Vom Vater mit Füßen getreten
Wednesday 20 July 2005
Sehr geehrte Frau Miller,
ich hatte das Unglück, daß ich unter den fünf Kindern meiner Eltern auserwählt war sämtliche Prügel zu erhalten.
Mit achtzehn Jahren wurde ich von meinem Vater noch so geschlagen, daß ich am Boden lag und da noch mit Füßen getreten wurde.
Meine Mutter sprang, mit einem Besen bewaffnet mit großen Schritten über Bänke und Tische, um mich zu schlagen, da war ich 13 jahre alt. später hat sie das Schlagen hauptsächlich meinem Vater überlassen und sich damit begnügt ihn aufzuhetzen und sich dann dazwischenzuwerfen.
Meine Eltern waren beide zwanzig Jahre alt, als sie heirateten. Meine Mutter war als Schwiegertochter in der vermögenden Fabrikantenfamilie, da sie arm war, nicht erwünscht.
Sie wurde anfangs als Cousine meines Vaters mit Kind vorgestellt, da man hoffte sie irgendwie wieder loszuwerden.
Das erste Kind, also meine ältere Schwester, wurde von meiner Mutter so dressiert (möglicherweise um angenommen zu werden?), daß sie später, als die „Vorzügliche“ galt. Dann kam, vier Jahre später, 1938, ich, – „leider“ wieder ein Mädchen.
Mein Vater besuchte daher meine Mutter nicht im Krankenhaus.
Dann kam nach etwas zwei Jahren der ersehnte Stammhalter. Danach „leider“ wieder zwei Mädchen.
Da der Stammhalter gleich nach mir kam, interessierten sich meine Eltern zeitweise kaum für mich. Ich wurde in die „Gehschule“ (Heck) oder ins Bett gesteckt, wie mir meine südafrikanische Patentante Hildegard May erzählte. Ich sei aber entzückend gewesen. Das hat anscheinend nichts genüzt.
Allerdings war ich unter lauter blonden Schwestern und einem rothaarigen Bruder, „leider“ dunkelhaarig. Wenigstens aber hatte ich blaue Augen. Mein Vater jedoch, als Nazionalsozialist, bevorzugte eindeutig blond.
Das Merkwürdige dabei war, daß beide Eltern auch dunkehaarig waren, jedoch darauf bestanden sie seien blond. Diese Absurdität ist mir relativ früh aufgefallen.
Die Verteilung von uns Kindern war etwa so:
Die Vorzügliche (geb. 1934)
Der Sündenbock (ich) (geb. 1938)
Der Stammhalter (geb. 1940)
Das Hausmütterchen (geb. 1942)
Das Nesthäkchen) (geb. 1946)
Am Ende seines Lebens sagte unser Vater, er wäre von allen Kindern enttäuscht.
Unsere Mutter legt uns Mädchen dringend nahe früh zu heiraten, denn wir seien für Arbeit nicht geeignet.
Wenn Sie möchten, können Sie das Material verwenden.
Wenn Sie Fragen haben, antworte ich gerne.
Viele Narben und Verletzungensind geblieben. Einiges habe ich leider an meine Kinder weitergegeben. Ich habe mich bei meine Kindern entschuldigt und mache sie darauf aufmerksam, wenn sie ihrerseit ihre Erfahrungen durch mich weitergeben.
Mein Vater der Fabrikant hatte literarische Ambitionen und im Nachlaß fanden sich einege Kurzgeschichten, die er eigentlich veröffentlichen wollte. Drei Geschichten von ihm brachte Radio Bremen in einer Sendung.
Eine noch nicht veröffentliche Geschichte beschreibt mich:
Geschichte Nr. 23)
Die Tochter
Eigentlich hätte sie ein Sohn werden sollen. So ist sie ein Mädchen geworden.
Das erste Mal massen wir die Kräfte als sie noch keine zwei Jahre alt war.
sie lag im Bett oder vielmehr sie stand.
Alles was sonst im Bett lag, hatte sie herausgeworfen. Protest.
alles wieder hinein. Drohen mit dem Finger.
gut. Schlaf jetzt. Ich geh.
Sie denkt nicht dran.
Alles raus. Protest.
Ich hineinins Kinderzimmer. Alles wieder hinein. Leichter Klaps.
so, aber jetzt schläfst Du.
Ich raus. Sie Protest. Alles nochmal raus.
Ich rein. Alles wieder rein. Starker Klaps. Jetzt wird aber geschlafen.
Nichts wird geschlafen. Alles wieder raus.Schreien. Empörung.
ich rein, alles wieder rein. Schläge.
Du schläfst jetzt, sonst!
Gar nicht daran zu denken.. Das Gegenteil. Alles raus, so, da bumbs.
Ich rein, alles wieder rein. Schläge mit Stöckchen.
Jetzt gerade nicht. alles wieder raus. Ganz raus. Besonders raus.
Ich rein, gleich wieder raus.
Schlaf, wo Du willst! Das war wohl mein großer Fehler in der Erziehung.
Nächstes Stadium: Gehschule. Normale Gehschule hilft nicht. Wird von unten aufgehoben. Ab. Weg ist sie, wenn auch auf allen Vieren. Das ist aber gefährlich. wir haben einen Terrassengarten an der Donau.
Neue Gehschule aus schwerem Nussholz. Angepflockt.
nach einem Monat weiß sie die Pflöcke zu entfernen. Aus.
Spazierengehen. Gut. sie macht mit, nur müssen wir in die entgegengesezte Richtung gehen, wohin wir wollen. Dann geht sie in die andere. So können wir gehen wohin wir wollen.
Man muß es nur richtig anfangen.
Mit drei Jahren sprengt sie die Fesseln. Sie ist weg.
Ich suche im Teich.
Die Arbeiter schick ich suchen. Die Fabrik steht still. Alles sucht. Mit Stangen. Die Donaus abwärts. Nichts.
Abends kommt sie fröhlich mit einem Hüterbub, si war mit Ziegen in den Bergen.
1945. Wir sind in Tirol.
Ich bin gerade zurückgekommen. Unsere Wohnung liegt 1500 m hoch.
50 m weiter unten holen wir das Essen aus dem Gasthof. Sie holt es. wir sehen es von oben. Sie läßt sich nieder. Ißt das Fleisch und den Pudding von uns allen. Dann kommt sie. Nächstes mal schenkt sie einem armen Kind die Hälfte.
Dann kommt sie zur Schule. Die Volksschule ist schon schwer für uns. Aber das geht noch. Sie lernt schließlich lesen und schreiben. Verwunderlich. Sie beginnt sogar Bücher zu lesen. Verwunderlich. Sie besteht die Aufnahmeprüfung ins Gymnasium. Äußerst verwunderlich.
Aber dann ist es vorbei.
Eine Arbeit schlecht. Die nächste auch. Aufgaben hat sie nie. Meine Frau muß kommen. Fast jeden zweiten Tag ist nun meine Frau in der Schule. Die Hefte müssen nachgetragen werden. 13 Kinder melden sich – sie wollen es für sie tun.
Am 6. Dezember ist Krampus. Wir sind in Wien.
Der Krampus wird zu den Kindern kommen. Der Nikolaus auch. Die beiden kommen. die anderen Kinder werden gestraft und beschenkt. Sie sit nicht da.
Sie hat sich als Krampus angezogen und geht in andere Häuser Kinder schlagen.
Wenn wir sie suchen, finden wir sie meist obenin dem hohen Nußbaum. Da kann man schlecht hin.
Die erste Gymnasialklasse ist bestanden worden. Ein Wunder.
In der zweiten schreibt sie Aufsätze, die die Direktion drucken läßt.
Alles andere null.
Doch die zweite Klasse wird geschaft.
Wieso ist mir ein Rätsel. Wahrscheinlich die gedruckten Aufsätze.
In der dritten wird es ganz schlimm. Sie lernt überhaupt nicht mehr.
Dagegen folgt ihr die ganze Klasse. Glücklicherweise fahren wir nach Argentinien. Neue Schule. Alles Spanisch.
Ein halbes Jahr später ist die beglückte Klasse nicht mehr zu halten. Völlig unter ihrem Einfluß. Lehrer bitten um Platz-, d.h. Schulwechsel. Da stehn wir nun. Neue Schule.
Jetzt wird es gehen. Sie läßt ihre Kameradinnen in Ruh. Sie hat etwas Neues gefunden. Handlesen. Allen Kindern liest sie aud der hand. Der Lehrerin auch. Sie hat ihr gesagt, daß sie intelligent ist. Jetzt ist die Lehrerin zufrieden. Morgen wird sie ihr sagen, dass sie bald heiratet. Darauf wird sie ein 10 in Mathematik bekommen. 10 ist hier die beste Note.
Also haben wir Hoffnung.
Das war also die Geschichte, die mein Vater über mich schrieb.
Die Frage, die ich hätte, wäre, ob Sie es für möglich halten, daß meine Eßstörungen (ich wiege 130 Kilo) und meine ständigen Schuldgefühle, sowie die Gewißheit, daß niemand, der mich genau kennt, mich wirklich lieben kann, irgendwie (wodurch??) gebessert werden können?
Mit vielen Grüßen
Ihre E.M.
p.s.: Ich habe alle Ihre bücher gelesen und sie haben mir sehr geholfen zu verstehen.
AM: Ich schlage vor, dass Sie beschreiben, wie Sie als Kind (und auch als Erwachsene) das Monster ERLEBTEN, das Ihr Vater war.