Schuldgefühle gegenüber der Mutter

Schuldgefühle gegenüber der Mutter
Tuesday 01 April 2008

Liebe Frau Miller,

im Moment lese ich gerade Ihr Buch „Die Revolte des Körpers“. Es wird mir immer deutlicher, dass meine „Verkorkstheit“ mit meiner Kindheit zu tun hat. Den Inhalt zu lesen, die Leserbriefe anzuschauen und auch in dem Forum die Berichte aufzunehmen ist schon sehr erlösend. Und ich merke auch, wie es anfängt sich auf den Körper auszubreiten. Das Ganze bringt irgendwie Entspannung.

Nun muss ich aber mit Schrecken feststellen, das meine Vergangenheit nicht nur in meinem Körper festsitzt und sich auswirkt, sondern auch in meinem Tun und Handeln. Ich kann nicht meiner eigenen Wege gehen.
Ich habe da etwas festgestellt, das ich Ihnen gerne mitteilen möchte.

Wenn ich das alles so betrachte, dann wird mir klarer, dass ich all meine Partnerinnen, die ich im Laufe meines Lebens bis jetzt hatte, Ähnlichkeiten aufweisen mit dem Bild meiner Mutter. Die Verhaltensweisen sind ähnlich bis fast identisch gelagert.
Das habe ich in der ersten Zeit des Zusammenseins mit eben diesen Partnerinnen noch nie so gemerkt, wie ich es jetzt sehen. Aber dann so nach zwei bis drei Jahren schlich das immer mehr in die Beziehung ein. Und dann kam ich immer wieder zu dem Punkt, wo ich mich dann (aus heutiger Sicht, damals war es mir nicht bewusst) immer mehr in einen Konflikt begeben habe, der so total identisch ist mit dem Verhalten meiner Mutter, bis ich mich dann von den Partnerinnen löste.

Und das alle 6 bis 7 Jahre.

Meine Mutter hat mich emotional missbraucht. Sie hat von Ihren Männern, die sie im Laufe ihres Lebens hatte, nie die Liebe bekommen, die sie sich wünschte. Diese „Liebe“ hat sie sich aber von mir geholt. Damit hat sie mich auch total abhängig gemacht. Ich hatte und habe ewig dieses Schuldgefühl, wenn ich nicht mein Leben leben durfte. Ich habe mich in den meisten Dingen sehr stark an die Wünsche und Sehnsüchte meiner Mutter gehängt.
Es gab einmal einen Zeitpunkt (da war ich gerade so um 16/17 Jahre), da sagte sie mir:
„Wenn Du nicht mein Sohn wärest und Du wärest älter, dann hätte ich Dich geheiratet.“
Ich habe diese Aussage emotional schon viel früher wahrgenommen, an ihrem Verhalten und so, wie sie mit mir umgegangen ist. Und ich habe, wie gesagt, mich so total schuldig gefühlt, wenn ich meiner eigenen Wege gegangen bin. Wenn dann auch noch Tränen flossen, als eine Frau an meiner Seite stand, war es besonders schwer.
Sie hat mich nie richtig frei gegeben.

Jetzt stehe ich wieder nach 7 Jahren an so einem Punkt, wo ich das Gefühl habe, dass meine Partnerin mich total einschränkt in meinem Tun und Handeln. Ich fühle mich benutzt und missbraucht, aber nicht geliebt. Irgendwie nicht. Wir sind, meiner Meinung nach, in einer Verhaftung. Und es fällt mir schwer, sehr schwer die Beziehung zu beenden, obwohl ich weiß, dass es mir nicht gut tut.

Wie kann ich mein Selbst finden und meinen Weg gehen?
Was mache ich denn damit? Haben Sie eine Lösung für mich?
Mit vielen Grüßen , O. C.

AM: Warum haben Sie Schuldgefühle? Die müsste doch Ihre Mutter haben, oder? Hat sie nicht mit ihrem inzestuösen Verhalten Ihre Beziehungsfähigkeit erheblich gestört? Warum übernehmen Sie die Schuldgefühle Ihrer Mutter? Wem soll das nützen?

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet