Ich drehe mich im Kreis

Ich drehe mich im Kreis
Thursday 28 January 2010

Ich dreh mich einfach im Kreis…

Seit Monaten. Schmeiß ich meine Doktorarbeit oder ist daran doch etwas eigenes von mir, dass ich zerstören würde?

Als ich sie vor 4 Jahren begann, war noch alles erstarrt in mir, ich meiner Mutter völlig ergeben und meine Neurodermitis mir ein Rätsel. Dazu hohe Leistungen in der Schule und dann nahtlos weiter im Studium und bis weit in die Doktorarbeit hinein.

Mit dem Tod meiner Großmutter, bei der meine Eltern wohnten und auch ich einen großen Teil meiner Kindheit verbrachte, wagten sich die Gefühle nach oben und meine Halbschwester, meine Mutter und ich wurden depressiv.

Ich litt schwer an Neurodermitis, konnte den Familienkreis oder besser die Illusion aber schließlich aufbrechen, dank Ihnen und dank eines guten Freundes, der mir “das Drama des begabten Kindes” gab und damit eine Lawine in mir ins Rollen brachte.

Meine Mutter, noch heute ein hilfloses und bedürftiges Kind, hat mir nie Wärme, Liebe und Geborgenheit gegeben, stattdessen sie sich bei mir geholt. Ich lebte viele Jahre allein mit ihr und war sehr einsam. Sie war und ist kalt, distanziert und grausam. Den Kontakt mit ihr habe ich vor einem halben Jahr endgültig abgebrochen.

All meine Wut über die mit Medikamenten erzwungene Geburt, die Ausbeutung, die fehlende Liebe, die Schläge und diese vielen so schwer greifbaren subtilen Manipulationen hatte ich bis vor zwei Jahren nie gespürt. Stattdessen hatte ich mich seit dem Kleinkindalter bis aufs Blut gekratzt. Aber nie einen Wutanfall, nichtmal im typischen “Trotzalter”.

Die habe ich jetzt dafür täglich und komme auch mit der Zeit an immer mehr Erinnerungen heran. Die Neurodermitis war verschwunden, ich konnte mir selber die nötige Geborgenheit geben, bin mit meinem Freund dorthin gezogen wo es uns gefällt.

Aber da ist noch immer ein Haken. Meine Doktorarbeit. Wie eine große Kiste schiebe ich sie auf meinem Weg weiter und sie wird immer schwerer, weil sie zu diesem Leistungsdenken gehört; ich sie angefangen hatte, um mir eneut vergeblich die Liebe meiner Mutter zu verdienen. Bis vor einem Jahr hatte ich eine Anstellung dafür, aber die Arbeit nicht geschafft, weil ich dann nicht mehr im Leistungswahn ackerte. Nun quäle ich mich ein Jahr danach immernoch damit herum, habe zwischen Wohnung renovieren und anderen kleinen wisenschaftlichen Arbeiten nur wenig Zeit darin investiert.

Zum Jahresanfang hatte ich mir nun vorgenommen, die Doktorarbeit in diesem Jahr fertig zu machen. Es ist ja auch eine finanzielle Frage. Und nun… Die Neurodermitis ist wieder da. Es geht mir schlecht, wenn ich daran arbeite, ich bekomme mehr Wut, statt über das geschaffte zufrieden zu sein. Und es geht mir schlecht, wenn ich nicht daran arbeite, weil ich es ja endlich weg haben will.

Warum schaffe ich es nicht, die Kiste einfach stehnzulassen und frei zu leben? Steckt da also doch was eigenes von mir drin? Schließlich habe ich mir das Thema ja selbst gesucht, es hat mir auch zwischenzeitlich Spaß gemacht, und es kommt auch was Tolles dabei raus. Oder doch “nur” die Angst, die Erwartungen von Professoren und Kollegen zu enttäuschen? Und die Angst, nicht zu wissen, was ich dann mit meinem Leben anfange, wenn ich meinen Beruf an den Nagel hänge.

Ist das nicht auch eine Art Selbstzerstörung, wenn ich mir diesen beruflichen Ast absäge ohne zu wissen, was ich stattdessen tun will? Muss ich alles kaputtmachen, was ich mir trotz (und auch wegen) meines Schadens aufgebaut habe?

Oder ich sage gleich, dass ich mich nicht traue, die Arbeit zu schmeißen. Aber soll ich mich noch so lange weiterquälen, bis sie dabei entweder doch fertig geworden ist oder ich es irgendwann schaffe, es zu lassen, obwohl sie schon fast fertig ist? Oder mich selber überrumpeln und einfach jetzt aufhören, mit starken Gewissensbissen?

Ich dreh mich einfach im Kreis…

Oder ist es das “sich im Kreis drehen” an sich, dass vielleicht irgendwie die Situation meiner Kindheit darstellt? Es ist ja auch so eine Art Erstarrung.

Vielleicht sollte ich noch dazu sagen, dass auch meine Berufswahl (Archäologie) stark davon geprägt war, meine Gefühle “auszugraben”. Und nun, wo ich sie ja wieder habe, ist irgendwie auch die Motivation für diesen Beruf nicht mehr so groß. Ich weiß also im Moment nichtmal, ob ich darin weiter arbeiten will oder nicht.

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Für einen Impuls wäre ich echt dankbar, SS

AM: Sie litten so schwer und so ungewöhnlich früh an der Neurodermitis. Könnte es sein, dass Ihr Körper unbedingt die GENAUEN Ursachen dieser Erkrankung AUSGRABEN möchte. Ist Ihnen das nicht wichtiger als das, was vor hunderten von Jahren passierte? Ein jahrelanges Leiden in der Kindheit lässt sich nicht damit liquidieren, dass man dahin fährt, “wo es einem gefällt”.

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