutter zu lösen. Mein Körper hat für diese destruktive Bindung einen hohen Preis gezahlt. Die Selbstdestruktion hat meinen Körper stark geschädigt und es fällt mir heute schwer mich im Spiegel anzuschauen. Ohne Schmerz und Verlustgefühl ist es kaum möglich. Als verlängerter Arm meiner Mutter habe ich im unbewußten Selbsthaß vollführt, was sie töten wollte, was ihren tiefsten Neid auslöste, meine Jugend, meine Vitalität, meine Ausstrahlung, mein Gesicht, mein Haar, letztendlich mein Leben. – Aber ich lebe noch. Ich konnte die Selbstdestruktion erst wahrnehmen als mein Körper, mir im Spiegel seine Verletzungen zeigte. Vorher war es für mich nicht faßbar, sichtbar was ich tue, weil nicht fühlbar. – Es ist ein Schock. Schuldgefühle meines Handelns quälen mich. Dieser Schmerz sitzt so tief, macht mich schlaflos. Und ich kann nicht mehr glauben, jemals ein Stück von mir wieder annehmen zu können. – Dabei wollte ich mich immer schützen und habe es auch in gewisser Weise tun können. Aber zu viel blieb mir verborgen, von dem ich selbst nicht ahnen konnte, mit welcher Gewalt es sich den Weg bahnt, von den Therapeuten ignoriert und im Vergessen bestärkt, zahlte ich den Preis.
Ich hatte weder Kindheit noch Jugend. Meine Mutter hat jede lebendige Regung in mir mit Neid und Eifersucht verfolgt, meine Gefühle kontrolliert, zerstört und unterdrückt. Immer getarnt mit den Sätzen: „Mami hat dich sehr lieb. Ich verstehe dich doch. Ich habe dich doch so lieb und ich will nur das es dir gut geht. Küßchen Mami.“ – Maskierte Brutalität zärtlich, liebevoll verpackt. Ich weiß heute nicht was grausamer und härter ist, die offene Brutalität meines Stiefvaters, der mich als 10jähre fast mit einem Stuhl erschlagen hätte, oder maskiert als schleichendes Gift, das seine Zielsicherheit und Langzeitwirkung gegenüber der offenen Brutalität um Längen übertrifft…
Aber ich will nicht aufgeben, ich will mich nicht dem Vergessen der Verdrängung fügen. Es gibt keine größere Angst für mich, keinen schlimmeren Zustand, als mein ganzes Leben ohne mich leben zu müssen, ohne zu fühlen. –
Wie kann ich nur diesen Panzer aufbrechen? „Ich habe nie geschrieben, wenn ich zu schreiben glaubte, ich habe nie geliebt, wenn ich zu lieben glaubte. Ich habe nie etwas anderes getan, als zu warten vor verschlossener Tür“. (Marguerite Duras). Ich möchte so gern die Tür zu mir wieder aufschließen, wieder fühlen können, dass mein Leben es wert ist gelebt zu werden, mich spüren. Diese Sehnsucht lässt mich nicht schlafen. Alles ist die Suche danach…Nicht lieben zu können, ist als ob man weinen möchte und die Tränen fehlen…
Vielleicht wird es ja irgendwann in der Psychotherapie möglich, das Bild von der seelischen Entwicklung des Menschen zu korrigieren. Vielleicht wird es in naher Zukunft endlich dann eine neue psychotherapeutische Ausbildung geben, wo die alten Lehrmeinungen zur Wissenschaftsgeschichte gehören und nicht Gegenstand der Ausbildung für die Praxis sind. Ansonsten wird es weiterhin Glückssache bleiben, einen aufgeklärten Therapeuten zu finden. Niemand wird ernsthaft versuchen, ausgehend vom geozentrischen Weltbild uns den heutigen Sternenhimmel erklären zu wollen. Aber im Hinblick auf die psychische Entwicklung und die tatsächlichen Bedürfnisse des Kindes, tut man das. Das Wissen wird ignoriert. Das ist absurd.
Während ich das hier schreibe, kommt es mir wie ein Wunder vor, dass es Sie gibt und Sie diese wichtigen Bücher schrieben, die für so viele Menschen ein Wegweiser sind…
EB
AM: Sie haben Ihre Gefühle nicht umgebracht, ganz und gar nicht, sonst hätten mich Ihr Brief und Ihr Leiden nicht so stark berührt. Ich habe den Eindruck, dass Ihr Intellekt nicht (wie bei vielen Menschen) eine Flucht bedeutet, sondern Ihre Stärke bildet. Und wenn Sie sich erlauben, von dieser Kraft voll Gebrauch zu machen, werden Sie es schaffen, sich von Ihrer Verwirrung zu befreien, indem Sie Ihre selbstzerstörerische Liebe zu Ihrem Vater aufgeben und sie dem kleinen Mädchen geben, das von beiden Eltern ignoriert, betrogen und irregeleitet wurde.
Vielleicht denken Sie, dass Sie diese Liebe nie aufgeben könnten, weil sie stärker sei als Sie. So denken viele Frauen, die irgendwie noch heute in ihrer Kindheit leben und nicht erwachsen werden dürfen. Aber sie irren sich. Als Erwachsene sind Sie nämlich stärker als diese Liebe, und Sie können sich ihrer entledigen, wenn Sie verstanden haben, dass Sie sie nicht mehr brauchen. Früher, in der Kindheit, brauchten Sie diese Liebe unbedingt, weil Sie mit einem brutalen Stiefvater und einer verlogenen Mutter aufwachsen mussten, so war die illusionäre Liebe zu Ihrem Vater für Ihre Seele unentbehrlich. Doch heute zerstört sie und verwirrt sie Sie. Warum sollten Sie einen Vater lieben (müssen), der Sie wie Luft behandelt hat, der Ihnen so viel Leid zugefügt hat, der Ihre Selbstachtung zerstört hat? Sie sind ihm keine Liebe schuldig, nur noch die Wut, die Sie zurückhalten, um ein gutes Kind zu sein und von jemandem, der offenbar nicht lieben kann, doch noch als der Mensch, der Sie sind, geliebt und endlich anerkannt zu werden. Doch diese Unterwerfung zerstört Ihre Würde und erzeugt Angst in den Beziehungen, die Sie eingehen. Sie fürchten dort die Liebe zu Ihrem Vater, mit Recht.