Die Eltern erziehen

Die Eltern erziehen
Sunday 16 March 2008

Sehr geehrte Frau Miller

durch Zufall bin ich auf Ihre Radiosendung (Interview) im österreichischen Rundfunk gestoßen und habe mit großem Interesse Ihren Ausführungen gelauscht.

Mich beschäftigen vor allem die alltäglichen Demütigungen und Grenzüberschreitungen Erwachsener gegenüber Kindern. Ich selbst habe Pädagogik und Sozialpsychologie studiert und während meiner Studienzeit an einer Staatsschule gearbeitet. Dort ist es ganz normal Kindern mit Ironie, Spott, Abwertung, Kategorisierungen, Pädagogisierung (also: Du musst das tun, weil ein Kind das tut, weil man das tut, weil man das lernen muss usw…) – Sie kennen es – begegnet. Ich habe mich nicht nur deshalb aber auch deswegen der demokratischen Schulbewegung angeschlossen, in der der einzelne Erwachsene – wenn auch gestört – keine Handhabe über Kinder hat, wenn sie es ablehnen.

Aber auch im Privatleben treffe ich überall auf Eltern bzw. Erwachsene, die sich ihren Kindern gegenüber – meiner Ansicht nach – grenzüberschreitend verhalten. ” Sag guten Tag…schau mich an wenn ich mit Dir spreche, um 7 geht MAN ins Bett…” oder reden in der dritten Person über DAS KIND, welches neben einem steht: “wenn er sie stört, schicken sie ihn weg, er ist einfach zu dumm dazu” usw…)

Das ist ganz normal und keiner scheint sich daran zu stören….

Ich versuche selbst immer wieder meine Handlungen und Aussagen gegenüber meiner Tochter zu reflektieren, da ich weiss, dass auch ich als Kind zum Teil mit Spott, Nicht-Ernstnehmen, Demütigung, Interpretationen über meinen Kopf hinweg usw. konfrontiert war.

Ich arbeite daran meine Bedürfnisse zu formulieren und ihre zu erkennen bzw. zu akzeptieren und ernst zu nehmen und finde auch die Bücher Jesper Juuls, der viele ähnliche Dinge wie Sie beschreibt sehr hilfreich. (Kennnen Sie ihn? www.familylab.de und Bücher wie: “das kompetente Kind” oder “was Familien trägt”)

Nun meine Frage an Sie: Wie könnte ich mit dem Verhalten anderer Erwachsener meiner Tochter und ihren Kindern gegenüber umgehen, damit ein Denkprozess in Gang gesetzt wird? Was kann ich tun, wenn eine Mutter ihrem Kind vor mir sagt: “sag schön guten Tag”, “bist du auch brav gewesen” oder “er ist halt im Trotzalter” usw…

Vielleicht haben Sie dahingehend noch hilfreiche Ideen und Tipps – das wäre mir sehr hilfreich..

Mit freundlichen Grüßen, R. K.

AM: Wenn Sie englisch verstehen, kann Ihnen vielleicht meine heutige Antwort an B. helfen Es geht dort auch um die Erziehung der Eltern. Sie meinen, dass Juuls und andere Bücher Ihnen geholfen haben, sich dem Kind gegenüber richtig zu verhalten. Aber ich denke, dass dies nicht genügt, besonders in Fällen (die leider sehr häufig vorkommen), in denen die Eltern als Kinder schwer misshandelt wurden, ohne sich dessen bewusst zu sein. Ihnen rutscht die Hand gegen ihren Willen aus, und alle guten Vorsätze nützen nur wenig. Es ist schade, dass Juul und die anderen diese Vorgeschichte der Eltern kaum erwähnen und das ganze Thema eigentlich umgehen. Eltern, die ihre Vergangenheit kennen und ihre starken Emotionen zulassen und verarbeiten konnten, brauchen kaum noch erzieherische Ratschläge. Sie wissen, was wehtut, was ihnen wehgetan hat, und fühlen sich nicht mehr gezwungen, die gleiche Grausamkeit an die eigenen Kinder weiterzuleiten.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet