Muss ich mich vertragen?

Muss ich mich vertragen?
Sunday 26 April 2009

Liebe Frau Miller,
der letzte veröffentliche Leserinnenbrief hat mich sehr berührt und ins
Grübeln gebracht.
Ich habe vor über einem Jahr jeglichen Kontakt zu meiner gesamten
Herkunftsfamilie beendet und war sehr sehr stolz auf mich, aus diesem
endlosen Zirkel des Opferseins und um Deseinberechtigung – kämpfen – müssens
ausgestiegen zusein.
Es hat gestimmt und es stimmt immer noch. Ich brauche jedes Zipfelchen
Energie für mich und mein Jetzt.
Aber ich habe vor einem Jahr auch mit meinen Töchtern ( 18 und 15) darüber
gesprochen und die alten Familiengeheimnisse offenbart ohne ins Detail zu
gehen. Meiner 18jährigen musste ich die Wahl lassen, ob und wie sie Kontakt
zu diesen Menschen haben und gestalten will, meiner 15jährigen habe ich den
Kontakt verboten. Meine damalige Therapeutin hatte mich damals
gefragt:”Wieso glauben Sie, dass die Menschen, die Ihnen das alles angetan
haben und immer noch antun, gut für Ihre Kinder wären?” Und ich habe
gespürt: Das glaube ich ja gar nicht. Ich opfere meine Kinder, um
Anerkennung von diesen Kindesmisshandlern zu bekommen. Ich bettelte immer
noch um die Liebe von Menschen, die mich viele Male abtreiben wollten und
als es nicht gelang, dies mein Leben lang fortsetzten, bis ich ausgestiegen
bin. Bisher hat dies für mich gestimmt und es ist für mich auch keine Frage,
dass ich keinen Kontakt mehr haben werde, denn dann setze ich mein Leben und
Wachsen aufs Spiel. Aber durch diese Leserinnenzuschrift habe ich mich
gefragt, ob ich das Recht hatte, meiner Tochter den Kontakt zu verbieten?
Ich kenne die grausamen Psychospiele meiner Mutter und weiß, wie sie meine
Töchter gegeneinander ausspielt, wie sie meine Kleine abgelehnt hat. Welches
Recht ist stärker? Mein Recht, mich und meine Töchter vor dieser Frau zu
schützen und vor diesem Mann, der zugeschaut und nicht geholfen hat und
insofern für mich genauso Täter ist? Oder das Recht meiner Tochter, mit
ihnen eigene Erfahrungen zu machen? Meine Mutter ist eine sehr sehr
bösartige und kranke Frau…

C.S.

AM: Ihre Therapeutin hat Ihnen die richtige Frage gestellt. Es ist doch nicht nur unser Recht, sondern unsere Pflicht, unsere Kinder vor bösartigen Menschen zu beschützen und da zu informieren, wo es nötig ist .Meistens tun wir das rein instinktiv. Nur wenn diese Menschen unsere Eltern sind, haben wir angst, das Selbstverständliche zu tun, haben Schuldgefühle (weshalb denn?) und fühlen die alte Angst des Kindes vor der Strafe. So sind wir in Gefahr, unsere Kinder den gleichen Menschen zu opfern, deren Opfer wir schon waren, statt ihnen als WISSENDE Zeugen beizustehen.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet