Klaus Barbie

Klaus Barbie
Tuesday 03 July 2007

Liebe Frau Miller,
Sie haben in Ihrem letzten Buch berichtet, daß es Ihnen, trotz mehrfacher Versuche, niemals gelungen ist, den Papst noch seine Sekretäre für die Folgeschäden in den Gehirnen misshandelter Kinder zu interessieren. Als ich heute im Spiegel den Artikel über die Verbrechen von Klaus Barbie las, fiel es mir auf, dass in dem ganzen Artikel nicht ein einziges Mal die Frage gestellt wurde, wie solche Monster produziert werden. Mir scheint, daß viel zu viele Menschen ihre klare Denkfähigkeit und Neugier beseite legen, wenn es um die Verbrechen an Kindern geht und weder die entscheidenden Fragen stellen noch die wirklichen Antworten wissen wollen. Es ist, als ob sie dem Aspekt der Kindheit gegenüber in ihren Gehirnen schwarze Asche oder einen dunklen Nebel haben — statt eines kritischen Bewusstseins. Denn die Hirnforschung hat ja jetzt die wissenschaftlichen Ergebnisse, die deutlich zeigen, welche Schäden ein in der frühen Kindheit gefoltertes Kind und sein sich gerade erst entwickelndes Gehirn erleiden. Von daher ist das Monster Barbie leicht zu erklären. Aber der Journalist vom Spiegel scheint anzunehmen, dass solche Monster vom Himmel fallen. Er erzählt genau, wie schrecklich Barbie Menschen gequält hatte, ohne eine einzige WARUM Frage zu stellen. Wollen Sie nicht dem Spiegel die Ursachen erklären? Wie ist eine solche Blindheit im 21. Jahrhundert nur möglich, wo doch die Gehirnforschung klar aufzeigt, daß die an Kindern verübte Gewalt und Unmenschlichkeit sadistische, grausame, unmenschliche Erwachsene hervorbringt? Ist es möglich, dass die Spiegelredaktion noch nie etwas darüber gehört hat?

Mit Dank für Ihre aufklärerische Arbeit, H. M.

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NS-VERBRECHER KLAUS BARBIE
“Ich bin gekommen, um zu töten”
Von Jörg Diehl

SPIEGEL ONLINE – 02. Juli 2007
URL: http://www.spiegel.de/panorama/zeitgeschichte/0,1518,489560,00.html

Seine Opfer erlitten Höllenqualen, er folterte und mordete mit Vergnügen – Klaus Barbie wurde zu einem Symbol des Nazi-Horrors. Vor 20 Jahren verurteilte ein französisches Gericht den früheren Gestapo-Chef von Lyon. Reue hat er auch danach nie gezeigt.

© SPIEGEL ONLINE 2007

AM: Vielen Dank für Ihren wichtigen Brief und die Kopie des Spiegel Artikels, der wirklich vielsagend ist. Man hat den Eindruck, dass Monster wie Barbie vom Himmel fallen und gar keine Geschichte hatten, die ihre Taten erklären könnte. Gerne würde ich dem Spiegel schreiben und die Redaktion darauf aufmerksam machen, dass sie den Lesern mehr schuldet, als nur solche schrecklichen Informationen, ohne die geringste Reflexion dazu zu liefern. Doch in allen ähnlichen Fällen hat die Redaktion meine Versuche, auf die Folgen der Kindesmisshandlungen hinzuweisen, ungenutzt gelassen. Offenbar besteht auch hier wie in der gesamten Presse, ein strenges Tabu, diese Thematik darf nicht berührt werden. Da alle Menschen Eltern hatten und die meisten geschlagen wurden, leben diese offenbar immer noch mit der Angst des kleinen Kindes vor den nächsten Schlägen und fürchten diese Thematik über alles. So leben wir mit einer Kette der Gewalt, die durchaus durchbrochen werden KÖNNTE, wenn einige Menschen in der Presse den Mut hätten, sich die einfachsten Fragen zu stellen: Wie entstehen Menschen wie Barbie?
Weshalb spricht man in der Presse und anderen Medien niemals über die Nester der Gewalt, die in den Familien ungestört gebaut werden und aus denen später Monster herauskommen, über die sich niemand wundert? Deren Taten werden weit und breit als “genetisch bedingt” bezeichnet, und die Menschheit kann ruhig ihren Schlaf fortsetzen. Doch um die Kette der Gewalt zu durchbrechen, brauchen wir nur die Augen aufzutun und die bisher verborgene Schule der Gewalt in der Kindheit und deren Dynamik SEHEN WOLLEN.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet