Wir immitieren unsere Eltern

Wir immitieren unsere Eltern
Thursday 28 February 2008

Liebe frau miller,
zu ihrer antwort vom 24. Februar fällt mir einiges dazu ein, welches vielleicht auch für andere hilfreich sein könnte:

ich bin von meinen eltern ignoriert worden und heute wird mit erst so richtig bewußt (ich bin jetzt 35 jahre), dass ich dieses verhalten oft unbewußt imitiere. mein mann wurde als kind auch ignoriert, es trägt sich also folgende situation zu, er will zuwendung und ich bin auf grund meines nicht mich spürens (es hängt damit zusammen, wenn ich meine „pflichttelefonate“ mit meinen eltern absolvierte, immer dieses verhalten zu tage kommt!!!), nicht dazu in der lage diese zuwendung zu geben. er wird dann plötzlich mehr und mehr zum kleinen kind, welches sich weinerlich mir kund tut und um zuwendung bettelt und ich werde mehr und mehr zu meinen vater, welcher seine ruhe haben will. interessanter weise verfalle ich in die rolle meines vaters und mein mann in die rolle seiner eigenen kindheit. es zeigt, welche unglaubliche dynamik diese situation in sich birgt. durch ihre antwort auf diesen leserbrief (auch in gesprächen mit meinen mann) wurde mir glas klar, wie tief diese ver!
letzungen in mir vergraben sind und wie sehr ich dazu neige, diese verhaltensmuster nach zu machen und zu wiederholen.
Ich habe jetzt über ein jahr kontakt zu meinen inneren kind, wenn ich davon erzähle, verstehen mich die wenigsten menschen was ich eigentlich meine… sie wollen wohl ihr eigenes inneres kind verleugnen und haben angst davor was es ihnen erzählen könnte. anfangs wollte ich sehr viele menschen daran teilhaben lassen, an diesen großen befreienden gefühl, endlich die kleine d. nicht mehr alleine zu lassen, leider wurde ich missverstanden, oder ignoriert.am schlimmsten war es aber für mich, dass ich bei menschen mit intellekt kein verstehen erlangte, ich kämpfe für mein kind in mir und mußte erleben, dass man sie, liebe frau miller, als sektenführerin und dergleichen hin stellen wollte und ihre glaubwürdigkeit angeblich fraglich sei. was habe ich daraus gelernt:
Anfangs war ich auch verwirrt, ich hatte angst an mich selber zu glauben, meine eigene gefühlswahrnehmung ernst zu nehmen und dazu zu stehen. barbara hat es in einen antwortbrief wunderbar formuliert und es mir kurz und bündig klar gemacht. jetzt wende ich eine andere taktik an, ich begegne den menschen auf einer sehr zarten vorsichtigen ebene, ich versuche direkt ihr kind anzusprechen, komischer weise, werden sie dann sanft und spüren, dass ich ihnen ja nichts böses tun will. ich lerne bei solchen gesprächen auch immer mehr und mehr über mich selber. es ist ein langer weg… nicht immer leicht, aber ich spüre, es ist mein weg!
Ich finde ihre antwort ausgezeichnet!
Liebe grüße D. A.

AM: Danke für Ihren Brief. Es ist Ihnen offenbar gelungen zu merken, wie Sie Ihren Vater und vielleicht auch Ihre Mutter imitierten. Das ist eine mutige und, wie Sie sehen, eine hilfreiche Entdeckung, die uns selten gelingt. In den meisten Fällen bleibt diese Imitation unbewusst. Sie blockiert die Beziehungen, solange man noch angst hat, deutlich zu sehen, wie die Eltern wirklich waren. Den höchsten Preis zahlen natürlich die Kinder, weil sie ihre Verleugnung lebenslang durchziehen müssen, ausser sie entscheiden sich für die Wahrheit.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet