Eltern missbrauchen mit voller Absicht!

Eltern missbrauchen mit voller Absicht!
Friday 19 October 2007

Sehr geehrter Frau Miller,

vor einigen Monaten haben Sie mich in einer Antwort auf meine Email gefragt: “Wie, da können sie nicht empört sein (über meine Eltern)?” Ihre Frage hat mich tief bewegt und betroffen gemacht. ich konnte tatsächlich nicht empört sein. ich war taub diesem Gefühl gegenüber. Ich wollte das ändern. Ich habe mich gefragt: “Wie kann ich empört sein? Was brauche ich dazu? Und Warum gelingt es mir bisher nicht?”

Die Antwort kam von meiner Frau: “Sieh es ein, Deine Eltern haben das alles mit purer Absicht getan! Mit vollem Vorsatz! Sie sind nicht unbewußt. Sie wissen, was sie tun!” als sie das sagte, bliebt mir die Luft weg. Schlagartig wurde aus meiner bis dahin niedergeschlagenen Traurigkeit eine aufrechte Empörung. Es war als würde man mir den Schleier vor den Augen wegziehen.

Seitdem kann ich meine Eltern als Täter sehen. ich sehe mich als kleines, unschuldiges Baby, dass mit vollem Vorsatz gequält und erniedrigt wird. Ich sehe, wie mich meine Mutter mit voller Absicht im Bettchen schreien läßt, damit sie Nachts keine Mühen hat. Wie mich mein Vater der mich mit bösen Blicken und Klapsen dazu bringt, das ich brav alleine in meinem Zimmer bleiben und ihn nicht in seiner Freizeit störe. Beide die keine Gelegenheit auslassen und mich zu demütigen, zu erniedrigen und zurückzusetzen.

Sie machen das mit vollem Bewußtsein und sitzen dann gemütlich beim Wein zusammen und freuen sich darüber, wie gut es ihnen wieder gelungen ist, dass ich Nachts nicht mehr aufmucke, dass eingeschüchtert und still in meinem Zimmer sitze und wie gut sie mir alle mein Wünschen ausgetrieben haben. “Besser als Fernsehen. Schenk nochmal ein.” Ich kann das alles jetzt sehen. Bin dabei voller Empörung und denken, ihr seid doch das aller allerletzte. Auch mein Wunsch sie wieder zu sehen, meine Erwartung, dass sie Einsichtig sind oder sich entschuldigen, ist verschwunden.

Zum Täter wird man mit Vorsatz. Nicht einfach so. Es braucht unglaublich viele Entscheidungen, um eine Jessica verhungern zu lassen. Immer wieder die aktive Entscheidung, ihr nichts zu essen zu geben. Über Jahre. Das mit den vielen Entscheidungen wird übrigens sehr gut in dem Buch “Die Bestie Mensch” beschrieben.

Nachdem mir das klar war, ist mir auch bewußt geworden, das Sie – Frau Miller – diese ungeheuerliche Dimension des Vorsatzes, der bewußten Absicht des Täters aus ihrem Denken und Schriften ausklammern. Ich habe dazu in all ihren 14 Büchern noch nichts gefunden.

Ein Beispiel: In ihrem neusten Buch beschreiben Sie auf vielen, vielen Seiten was Hitler für eine schlimme Kindheit hatte. Auch wie gut das dokumentiert ist. Aber sie lassen sich kein einziges mal auf die Absicht, den Vorsatz dieses Mannes ein. Es gab damals tausende von Österreichern, die in gleicherweise oder schlimmer von ihren Eltern gequält worden sind, und nicht die Entscheidung getroffen haben, Massenmörder zu werden. Hitler hat unglaubliche viele Entscheidungen getroffen, treffen müssen, um seine vielen Untaten zu begehen. Und er macht das mit Absicht. Man kann das auf Bilder sehen. Es macht im Freude, er genießt das. Übrigens auch Stalin wirkt auf den Bildern nicht unglücklich. Die meisten Täter machen einen ganz zufriedenen Eindruck, solange sich ihre Opfer nicht wehren, sie ungestört weitermachen können und sich keiner darüber empört.

Was sie mit Hitler machen, ist doch das gleiche, was sie im Vorwort als Vorwurf formulieren. Sie finden Gründe für das Verhalten eines Täters. Sie nehmen Hitler faktisch in Schutz, auch wenn sie in einem Nebensatz, das Gegenteil behaupten. Und so spüre ich, wenn ich dieses Abschnitt in ihrem Buch lese, weder Empörung über Hitler als Täter noch Mitleid mit seinen Opfern, sondern eher ein Gefühl der Niedergeschlagenheit im Sinne von: Hitler ist halt auch ein armes Schwein gewesen.

Ich meine, Empörung kommt doch auf, wenn man sich vorstellt (und das ist nicht unrealistisch), wie Hitler mit seinen Kumpanen am Obersalzberg in der Sonne sitzt und sich über Geschichten sadistisches Ermordungen totlacht. Wie er mit Begeisterung die Bilder und Filme seiner Opfer ansieht. Wenn man die Freude, die Befriedigung, den Genuss sieht, den ein solches Mann daraus zieht.

Kürzlich sind ein ein paar gute Filme erscheinen die diese Dimension des absichtsvollen, bewussten Täters erfassen. Der eine ist “Red Dust” mit Oscarpreisträgerin Hillary Swank, der andere “Der letzte König von Schottland” mit Oscarpreisträger Forset Whitacker. Wenn man sich die Filme mit den Kommentaren der Regisseure ansieht, wird diese Dimension noch offensichtlicher.

Ich würde mich freuen, wenn sie den Aspekt des Vorsatzes, der bewußten Absicht zu Gewalt an Kindern in Zukunft stärker aufgreifen. Wenn Sie untersuchen, inwieweit dieses Bewußtsein missbrauchten Kindern hilft, leichter über die eigenen Eltern empört zu sein.

Ich danke ihnen, das Sie mich mit ihrer Frage einen ganz großen Schritt weitergebracht haben.

M.

P.s.: Sie führen einen öffentliche Diskussion im Internet. Deshalb mute ich Ihnen mein ungefragtes Feedback zu. Auch auf die Gefahr hin, dass sie das als Zumutung empfinden. Falls sie meinen Beitrag nicht veröffentlichen wollen, ist das in Ordnung. ich werde nicht wie die Frau vergangenen Monat darauf bestehen, noch ihnen wütende Folgemails schreiben.
Nochmals meinen Respekt für ihre Arbeit.

AM: Wenn Ihnen ein einziger Satz Ihrer Frau genügte, um die Empörung zu fühlen, dann ist es ja wunderbar. Dann könnten Sie Ihre Entdeckung publizieren und Millionen von Menschen von ihrer Angst, ihren Schuldgefühlen und ihrem Mitleid mit den armen alten Eltern befreien, das sie krank oder gewalttätig macht. Vielleicht können Sie Ihr Rezept in einem Buch veröffentlichen. Offenbar habe ich mir Ihres Erachtens viel zu viel unnötige Arbeit gemacht und darüber hinaus Mitleid mit Hitler gehabt (!!!????), statt seine bösen Absichten zu erkennen. Ich habe den Eindruck, daß Sie in Ihrer Euphorie über Ihre Erleichterung, die mich nicht wundert, wichtige Dinge außer acht lassen und andere SEHR vereinfachen.
Ich wollte schon immer verstehen, wie Menschen AUFWACHSEN, die später Freude haben, Millionen Mitmenschen zu vernichten und ihre eigenen Kinder erbarmungslos zu quälen. Ich stellte mir die Frage: Wie wird man zu einem bösen Menschen? Diese Frage scheint Sie nicht zu interessieren, mich aber doch, weil ich nicht an einen Gott glaube, der uns böse, weil gefühllose Menschen auf die Erde herunterschickt. So denke ich: Nur wenn wir begreifen WOLLEN und WAGEN, wie unschuldige Neugeborene mit Hilfe von Züchtigungen und Demütigungen zu Bestien gemacht werden, können wir etwas für die Zukunft verändern. Glauben Sie allen Ernstes, dass Hitler, Stalin, Mao, Ceausescu und auch Ihre Eltern, mit bösen Vorsätzen auf die Welt gekommen sind? Es widerspricht vollkommen meinem Gefühl für Logik zu denken, dass der liebe Gott Millionen von Sadisten vom Himmel auf die Erde heruntergeschickt hat, um Hitler zu helfen, seine Vorsätze zu realisieren. Sie scheinen mein neues Buch mit geschlossenen Augen gelesen zu haben. Das mag wohl seine Gründe gehabt haben.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet