schwere „sanfte“ Misshandlung?

schwere „sanfte“ Misshandlung?
Saturday 12 July 2008

liebe frau miller,
ich beziehe mich auf den leserbrief vom 02.07 „die ach so schöne kindheit in einer waldorf familie“

die autorin schreibt:

Als Kind habe ich nicht so schreckliche Mißhandlungen erlebt, wie viele hier. (Zumindest ist es mir bisher nicht bewußt.) Ich bekam die „softe Variante“ zu spüren. Sie bestand aus:

– völliger Entzug von jeglichem Körperkontakt.
– Kein aussprechen von Gefühlen.
– Als Kindergarten Kind musste ich ca. 3 km alleine nach Hause laufen, weil ich etwas unwahres gesagt hatte. (Und was macht das Kindergarten-Kind auf dem Heimweg? Es macht sich alles schön, denkt: „Ach, ist alles gar nicht so schlimm, denn wenn ich nicht nach Hause hätte laufen müssen, hätte ich nicht diese schöne Sommerwiese gesehen.“)
-Wenn ich „frech“ war, wurde ich in den dunklen Keller gesperrt.
-Als ich ca. 7 Jahr alt war, ging meine Mutter mit mir zum Arzt (natürlich ein Homöopath, denn ich hatte gute Eltern) und fragt, ob alles ok bei mir sei, denn sie hätte das Gefühl, dass ich sehr „sexuell“ sei. Ich hatte nämlich nachgefragt, wann ich Brüste bekommen würde, nachdem ich eine stillende Mutter gesehen hatte und „Kuß-Fangen“ in der Schule gespielt.
– Der Kochlöffel zerbrach, als ich ihn auf den nackten Hintern bekam, deshalb war es eigentlich etwas witziges. (So mache ich es mir schön.)
– Wenn ich auf den Hintern geschlagen wurde, musste ich meine Hose selbst runterziehen und zu meiner Mutter gehen. (Wie krank!!!)
– Ohrfeigen gab es immer wieder mal und
– zu viele „dumme“ Fragen („Ich hätte wohl Dünnschiss im Kopf.“) sollte ich nicht stellen.

mir ist es ein großes anliegen ihr zu sagen, daß das keine softe variante ist, die ihr wiederfahren ist, sondern absolut grausame furchtbare arge, mißhandlung.

geschlagen, daß der kochlöffel brach, im dunklen keller eingesperrt, das ist grausamste mißhandlugn und hinterläßt tiefe spuren in der seele des kleinen wehrlosen kindes und im späteren erwachsenen.

sie wurde beschämt als sie sexuelle gefühle hatte als kind und hat deswegen heute schamgefühle beim sex.

sie wurde von ihren eltern nicht mit respekt, liebe, fürsorge behandelt deswegen fällt es ihr heute so schwer sich selbst zu lieben. von ihren eltern wurde ihr folgende botschaft mitgegeben: du bist es nicht wert, daß man lieb zu dir ist (alleien nachhause gehen lassen, schlagen usw usw). deswegen wurde das selbstwertgefühl suczessive zerstört.

ich wünsche ihr allen mut zu ihrem inneren kind zu finden und es ihr selbst zu erlauben der noch immer andauernden psychischen folter zu entrinnen. die mutter ist nicht „arm“ sie mißbraucht die autorin noch immer um ihr eigenes zerstörtes selbstwertgefühl aufzuwerten.

viel mut!

alles liebe, V

AM: Vielen Dank für Ihre wichtige Zuschrift, die wir gerne hier veröffentlichen. Was müsste noch alles geschehen, damit man den Mut hat, die eigene Kindheit als schwere Misshandlung zu erkennen?

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet