Geeignete/r TherapeutIn

Geeignete/r TherapeutIn
Friday 08 September 2006

Liebe Frau Miller,

da ich die Auswahl eines Psychoanalytikers nicht mehr dem Zufall überlassen möchte, bitte ich Sie, falls das möglich ist, mir einen Therapeuten in Wien zu empfehlen, von dem Sie sagen würden, dass er/sie sicherlich das ausführliche Bearbeiten der Umstände und Zustände in der frühesten Kindheit eindeutig praktiziert. Denn Sie erwähnten in Ihren Büchern, dass das nur so ein Therapeut kann, der seine eigene Kindheit und die dazugehörigen Verdrängungen bearbeitet hat (oder so ähnlich – wenn ich das richtig verstanden habe). Ich habe nämlich eine abgebrochene Analyse hinter mir, wo das nicht der Fall war. Der Analytiker war ein bereits 30 Jahre praktizierender und international prominenter.

Ich wurde nach meiner Geburt 1 Jahr lang täglich den ganzen Tag alleine gelassen, da meine Eltern gearbeitet haben.( Sie waren sogar stolz darauf, dass ich “nie geschrieen hatte”!). Mit 9 Monaten war ich rein und an meinem 1. Geburtstag fing ich an zu laufen. Dann kam ich zu den Grosseltern, wo ich bis zu meinem 5. Lebensjahr (auch meine 1 Jahr jüngere Schwester) war. Obwohl ich mich nicht an konkrete Bilder erinnern kann, “weiss” ich, dass mich mein Grossvater sexuell misshandelt hat – ich spürte das intuitiv. Da ist eine Szene, in der ich immer die Kellertür sehe, aber niemals sehen kann, was sich hinter dieser Tür abspielt. Letzten Juni fragte ich meine Mutter – da ich das gespürt hatte – ob sie von ihrem Vater misshandelt wurde, worauf sie mir eine Bestätigung gab und in Tränen ausbrach. Er hat sie von ihrem 5. bis zu ihrem 17. Lebensjahr sexuell misshandelt. Weder mein Therapeut, noch sonst irgendwer konnte mir bisher erklären, warum ich als Kind jeden 2. Tag davon träumte, mit meiner Mutter sexuell zu verkehren (immer der gleiche Traum!). Ob das was mit der “Einverleibung” (Introjektion) zu tun hat ? Homosexuell bin ich jedenfalls nicht, obwohl ich sehr lange nicht gewusst habe, was ich eigentlich bin. Auch heute noch kann ich Sex nicht leiden, was für meinen Mann nicht gerade schön ist. Ich habe bis zu meinem ca.25 Lebensjahr 28 Selbstmordversuche hinter mir. Wusste aber nie weshalb. Ich sah keinen Sinn mehr. Depressionen waren mein ständiger Begleiter.
Als Kind musste ich immer meine Mutter beschützen, mich um sie seelisch kümmern etc. Sie sprach mit mir, wann ihr danach war, wenn sie sauer war, sprach sie mit mir oft tagelang nicht. Mit 13 wollte sie mich in eine Nervenheilanstalt einliefern lassen. Sie beschimpfte mich als Hure (obwohl ich weder am Abend fort ging, noch irgend einen Freund hatte), und heute weiss ich, dass sie unbewusst sich selbst beschimpft hat. Seit meinem 16. Lebensjahr habe ich Bulimie (Jetzt bin ich 33). Das ist bei mir eine tägliche “Sache” (heutzutage nur noch 4-6 Mal/ Tag – früher waren es bis zu 40 Mal/ Tag). Ich habe extreme Prüfungsängste, die bereits beim Gedanken an das Lernen anfangen, und dann fange ich erst gar nicht zu lernen an. Ach da gäbe es noch so viel zu sagen, aber mir ist bewusst, dass Sie nicht so viel Zeit haben und dass das alles in einer Psychoanalyse bearbeitet werden soll.

Ich hoffe, dass Sie dieser Brief erreichen wird und dass Sie mir eventuell helfen können, einen guten Therapeuten hier in Wien zu finden.

Mit lieben Grüssen, S. M.

AM: Sie hatten ja eine grauenhafte Kindheit gehabt! Gehen Sie nicht zu einem Analytiker, weil diese Leute nicht dafür ausgebildet sind, um an den erfahrenen Misshandlungen zu arbeiten. Da ich weder in Wien noch anderswo solche Therapeuten kenne, habe ich die FAQ Liste geschrieben, die Ihnen bei der Wahl eines Therapeuten helfen könnte. Doch zögern Sie nicht, Ihre Fragen zu stellen, BEVOR Sie die Wahl getroffen haben. Und lesen Sie meine Artikel auf dieser Seite, besonders den über Empörung. Vielleicht wird die Bulimie aufhören oder sich abschwächen, wenn Sie sich erlauben, Ihre Mutter nicht mehr zu sehen. Es ist ein mehrfaches Verbrechen, das sie an Ihnen begangen hat, und Sie tun sich nun selber etwas Ähnliches an, wenn Sie diesen Kontakt aufrechterhalten. Stattdessen versuchen Sie sich vorzustellen, wie Sie als Kind unter dieser Frau und dem Großvater, dem sie Sie ausgeliefert hat, gelitten haben. Versuchen Sie, sich von Ihrem Mitleid für Ihre Mutter und dem analytischen Verständnis zu befreien. Die Träume erzählen Ihnen, was geschehen WAR. Haben Sie “Die Revolte des Körpers” gelesen?

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet