erfahrungen mit buchrezensionen
Monday 15 October 2007
Liebe Frau Miller,
gerne berichte ich Ihnen über die Reaktionen und Rezensionen meines Buches „Bitte … keine Gewalt“.
Zunächst möchte ich Ihnen sagen, wie sehr ich mich über Ihr Interesse daran freue. Das ermutigt mich sehr! Ebenso ermutigen mich die vielen Anrufe und Briefe meiner Leser mit ehrlicher Resonanz, immer auch mit persönlicher Betroffenheit. Dies zeigt, wie verbreitet Gewalt an Kindern schon immer war und immer noch ist, im Stillen, gut gehütet, in den „eigenen vier Wänden“. Viele Leser haben sich wiedergefunden in einem der acht erzählten Geschichten; manche sagten mir, es kam ihnen so vor, als hätte ich ihr eigenes Schicksal erzählt.
Einzelne sind tief beeindruckt, müssen aber erst eine Hemmschwelle überwinden, um darüber sprechen zu können. Das Tabu oder die „Schweigemauer“ wirken enorm! Eine Patientin klingelte sogar privat an meiner Haustür, um ein Buch zu erstehen, weil sie sich nicht traute, in der Praxis oder gar im Buchhandel danach zu fragen!
Die Presse spiegelt ein ganz anderes Bild wider. Viele Journalisten zeigten sich zunächst richtig begeistert bei dem Thema (Richtung: misshandelte Kinder, Story, Sensation …), ziehen sich dann aber zunehmend zurück, wenn es um die Dynamik des Themas geht, was nämlich die Misshandlung langfristig bei den Kindern anrichtet, wie die Menschen ihr Leben lang leiden und krank werden. Da ich kein totes Kind präsentiere, sinkt wohl der journalistische Wert.
Den eigentlichen Inhalt des Buches, nämlich wie der Titel sagt „Bitte … keine Gewalt, Bd. I: Was Gewalt aus Kindern machen kann“ haben nur wenige beschrieben. Die meisten Redakteure haben trotz erster Begeisterung die Sache doch fallen lassen oder nur die Neuerscheinung mit Titel und Autor ohne jeden Kommentar veröffentlicht. Manche haben den Sinn ganz verdreht oder zwei Zeilen herausgepickt und nur darüber ihre Rezensionen verfasst.
Die Kritikpunkte unterscheiden sich deutlich zwischen lokaler und überregionaler Presse. Was mir bei Ersteren vorgehalten wird, ist, ich würde unsere landschaftlich so schöne und wirtschaftlich so wohlsituierte Gegend verunglimpfen. Dabei betone ich, dass wir in unserem gutbürgerlichen, eher wohlhabenden Umfeld wahrscheinlich weniger Kindesmisshandlungen haben als in sogenannten sozialen Brennpunkten, aber es gibt sie eben auch bei uns, und zwar alltäglich. Ich kann auch nur darüber berichten, was ich hier erlebe und nichts über andere Orte sagen (und die Landschaft hat damit überhaupt nichts zu tun).
Ein anderer Kritikpunkt besteht darin, dass ich die Täter nicht der Polizei überstelle. Dazu stehe ich voll und ganz. Ich sehe mich eben nicht als Polizistin, Hilfspolizistin oder Richterin. Diese Funktion haben andere. Ich bin Ärztin mit ärztlicher Schweigepflicht und mir geht es in erster Linie um die Hilfe, die ich den Opfern anbiete und manchmal sind meine Opfer inzwischen auch Täter geworden. Und da geht es darum, dass diese überhaupt erst einmal sehen können, was sie tun und warum sie es tun. Ja, auch misshandelnde Eltern sind meine Patienten. Das beste Beispiel ist die Person „Peter“ in meinem Buch. Seine Kinder wurden geschlagen und ich konnte ihnen nicht wirklich helfen. Es dauerte einige Jahre, bis ich mich mit dem Vater selbst befasste. Vielleicht hatte ich doch so große Vorbehalte, weil er Täter war? Und dann kam seine Kindheit zu Tage und damit habe ich seinen Kindern am allermeisten geholfen.
Kindern oder jungen Erwachsenen zeige ich deutlich die elterliche Schuld auf, d.h. dass die Misshandlungen, die Demütigungen u.v.m nie, aber auch nicht ein einziges Mal gerechtfertigt waren, dass das Kind immer unschuldig ist.
Und wenn dann deren Eltern bei mir im Sprechzimmer sitzen? Ich zeige sie nicht an. (Kein Staatsanwalt dieser Welt würde mich verstehen, zumal wenn die Misshandlungen keine körperlichen Spuren hinterlassen). Ich thematisiere die Gewalt, stelle den Schuldbegriff hintenan und versuche sie für die Leiden ihrer Kinder zu sensibilisieren. Wenn dies in die Kindheit der Eltern führt, ist schon viel gewonnen. Und dann sehe ich nur noch die verletzten Kinder von früher vor mir sitzen.
Der Vorwurf der Presse, ich hätte die im Buch beschriebenen Taten nicht zur Anzeige gebracht, zeigt nur, dass nicht richtig gelesen wurde. Wie sollte ich Klapse oder Beschämungen von vor über 10 Jahren heute anzeigen können? Und die beschriebenen Prügelstrafen liegen noch länger zurück und die Eltern sind schon verstorben …
Andere Journalisten sind noch oberflächlicher. Dabei wird mir dann z.B. vorgeworfen, dass ich keine Erziehungstipps im meinem Buch gegeben habe. Nun ja, es ist auch kein Erziehungsratgeber!
Häufig wird bemängelt, dass ich den leidenden Kindern keine Adressen gebe, an die sie sich wenden können. Ich wende mich zwar auf ein paar Seiten auch an die Kinder, aber Adressen übermitteln, bei denen mit Sicherheit keine Schwarze Pädagogik im Spiel ist, kann ich ihnen tatsächlich nicht. Ich kenne nämlich keine! Gläubigen Kindern lasse ich ihr stilles Gebet; sie haben nicht viel anderes. (Auch für diese zwei Zeilen wurde ich heftig kritisiert). Es gibt ja so wenig Hilfe für die leidenden Kinder in Situationen, in denen noch nicht einmal Notwehr erlaubt ist! Dass die grundgesetzlich verankerte Würde auch des Kindes mit jeglicher Form von Gewalt und Strafen in der Erziehung nicht vereinbar ist, darüber breitet sich immer noch der Mantel eines großen Tabus. Das Kind ist ziemlich allein und findet eher selten wirkliche Hilfe in seinem Sinne. Von lebensbedrohlichen Umständen abgesehen, habe ich mit der Einschaltung der Ämter und der Weitergabe von Adressen bislang auch wenig gute Erfahrungen gemacht. Zumal die meisten Opfer nicht bereit sind, Hilfe von außen anzunehmen, geschweige denn sie zu suchen. Wenn sie so weit sind, finden sie die entsprechenden Adressen auch. Aus Scham helfen sie aber oftmals mit, alles zu vertuschen und die Eltern zu schützen. Sie müssen erst erkennen, dass sie selbst schützenswert sind. Das Jugendamt und die Erziehungsberatungsstellen beziehen meist die Position der Eltern, wenn es um sog. „Erziehungsziele“ geht und raten häufiger zu „konsequent sein“, was ja nur wieder bedeutet, das Kind zu unterdrücken. Dem Kind und seiner Gefühlswelt gerecht werden können sie nicht. Dazu sind zu viele Elemente der Schwarzen Pädagogik vorhanden, die leugnen, dass Erziehende auch völlig ohne Strafen, ohne Ge- und Verbote auskommen können. Selbst der Kindernotruf appellierte bei manch einem meiner kleinen Patienten an dessen Gewissen und ein Verständnis für seine Eltern. Und Ausreißerkinder werden regelmäßig zu ihren Eltern zurückgebracht, ohne dass die Eltern dazu angehalten werden, ihre Kinder fürsorglicher zu behandeln und ohne dass dies kontrolliert würde. Auch manch eine Lehrkraft quittiert es nur mit schlechten Noten, wenn sich ein Kind anvertraut und häusliche Misshandlung oder Missbrauch auch nur andeutet. Dies stellt einen erneuten Verrat am Kind dar, mit dem es nur schwer umgehen kann. Es wird eher an sich zweifeln als noch einmal Hilfe suchen. Ich kenne auch viele Arztkollegen (darunter Pädiater) und Therapeuten, die bei ihren eigenen Kindern nicht ohne Gewalt auskommen und ab und zu einen Klaps sogar befürworten. Das gleiche gilt für die Bediensteten der sog. Hilfestellen und Vereine. Das ist leider noch traurige Realität.
Deswegen kann und will ich in meinem Buch keine Adressen nennen.
Vielen Dank noch einmal für Ihr Interesse an den Rezensionen und Kritiken. Leider wurden meine Stellungnahmen zu bisherigen Rezensionen nicht angenommen oder gar veröffentlicht. Ebenso erscheinen Artikel von mir zu aktuellen Ereignissen nicht, selbst wenn sie gewünscht wurden.
Doch ermutigen mich die dankbaren Leserrückmeldungen, weiterzumachen.
Ihnen wünsche ich alles Gute und viel Glück mit Ihrem neuesten Buch! Ich freue mich schon auf die Lektüre.
Liebe Grüße
Anke Diehlmann
AM: Vielen Dank für Ihre klare, informative und ausgewogene Stellungnahme zu den Rezensionen Ihres Buches, von dem ich hoffe, dass sehr viele Leser es entdecken werden. Darf ich diesen Text an interessierte Leute weiterleiten, die nicht unbedingt diese Webseite lesen?
Es ist ein Skandal, dass Ihr Buch verschwiegen, verdreht oder entwertet wird, statt dass man Ihnen für diese wichtige Publikation dankt. Denn endlich hat sich eine Ärztin gefunden, die den schrecklichen Kindheitsgeschichten ihrer Patienten nicht ausgewichen ist, sie mit viel Mitgefühl und Verständnis anzuhören bereit war und ihnen auf diese Weise helfen konnte, sich von den krankmachenden Folgen ihrer Kindheit zu befreien. Sie beschreiben genau, wie sich die Folgen von Kindesmisshandlungen auf das ganze Leben der Opfer auswirken, wenn sie als Erwachsene in der Verleugnung ihres manchmal schrecklichen Leidens bleiben. Damit haben Sie gewagt, eine Türe aufzumachen, hinter der sich die Hölle der gemarterten Kinder befindet, die zugleich die Brutstätten der künftigen Täter birgt. Und Sie haben es sich nicht leicht gemacht, Sie haben nicht Adressen von Institutionen genannt, die das Kind verwirren und verraten, indem sie ihm sagen: Papa hat schon gewusst, weshalb er dich schlagen musste, er will, dass du ein anständiger Mensch wirst. Statt dessen beschreiben Sie Fakten, aus denen man lernen kann. Die Geschichte Peters zeigt, dass man sich vom Wiederholungszwang befreien kann und aufhört, seine Kinder zu schlagen, wenn man es mit Hilfe einer empathischen Ärztin zu erinnern wagt, welche Ängste man vor dem sadistischen Vater unterdrücken musste. Es ist eine erschütternde Geschichte und absolut kohärent. Ich danke Ihnen, dass Sie Ihr Buch geschrieben haben und hoffe, dass Sie den zweiten Band bald werden schreiben können.