Mit 14 Jahren!
Saturday 09 January 2010
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Sehr geehrte Frau Miller,
ich möchte Ihnen danken, daß Sie sich so viel Mühe gegeben haben, Ihre Bücher zu verfassen. Ohne Ihre liebevollen Gedanken und Ihre kraftvolle Empörung würde ich heute nicht mehr leben.
Ich habe meine Kindheit und Jugend in der Stadtbücherei unseres Ortes verbracht. Nur dort war ich sicher. Niemand hat mir geglaubt, niemand geholfen, niemand sich empört.
Aber sie. Mit vierzehn Jahren hatte ich alle Bücher gelesen, die ich von Ihnen finden konnte. Es hat mich überwältigt, daß es jemanden gab, der in seinen Büchern sagte, ja, es ist dir passiert, es ist Unrecht und ich weiß es.
Aus Dankbarkeit dafür, daß es Sie und Ihre Arbeit da draußen in der Welt gibt, habe ich damals beschlossen, daß ich mich selbst um mich kümmern werde. Nach und nach konnte ich immer besser Menschen erkennen, die freundlich und herzlich sind, von ihnen konnte ich lernen.
Es war so erleichternd, daß Sie einem Opfer bösartigen Verhaltens nicht den infamen Auftrag erteilen “zu seinem eigenen Wohl”, den Tätern zu verzeihen/ zu vergeben. Das nützt nur den Tätern und verhöhnt die Opfer ein zweites Mal.
Nein, Opfer müssen stark werden dürfen, damit sie Täter als solche benennen können, damit sie das Ihnen abverlangte Schweigen brechen können, die Schuld und die Scham entschieden von sich weisen können und allen, die Opfer nur peinlich und lästig finden, als das brandmarken können, was sie sind: Mittäter.
Seit ich weiß, daß ich mich empören darf, ist es ganz leicht für mich, Liebe zu empfinden und auch zu empfangen. Andere zu lieben heißt für mich, ihnen ggf. ein wissender Zeuge zu sein. Das ist ganz leicht und bedarf eigentümlicherweise keiner Einladung, keiner Absichtserklärung. Alle spüren es einfach. Manche sprechen, andere lehnen mich intuitiv ab. Sie spüren, daß ich, falls ein Gespräch entstehen würde, nicht für Bemäntelungen, Allgemeinplätze und Beschönigungen oder gar Lügen zur Verfügung stehen würde.
So erscheint es mir richtig. Sobald man die Wahrheit sagen darf, wird es leichter.
Es ist leichter, das Unglück anderer zu sehen als wegzusehen.
Und manchmal muß man selbst in schlimmen Momenten mit dem Anderen so lachen, daß man spürt, wie die Lebenskraft sich durchsetzen will- und sich durchsetzen kann, wenn man nicht allein bleiben muß.
Liebe Frau Miller, vielen Dank für all das Schöne und Gute, daß Sie in Ihren Büchern auch für mich eingefordert haben. Es ist eingetroffen und es zieht Kreise.
Ich hoffe, daß Ihr Leben belohnt wird für all das, was Sie für andere bewirkt haben.
Alles Liebe,
C. R.=
AM: Ich las Ihren Brief mit ständig wachsendem Staunen. Ich konnte es kaum fassen, dass Sie schon mit 14 meine Bücher lesen und VERSTEHEN konnten, dass Sie die richtigen Schlüsse daraus gezogen haben, dass Sie sich so eindeutig und mutig von “Bemäntelungen, Allgemeinplätzen, Beschönigungen und Lügen” befreien konnten, auch dass es Ihnen gelungen ist, sich nicht von verwirrten Therapeuten verwirren zu lassen und diese Klarheit zu gewinnen, die so selten anzutreffen ist. Ihr Brief gibt mir eine ganz wichtige Bestätigung, dass es sich gelohnt hat, das alles zu schreiben. Ich danke Ihnen sehr für diese Mitteilung. Es würde mich freuen, zu erfahren, wie alt Sie jetzt sind und ob Sie Kinder haben.