Ein Versuch, den ersten Ursprung zu erklären..

Ein Versuch, den ersten Ursprung zu erklären..
Thursday 22 June 2006

Liebe Alice Miller!

Hier ein paar Gedanken von mir zu der Frage, wo es anfing betreffend des letzten Leserbriefes von V.
Wobei ich es aber wie Sie sehe, daß es viel, viel wichtiger ist, im Hier und Jetzt zu bleiben, zu spüren, was gerade mit uns passiert, und nicht allzu sehr davon abzuschweifen, durch intellektuelle Erklärungsversuche von Dingen, die wir nie letztendlich verstehen werden können.
Ich persönlich habe nicht viel Wissen über Geschichte, Naturwissenschaft, und kann nur mit meinen zur Verfügung stehenden Fähigkeiten, die sehr rar besetzt sind, meine Gedanken dazu formulieren. Daher möchte ich meine Worte nur als meine persönlichen Überlegungen begriffen wissen, die leider nur kindlich und naiv wirken müssen.


Mit der Erkenntnis hat das Leben begonnen (Essen vom Baum der Erkenntnis). Leben, das aus Freude und Leid besteht. Und seitdem ist es die Erkenntnis von Freude und Leid, die uns leben lässt. Erkennt man es nicht, dann lebt man am Leben vorbei, man überlebt statt zu leben, man ist vernebelt. Erkenntnis = Leben.
Adam und Eva wurden aus dem Paradies verstoßen, weil sie sich für die Erkenntnis entschlossen, wodurch sie das Leben begannen.
Ist das Paradies demnach die Verschleierung, die Illusion, die Verdeckung der Wahrheit?
Imagination ist eine der heutigen Therapiemethoden bei Traumata, die gibt einem eine Art paradiesische Illusion. Man bleibt aber vernebelt und der Körper rächt sich.
Gott wollte also, dass wir illusionieren, und nicht erkennen, und bestrafte uns bei Nichtfolgen dieses Gebotes mit dem Leben?
Ist es also gottes-unfürchtig, zu erkennen, und dadurch zu leben?

Kann es nicht sein, dass es gott-gewollt ist, dass wir auch leiden, dass wir die Aufgabe haben, dieses aber zu erkennen? Und zugleich sich dabei dem Verbot dessen zu widersetzen? Und dass das dann echtes Menschsein ist? Sich also durch das Erkennen trotz des Verbots dessen weiterzuentwickeln, durch Leben, statt durch paradiesische Illusion zu vegetieren?

Es heißt doch auch, Gott sei die Wahrheit und das Licht. Also müsste es in seinem Interesse sein, wenn man der Wahrheit folgt.

Vielleicht ist es tatsächlich unsere Aufgabe, hinzuspüren, die Wahrheit zu erkennen, auch das Leid und dadurch zu leben anzufangen, in Liebe und Wahrheit? Denn welchen Wert hat Liebe ohne Wahrheit, das vermeintliche Paradies vor dem Beginn der Menschheit, vor dem „Fall“ von Adam und Eva?

Wie wunderbar lebendig und stark, voller Liebe, voller Leben fühlt sich jemand, der selbst den Schritt schafft, zu erkennen, was passiert, eben auch Schmerz? Der sich AUS SICH SELBST daraus befreit hat?

Ist es vielleicht der Sinn des Lebens, ist das vielleicht Gottes Wille? Macht es so nicht Sinn, an Gott zu glauben?

Gott hat angefangen. Er fing den Kreislauf an. Er gab bzw. gibt uns immer wieder die Chance, aus uns selbst heraus zum Licht, zur Wahrheit, zu Ihm zu finden. So war es vielleicht gedacht, oder? (Auch wenn die vielen Kirchen und Religionen das eben nicht tun)

Demnach hätte sich Gott als der Vater das alles ausgedacht, um uns dazu zu provozieren, aus uns selbst heraus trotz Verbotes zu erkennen.
Naja, vielleicht ist das aber auch aus menschlicher Sicht eine ziemlich sadistische Art und Weise. Ich weiß es nicht. Womit wir wieder am Anfang wären. Hm. Und gerade hier fängt es an, sich im intellektuellen Gedankenkreislauf zu verrennen..aus dem Leben zu verrennen..

K.

AM: Für das kleine Kind sind seine Eltern wie allmächtige, allwissende, liebende Götter. Immer. Wenn es Erfahrungen macht, die diesem Bild widersprechen, wenn der liebende Vater schreit und schlägt, versucht es sich, diese zu “erklären”, indem es sich selbst beschuldigt, um die Unversehrtheit seiner Götter zu retten, die es zum Überleben braucht. Diese kindliche Bemühung sehe ich in den theologischen und auch vielen philosophischen Bemühungen, die das kindliche Bild Gottes erhalten wollen. Warum hat der liebende Vater seinen Sohn geopfert und ihn kreuzigen lassen? Um uns von unseren Sünden zu erlösen. Warum hat er uns die Erkenntnis schon sofort nach der Schöpfung (der Geburt) verboten, noch BEVOR der Mensch “sündigte”? Sicher zu unserem besten, wir brauchen seine Gründe nicht zu verstehen, da wir an seine Liebe glauben. Warum lässt er zu, dass es Kriege, Kindesmisshandlungen und sinnlose Morde gibt, wenn er allmächtig ist und uns doch helfen könnte? Weil wir böse sind und es nicht besser verdienen. Man könnte so weiterfahren und eine schöne Kinderfibel daraus machen. Aber das hat NICHTS mit der Realität eines erwachsenen fühlenden Menschen zu tun, der es nicht nötig hat, mit offensichtlichen Widersprüchen zu leben. In meinem Buch “Abbruch der Schweigemauer” befindet sich ein Kapitel über die Klagen des Propheten Jeremias, die diese kindliche Dynamik illustrieren.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet