Vielen Dank für Ihre wertvolle Arbeit – Fühle mich in meiner Wahrnehmung bestätigt
Tuesday 12 February 2008
Liebe Frau Miller, liebe Frau Rogers,
zuerst möchte ich Ihnen, liebe Frau Miller, meinen ganz recht herzlichen Dank und meine Anerkennung für Ihre wichtige Arbeit und Ihre wichtigen – ja, sehr wertvollen – Bücher aussprechen. Sie haben mir damit sehr geholfen – auch, um in Kontakt mit dem einst kleinen Mädchen, das ich war, zu kommen – ja, diesem kleinen Mädchen Mitgefühl und Liebe zu schenken. Es ist schön, dass es Sie und Ihre Bücher gibt.
Auch Ihnen, liebe Frau Rogers, möchte ich an dieser Stelle meinen ganz recht herzlichen Dank aussprechen für Ihre Artikel in deutscher und in englischer Sprache. Ihre Artikel haben mich ebenso bestätigt, wie die Bücher von Frau Miller.
Nachdem ich seit dem Jahre 2002 fünf Ihrer Bücher gelesen habe (‚Das Drama des begabten Kindes’, ‚Am Anfang war Erziehung’, ‚Evas Erwachen’, ‚Die Revolte des Körpers’, ‚Dein gerettetes Leben’) fühle ich mich in meiner Wahrnehmung bestätigt. Schon als ca. Drei- oder Vierjährige war mir bewusst (zu dem damaligen Zeitpunt konnte ich meine Wahrnehmung jedoch nicht in Worte fassen), dass meine Eltern und auch meine Großeltern mir alles andere als Liebe und Respekt entgegenbracht hatten. Im Laufe meines Lebens habe ich die ganzen seelischen und körperlichen Misshandlungen zwischendurch verdrängt, weil ich mich auch auf andere Dinge – außerhalb des Elternhauses – konzentrieren wollte. Dies kostete mich enorm viel Kraft, und ich fühlte mich nie richtig entspannt. Eine innerliche Unruhe war mein ständiger Begleiter. Von Ende Dezember 1989 bis Mitte August 1990 litt ich unter Panikstörungen. Nur wenn ich schnell lief bzw. joggte ging es mir besser und dann traten die Panikstörungen zum Glück nie mehr auf. Seit Dezember 1999 (vier Monate nach dem Tod meines Vaters) wurde ich zwischendurch von Hörstürzen, von dem beide Ohren betroffen sind, und von Schwindelanfällen geplagt, die keinerlei organische Ursachen hatten – sämtliche Untersuchungen der Ohren, des zentralen Nervensystems, MRT des Kopfs sind ohne Befund. Nach dem Tod meines Vaters hatte ich eine heftige Auseinandersetzung mit meiner Schwester und meiner Mutter. Ich konnte ihre ganzen Vorwürfe und ihr Gerede von Pflichten, Pflichtbewusstsein, Mich-kümmern-Müssen nicht mehr hören. Seitdem ich mit Hilfe Ihrer Bücher meine Kindheit genau beleuchte, nichts mehr verdränge, mir Zeit für das einst kleine Mädchen, das ich war, nehme, meine Enttäuschung, meine Wut (ich bin so froh, dass ich wütend sein darf) und auch meine Traurigkeit über das, was diese Menschenverachter mit mir gemacht hatten, schriftlich zum Ausdruck bringe, treten diese Hörstürze immer weniger auf, und das Hörvermögen auf dem einen Ohr, was schlimm betroffen war, bessert sich seit September 2006 nach und nach. Ganz abgeklungen sind die Hörstürze noch nicht, aber ich arbeite daran, und zwar ohne Infusionen und ohne Medikamente. Der Schwindel ist seit einem Jahr nicht mehr aufgetreten.
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Meine Eltern (ich nenne sie hier nur der Einfachheit halber Eltern, denn die Bezeichnung Eltern haben sie nicht verdient – im Gegenteil, für mich sind diese beiden Monster gewissenlose, verantwortungslose, die-Wahrheit-nicht-hören-wollende Menschenverachter par excellence) sind meinetwegen eine Mussehe eingegangen. Sie haben drei Monate vor meiner Geburt geheiratet. Beide Elternteile ließen mich stets in Form von Schlägen und herabsetzenden, verletzenden Worten spüren, dass ich unerwünscht war; von ihnen niemals als Person mit einem eigenen Willen und einer eigenen Persönlichkeit akzeptiert wurde und dass ich für alles zu dumm und sowieso nicht ganz richtig im Kopf war – egal, was ich tat oder sagte.
Vier Jahre später wurde meine Schwester geboren.
Auch sie wurde gelegentlich misshandelt. Ich erinnere mich sehr genau an diverse Szenen.
Hier möchte ich zwei sehr bezeichnende Beispiele herausgreifen.
Als unsere Mutter – eingerahmt von ihren beiden Eltern auf der Couch in der Küche sitzend – meiner damals wenige Tage alten Schwester die Flasche gab und meine Schwester weinend den Kopf wegdrehte, wurde sie ungeduldig. Unsere Mutter sagte zu meiner Schwester in drohendem Ton: „Du(!), willst du wohl mal trinken!?“
Auch von unserem Vater wurde sie bis zu ihrem ca. 9. Lebensjahr gelegentlich geohrfeigt.
Einmal schlug er meiner Schwester (meine Schwester war entweder vier oder fünf Jahre alt) sogar heftig mit der Faust auf den Knöchel als ihr eine Trachtenpuppe aus Ton vom Küchenschrank herunterfiel, wobei dieser Trachtenpuppe ein Fuß abgebrochen wurde. Während er sie schlug und sie wimmerte, schrie er sie mit vor Wut verzerrtem Gesicht an: „Soll ich dir auch mal den Fuß abbrechen!?“
Ansonsten ließen meine Eltern mich in Gegenwart meiner Schwester spüren, dass sie meine Schwester lieber mochten als mich. Sie nannten sie häufig A.-Maus. Unsere Eltern nahmen sie oft in den Arm. Einen eigenen Willen durfte sie ebenfalls haben. Obwohl meine Schwester gelegentlich ebenfalls misshandelt wurde, gingen meine Eltern lockerer mit ihr um. Meine Schwester fühlte sich (und fühlt sich auch heute noch) aufgrund dieser ihr von unseren Eltern mehr gewährten Freiheiten mir gegenüber privilegiert. Schon als kleines Mädchen meinte sie, mir Befehle erteilen zu müssen. Auch ließ sie keine Gelegenheit aus, mich zu verpetzten. Darüber hinaus gab sie mir mit Blicken und ihrem Verhalten mir gegenüber immer zu verstehen, dass sie etwas Besseres und dass sie doch so viel klüger sei als ich. Ihre mir zugeworfenen vernichtenden Blicke sagten oft: „Ach, S., was bist du doch blöd und dumm, du hast doch von nichts eine Ahnung – wer und was bist du denn schon.“ Sie entwickelte mehr und mehr ein egozentrisches Verhalten, das bis heute anhält.
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Nun zu den seelischen und körperlichen Misshandlungen, die ich erlitten hatte:
Die Misshandlungen seitens meines Vaters:
Ich erinnere mich sehr gut daran, dass mein Vater mich ab meinem 2. oder 3. Lebensjahr desöfteren entweder mit seinem Hosengürtel auf mein Gesäß oder mit seinen Händen quer durch mein Gesicht, auf meinen Kopf oder ziellos an meinem ganzen Körper geschlagen hatte. Sein Grund: Ich hatte einen eigenen Willen und war eine eigene Persönlichkeit. Beides wollte er aus mir herausprügeln und damit sowohl meinen Willen als auch meine Persönlichkeit brechen.
Noch heute sehe ich Szenen vor meinem geistigen Auge, wie er seinen Hosengürtel aus den Ösen seiner Hose zog und mit vor Wut verzerrtem Gesicht auf meine Arme, mein Gesäß, meinen Unterleib und meine Beine einschlug. Meistens war ich an den entsprechenden Körperstellen bekleidet wenn er schlug, aber die Schmerzen waren auf keinen Fall weniger stark als wenn ich unbekleidet gewesen wäre. Schon allein bei dem Gedanken an diese brutalen Szenen spüre ich regelrecht die Schmerzen auf meiner Haut.
Während der Fahrt zur Klinik, als mein Vater und ich meine Mutter und meine Schwester nach deren Geburt abholten, schrie mein Vater mich aus heiterem Himmel an und sagte, er und Mutter wollten mich anschließend wegbringen, weil sie mich nicht lieb hätten und mich nie hätten haben wollen. Nun sei die kleine A. da und die hätten sie haben wollen. Daraufhin fing ich bitterlich zu weinen an und wieder schrie – genauer gesagt, brüllte – mein Vater mich an, ich solle ruhig sein, sonst würde es gleich eine Tracht Prügel setzen. Seine Worte und sein Anbrüllen taten mir im Herzen und in der Seele weh. Aus lauter Angst vor Schläge fügte ich mich und hatte niemandem von dieser Begebenheit erzählt.
Ich erinnere mich sehr gut daran, dass mein Vater sich wieder eines sonntags morgens nach einem der vielen Streits mit meiner Mutter (zu dem Zeitpunkt war ich vier Jahre alt, meine Schwester war wenige Monate alt) zu mir ins Bett legte, sich dort breit machte, sodass mein kleiner Körper fast gegen die Wand gequetscht wurde. An diesem Sonntag schloss er zuvor die Zimmertür ab. Als er in meinem Bett lag, presste er seinen Unterleib gegen den meinen. Ich versuchte mich zu drehen und zu winden und Laute von mir geben. Dann legte er seine Hand fest auf meinen Mund, sah mich vernichtend-böse – ja, drohend an – und sagte in drohendem Ton: „Wenn du jemandem was sagst, dann mach(!) ich dich tot!“
Auch erinnere ich mich sehr gut an seine mir verabreichten Schläge und an seine an mich gerichteten niedermachenden Worte, als ich im Grundschul- und im Jugendalter war, wenn ich meinen eigenen Willen erkennen ließ, wenn meine Schwester und ich uns gestritten hatten, wenn ich eine schlechte Note in Mathematik geschrieben hatte, als ich vom Gymnasium zur Realschule gewechselt hatte.
Das Gleiche gilt für seine grausamen, niederträchtigen Bemerkungen und Misserfolgsprognosen, wie zum Beispiel, dass ich nur geduldet aber nie erwünscht gewesen sei, ich ein „Unfall“ gewesen sei, ich eine Null, faul und dumm sei, ich einen Arsch wie ein Brauereipferd hätte und aussehen würde wie „Hexehexekaukaukau“, ich die Prüfungen an der Höheren Handelsschule und der Berufsfachschule für Fremdsprachen nie schaffen werde, ich nie eine Arbeitsstelle finden werde.
Vor meinem Vater hatte ich bis zu meinem 36. Lebensjahr eine riesige Angst. Stets hatte ich die Befürchtungen, er würde mir eines Tages etwas antun. Auch als ich bereits mit meinem jetzigen lieben, herzensguten Mann (der ebenso wie ich jede Form von Gewalt ablehnt) zusammenwohnte, hatte ich Angst, er würde eines Tages bei uns auftauchen, die Tür einschlagen, mich schlagen oder gar mich umbringen.
Diese Angst ließ erst dann etwas nach, als ich von meiner Schwester erfuhr, dass er wegen mehrmaliger Trunkenheit am Steuer (im Laufe weniger Jahre ist er zum Alkoholiker geworden) zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe und zusätzlich zu einer Geldstrafe (regelmäßige Zahlungen an ein Kinderhilfswerk) verurteilt wurde. Sein Füherschein und sein Firmenfahrzeug wurden konfisziert. Wegen guter Führung im Gefängnis wurde er dann vorzeitig entlassen. In dieser Zeit wurde auch die Ehe der Eltern geschieden, da mein Vater auch meiner Mutter gegenüber massive Gewalt angewandt hatte. Trotz Scheidung hatten meine Eltern regelmäßigen Kontakt und besuchten sich gegenseitig. Meine Mutter kaufte sogar für ihn ein.
Außerdem sollte mein Vater den Erzählungen meiner Mutter und meiner Schwester nach inzwischen schwer herzkrank geworden sein. Er sollte dringend ein Spenderherz benötigt haben, und ihm bliebe nur noch wenig Lebenszeit.
In der Zeit nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis schenkte er meiner Schwester einen Geldbetrag, den sie für das Haus verwendete, das sie sich gemeinsam mit ihrem damaligen Mann baute. Ein Jahr später erhielt ich von meinem Vater ebenfalls nachträglich einen Geldbetrag, den ich – obwohl ich damals zuerst ein schlechtes Gewissen hatte – annahm und als reines Schmerzensgeld für sein mir zugefügtes Leid betrachtete. Als ich meinem Vater am Telefon erzählte, wie weh er mir doch getan hätte, sagte er, er hätte mich ja mal(!) geschlagen, ich sei zu empfindlich, weil ich mir das alles so zu Herzen nehmen würde und sei „ballaballa“; den Geldbetrag hätte ich nachträglich bekommen, weil es ja sonst dumm ausgesehen hätte, wenn er der einen Tochter etwas geben würde und der anderen nichts; außerdem hätte ich zuerst gar nichts von ihm bekommen sollen; was ich bekommen hätte, sollte eigentlich A. bekommen, weil sie seine Lieblingstochter sei, ich neidisch auf A. sei, weil sie sein Liebling sei und A. und ihr (damaliger) Mann noch so viel vor hätten.
Wenige Monate später starb mein Vater. Ich habe nicht um ihn getrauert. Als ich von seinem Tod erfuhr, war mein erster Gedanke „Nun kann der mir nichts mehr tun“. und ich spürte ein Gefühl der Erleichterung. Ich konnte keine einzige Träne über seinen Tod vergießen, weil ich kein Gefühl der Trauer in mir hatte, nach all dem, was er mir angetan hatte. Wenige Wochen später wurde sein Nachlass in Form von Geld je zur Hälfte zwischen meiner Schwester und mir aufgeteilt, da mein Vater kein Testament gemacht hatte.
Von meiner Schwester und auch von ihrem damaligen Mann bekam ich schwere Vorwürfe, dass ich mich auch nicht ein einziges Mal um unseren alkoholkranken Vater gekümmert hatte; ich sei schließlich auch seine Tochter und es sei meine moralische Pflicht gewesen, dass auch ich unseren Vater von den Polizeirevieren hätte abholen müssen, nachdem er vier Jahre lang mehrmals von der Polizei im betrunkenen Zustand beim Autofahren erwischt wurde; es sei meine moralische Pflicht gewesen, dass auch ich unseren Vater hätte suchen müssen, als er vier Jahre lang im betrunkenen oder manchmal auch nüchternen Zustand mit dem Auto ziellos irgendwo in der Gegend herumgefahren ist.
Sie und ihr damaliger Mann seien absolut nicht damit einverstanden gewesen, dass sie mich telefonisch nie hätte erreichen können, da sie unsere Telefonnummer nicht über die Auskunft hätte erfragen können, um mich zusammen mit meinem Mann zum Suchen unseres Vaters aufzufordern. Sie sei absolut nicht damit einverstanden gewesen, dass Vater auch mir damals einen Geldbetrag hatte zukommen lassen und dass er kein Testament gemacht hatte und somit sein Nachlass in Form von Geld zwischen ihr und mir aufgeteilt werden musste. Von ihrer und ihres damaligen Mannes Seite aus hätte ich überhaupt nichts bekommen sollen. Ich hätte nur die Hand aufgehalten.
Als ich meiner Schwester daraufhin schilderte, welches Leid unser Vater mir zugefügt hatte, antwortete sie nur kaltschnäuzig: „Da kann ich nichts zu sagen. Ich war nicht dabei und war auch noch zu klein. Ich war nun mal ein Papakind und war Papas Liebling – da kann ich auch nichts für. Ich lebe nur im Hier und Jetzt und Heute, und du bist auch Tochter. Mich interessieren deine ganzen Geschichten und Probleme nicht, du hast dich schließlich auch nie um mich gekümmert, du hast mich früher auch geohrfeigt, alles mit Papa wurde auf meinem Rücken ausgetragen. Für mich ist das Gespräch hier und jetzt ein für alle Mal beendet. Meine wertvolle Zeit ist mir zu schade.“
Dass ich mich mit meiner Schwester früher oft stritt und ich sie leider (was mir aus heutiger Sicht sehr leid tut) desöfteren ohrfeigte stimmt leider. Die schlimmste Verfehlung, die ich meiner Schwester gegenüber begangen hatte, war, dass ich (zu dem Zeitpunkt war ich 20 Jahre alt) ihr ein Besteckmesser unter das Kinn hielt, als ich Gegenstände von ihr zurückforderte, die sie von mir geliehen hatte. Auch wenn der Abstand des Besteckmessers zu ihrem Kinn nur ca. 5 cm betrug und ich meiner Schwester körperlich keine Verletzung zufügte, weiß ich heute, dass ich sie seelisch schwer verletzte und kann heute nachempfinden, in welche Angst ich sie damit versetzt hatte. Als sie laut Hilfe rief, entfernte ich mich von ihr. Ich hatte weder die Absicht sie mit dem Messer zu verletzen noch sie zu töten. Nein, es war ein Hilferuf meinerseits, ich wollte, dass sie mich respektierte und mir die geliehenen Gegenstände unaufgefordert zurückgab und dass ich sie nicht jedes Mal an die Rückgabe erinnern musste, nur um die Erfahrung zu machen, dass ich bei ihr immer auf taube Ohren stieß oder mir giftige Bemerkungen von ihr „einhandelte“.
Meine Erklärung soll keine Entschuldigung sein. Nichts rechtfertigt mein Handeln, und mit 20 Jahren war ich auch voll straffähig.
Noch heute schäme ich mich sehr für diese Verfehlung und muss oft weinen, wenn ich an diesen Vorfall zurückdenke. Ich könnte und wollte nie einem Menschen körperlichen oder seelischen Schaden zufügen – geschweige denn töten.
Heute kann ich mir diese meine schwere Verfehlung nur so erklären, weil ich stets nachgeben sollte, wenn meine Schwester etwas von mir haben wollte. Unsere Eltern lagen mir dann ständig in den Ohren: „Nun gib ihr das doch! Nun stell dich doch nicht so an. Komm, sei du die Gescheite und gib nach. Die Klügere gibt nach. Sei nicht immer so eigenwillig und so gehässig. Mensch, A. macht dir das doch nicht kaputt, nun gib ihr das!“ Manchmal gab ich ihr die gewünschten Gegenstände, manchmal aber auch nicht, weil ich es einfach nicht wollte. Wenn ich es nicht wollte, was ich grundsätzlich die böse, unartige, eigenwillige und gehässige Tochter und Schwester.
Meine Schwester und ich hatten nie ein gutes Verhältnis – und das wird es auch nie werden. Sollte sie jedoch einmal in Not geraten und hätte keine andere Person, dann wäre ich für sie „gut genug“ und ginge es ihr anschließend wieder besser, würde sie mich anschließend fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Nur dann, wenn es um ihre Belange geht, dann fordert sie von mir Verständnis ein.
Auch auf meine Entschuldigung (nach über 20 Jahren seit des Vorfalls) wegen der Verfehlung erwiderte sie nichts. Inzwischen habe ich den Kontakt zu ihr endgültig abgebrochen.
Die Misshandlungen seitens meiner Mutter:
Schon als ich Kleinkind war sagte meine Mutter mir desöfteren, wenn ich nicht gewesen wäre, ihr Leben anders verlaufen sei; dass sie und mein Vater ja meinetwegen hätten heiraten müssen, damit die Leute keine „schmutzige Wäsche waschen“ ; dass sie nur(!) ihre Pflicht täte, am liebsten aber weit, weit weg laufen wolle und mein Vater und ich zusehen könnten, wo wir blieben.
Diese Worte taten mir damals sehr weh. Ich spürte, dass ich ihr nur im Wege war. Im Alter von drei oder vier Jahren, konnte ich das, was ich spürte jedoch nicht in Worte fassen.
Spielte ich mit meinen Stofftieren, warf sie mir oft stechende, böse und drohende Blicke zu. Manchmal riss sie mir die Stofftiere aus dem Arm und „batschte“ sie ins Regal.
Ebenso verbot sie mir, mit manchen Kindern aus der Straße, in der wir wohnten, und aus der Parallelstraße zu spielen. Sie mochte entweder die Kinder oder angeblich deren Eltern nicht. Diese Kinder waren ihrer Meinung nach entweder nicht gut genug angezogen, vom Gesicht her nicht hübsch genug oder deren Eltern taugten angeblich nichts.
Ich sollte mir dann später, nachdem ich eingeschult wurde, Freundinnen in der Schule suchen.
Egal, mit welchem Mädchen ich als Kind spielte oder welches Mädchen aus der Schule ich zu uns nach Hause einlud, sie hatte an den meisten etwas auszusetzen – es sei denn, es handelte sich um Mädchen von Eltern aus der Kundschaft meines Vaters und Großvaters oder um Töchter früherer Klassenkameradinnen oder -kameraden meiner Mutter.
Besuchte mich eines der Mädchen unangemeldet, nahm sie mich zur Seite und sagte mir bösem, stechenden Blick und in drohendem Flüsterton: „Du(!), das ist aber das letzte(!) Mal, dass ihr hier spielt, ich will jetzt sauber machen/ich will jetzt in den Garten/ich will euch hier nicht haben.“
Richtige Freundinnen und Freundschaften hatte ich weder als Kind noch als Jugendliche, weil ich mich fast schon gar nicht mehr traute, mich mit anderen Gleichaltrigen zu verabreden – aus Angst, meine Mutter würde die entsprechenden Mädchen und später auch Jungen sowieso nicht mögen und uns wieder das Spielen bzw. später als Jugendliche das Verabreden verbieten.
Ich tat es dennoch, aber immer mit schlechtem Gewissen. Die anderen Mädchen und Jungen spürten meine zunehmende Unsicherheit und Schüchternheit und ich wurde von ihnen deswegen eher geduldet, als dass ich zu ihnen gehörte.
Meiner Schwester dagegen hatte Wahlfreiheit, sie ging – im Gegensatz zu mir – frei und fröhlich auf andere Menschen zu.
Auch meine Mutter „geizte“ nicht mit Schlägen, wenn ich eine schlechte Note in Mathematik geschrieben hatte. Eines Mittags hatte sie sich sogar zusammen mit ihrer allgegenwärtigen Mutter (wir wohnten mit den Großeltern mütterlicherseits in einem Haus) – die über viele Jahre hinweg ihre Verbündete war, die aber auch das Zepter über meine Mutter schwang – nach Schulschluss wie ein Wachposten vor der Hintereingangstür aufgestellt. Nachdem ich dann – wie gelähmt vor lauter Angst – kleinlaut meine Note erzählt hatte, bekam ich abwechselnd von meiner Mutter und von meiner Großmutter kräftige Schläge und Ohrfeigen. Oben in unserer Wohnung „durfte“ ich selbst ihr den Teppichklopfer bringen, mit dem sie mich dann noch einige Male so richtig kräftig „versohlte“. Das „Versohlen“ hatte ihr offenbar noch nicht gereicht. Sie „musste“ mich dann noch mit dem Kommentar „Dann kannst du ja später dein Geld als Dirne verdienen und dich von Männern bezahlen lassen.“ quälen. Als wenn die Schläge mir nicht schon genug zugesetzt hätten – und das nicht nur an meinem Körper, sondern auch in meiner Seele.
Diese Vorfälle häuften sich noch einige Male. Einmal (da war ich knapp 13 Jahre alt, hatte meine erste Monatsblutung bekommen und besuchte das Gymnasium) spuckte sie mir sogar mit verächtlicher, vernichtender Miene ins Gesicht und sagte: „Dann kannst du ja auch mit 14 wie deines Vaters Schwester mit einem dicken Bauch herumlaufen und ein Baby kriegen. Aber dann „blüht“(!) dir was – darauf kannst du Gift nehmen.“
Auch verbot sie mir zu basteln, zu malen und zu kochen, denn ich hätte ja nur schmieren wollen. Meiner Schwester hingegen hatte sie dies stets erlaubt.
Ich erinnere mich sehr gut daran, dass meine Mutter mir die Briefe, die ich damals während meines ersten Klinikaufenthalts (1. Hand-OP ) an einige Schulkameradinnen und an meine damalige Klassenlehrerin schicken sollte, alle schon zu Hause vorgeschrieben hatte, damit ich mich auf keinen Fall blamierte. Die beiden Mädchen, die das Patientenzimmer mit mir teilten, hänselten mich daraufhin, weil ich „schön brav“ Wort für Wort die von ihr vorgeschriebenen Briefe auf mein Briefpapier übertragen hatte. Sogar einige der Krankenschwestern schüttelten darüber den Kopf.
Als ich gelegentlich eine Erkältung oder eine Grippe hatte, bekam ich von meiner Mutter zu hören: „Und jetzt laufe ich wieder aus allen Türen!“
Ebenso sagte sie mir regelmäßig, dass ich ihr und Vater nur Kummer bereiten würde, ihr immer so viel aufbürden würde, wie das Kümmern um die Operationen an der linken Hand (ein Geburtsfehler, von dem ich bis heute nicht weiß, ob es sich um einen rein genetischen Defekt oder um einen Defekt, ausgelöst durch das Medikament Contergan handelt. Meine Mutter beteuerte stets, dass sie nie Contergan eingenommen hätte.), die Fahrten zum Kieferorthopäden, die Nachhilfestunden in Mathematik. Ich würde nichts als Geld kosten, von dem sie sich lieber hätte schöne Kleider kaufen wollen.
In „Zusammenarbeit“ mit ihrer Mutter verglich sie stets meine schulischen Leistungen mit denen meiner Schulkameradinnen. Ich hatte – außer im Fach Mathematik, in dem ich meistens auf Note vier oder fünf stand – eher Zweier- und Dreiernoten als Einsernoten.
In der Schule und bei Schulaufgaben litt ich unter Konzentrationsstörungen und es gab kaum eine Mathematikarbeit, die ich nicht unter Tränen vor Angst (nämlich Angst vor den Schlägen und den niederträchtigen Bemerkungen zuhause) schrieb.
Ich erinnere mich sehr gut an meinen dritten und letzten Klinikaufenthalt (3. Hand-OP – kurz bevor ich das Gymnasium besuchte – zu diesem Zeitpunkt war ich elf Jahre alt) als meine Mutter vor meiner Einlieferung in die besagte Klinik einen Psychiater beauftragt hatte, der mit mir ein Gespräch führen sollte, weil ich ja so furchtbar eigenwillig und aggressiv sei. Der damalige Stationsarzt erzählte diesem Psychiater, dass meine Eltern gesagt hätten, ich sei so eigenwillig und aggressiv und er (der Psychiater) solle doch in einem Gespräch herausfinden, warum. Als ich den beiden Ärzten gegenübersaß, fühlte ich mich, als hätte ich sonst etwas „verbrochen“. Ich saß dort ängstlich auf meinem Stuhl mit schweißnassen Händen, übereinandergeschlagenen Beinen, ständig mit einem Fuß wippend und beantwortete mit weinerlicher Stimme seine Fragen, ob ich Schulfreundinnen hätte; eine Schwester hätte; die Schwester einen Teddybären hätte; was ich gerne in meiner Freizeit täte und wenn ich später einmal heiraten würde, welchen Beruf mein späterer Mann denn nicht haben solle. Auf diese letzte Frage antwortete ich mit Maler. Der Psychiater fragte mich, warum mein späterer Mann denn kein Maler sein solle. Ich antwortete ängstlich und mit weinerlicher Stimme, dass die nicht so sauber seien. Warum gab ich diese Antwort? Ich war in meinen jungen Jahren sozusagen durch das „Eintrichtern“ seitens meiner Großmutter regelrecht „gehirngewaschen“ (anders kann ich es heute nicht bezeichnen). Wenn ich mich bei ihr aufhielt „trichterte“ sie mir desöfteren ein: „S., heirate du später bloß(!) keinen Maler, hörst du!? Die haben ewig(!) schmutzige Hände. Die Maleranzüge sind immer so dreckig, die musst du ständig(!) waschen und dann bist du immer egalweg(!) am Bügeln. Komm du mir später bloß(!) nicht mit einem Maler an“!
Während dieses Gesprächs mit dem Stationsarzt und dem Psychiater, das ca. 1 Stunde bis 1,5 Stunden dauerte, hatte ich die ganze Zeit Angst vor diesen beiden Ärzten. Ja, ich hatte Angst, auch sie würden mich anschreien, beschimpfen und schlagen – so wie ich von meinen Eltern angeschrien, beschimpft und geschlagen wurde. Am liebsten hätte ich aber dem Stationsarzt und dem Psychiater erzählt, dass meine Eltern und manchmal auch meine Oma mich schlagen würden, dass meine Eltern und meine Oma immer so gemein zu mir seien und sagen würden, dass sie mich in Wirklichkeit gar nicht hätten haben wollen, dafür aber meine Schwester; dass ich dumm sei und dass ich dort gar nicht mehr zurück wolle und mir andere Eltern und eine andere Oma gewünscht hätte; dass ich mir Eltern gewünscht hätte, die mich hätten haben wollen und mich lieb hätten und auch eine Oma, die mich lieb hätte; ja, und dass ich oft sehr traurig sei. Dies traute ich mir aber nicht zu sagen, da ich davon ausging, das dürfte ich gar nicht sagen.
Auch kann ich mich nicht mehr an die anderen Fragen erinnern, die mir dieser Psychiater gestellt hatte.
Während des Gesprächs fragte mich der Psychiater mehrmals, warum ich denn beim Erzählen weinen würde. Obwohl mir selbst bewusst war, dass ich weinte, hatte ich dem Psychiater gegenüber mein Weinen geleugnet – aus Angst vor Schläge und Beschimpfungen sogar seitens dieses Psychiaters und des Stationsarztes.
Einige Wochen später bekam ich von meiner Mutter in bösem Ton zu hören, ich würde meinen Vater als ein Stück Dreck ansehen, weil er Maler sei und ich solle mir bloß nichts darauf einbilden, dass ich nun das Gymnasium besuchen würde.
Zu meinem 18. Geburtstag bekam ich neben zwar nett eingepackten Geschenken und Geld für den Führerschein eine von meiner Mutter verfasste Hausordnung.
Ich erinnere mich sehr gut an die niederträchtigen Kommentare meiner Mutter, wie z.B.: „Du bist ein Kindskotz.“; „Du bist und bleibst ein Trottel.“ ; „Du landest später noch einmal in der Gosse.“; „Was aus dir noch mal werden soll …?“; „Du siehst aus, als wenn du nicht bis drei zählen kannst.“; „Aus dir wird doch sowieso nichts.“; „Sprachen sind vielleicht mal gerade das Einzige, was du kannst. Bilde dir bloß(!) nichts darauf ein und bilde dir bloß(!) nichts darauf ein, dass du im Beruf mit Sprachen erfolgreich bist. Du wurdest doch in der Firma nur eingestellt, weil du denen leid tust. Wenn die aber dein wahres Gesicht kennen würden, hätten die dich gleich wieder an die Luft gesetzt.“; „Aaach S. …, Aaaaaach(!!!) S. …, über das was du dir alles „geleistet“ hast und was du alles getan hast, darüber könnte ich einen ganzen Wälzer(!) schreiben.“; „Dir(!) verpasse ich später einen Denkzettel, da kannst du Gift(!) drauf nehmen!“
Meinem damaligen Berufwunsch (ein Beruf mit Fremdsprachen) gab sie nur zähneknirschend nach. Die Ausbildung würde so viel Geld kosten, Vater würde dafür „krumbuckeln“ müssen und ob ich die Prüfungen schaffen würde, sei ja wohl dahingestellt, denn ich hätte ja auch vom Gymnasium auf die Realschule wechseln müssen, und dass ich die Prüfungen an der Höheren Handelsschule mit Erfolg bestanden hätte, sei ihr und Vater ein Rätsel. Ich bestand aber sämtliche meiner Prüfungen mit Erfolg, fand auch einen Arbeitsplatz und habe sogar Einser-Arbeitszeugnisse. Später als ich selbst verdiente, machte ich in einem Fernlehrgang eine Weiterbildung zur Übersetzerin – mit Erfolg. Meinen Eltern erzählte ich hiervon nichts, da ich wusste, sie würden sich sowieso nicht mit mir freuen.
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Es gab viele Momente in meinem Leben, in denen ich an mir selbst zweifelte, mir schon selbst nichts mehr zutraute, mir schon selbst die Schuld für das mir von meinen Eltern zugefügte Leid gab und schon selbst dachte, was bin ich doch für ein schlechter und dummer Mensch. Ja, ich fühlte mich minderwertig. Auch litt ich sehr oft unter Konzentrationsstörungen, weil ich in Gedanken sehr oft mit dem mir zugefügten Leid beschäftigt war. Ich hatte ja niemanden, dem ich Vertrauen hätte schenken können – nicht einmal meinem Großvater (mütterlicherseits), der zwar mitfühlend fragte, was mir denn Kummer bereiten würde, der mir aber nie beigestanden hatte, geschweige denn meinen Eltern Grenzen gesetzt hatte.
Ebensowenig traute ich mich, mich anderen Verwandten anzuvertrauen, wie z.B. meiner Tante (die Schwester meiner Mutter, die eine andere Persönlichkeit hat und warmherziger ist). Auch traute ich mich nicht, mich den Eltern meiner Schulkameradinnen oder Lehrern anzuvertrauen. Ich bin immer davon ausgegangen, dass meine Eltern dann noch grausamer zu mir sein würden. Oft sagten sowohl meine Eltern als auch meine Großmutter von Kindesbeinen an zu mir regelmäßig: „Wenn du irgendjemanden(!) was hier aus unserem Hause erzählst, dann kannst(!) du was erleben. Denk dran, wir haben ein Geschäft. Blamiere(!) uns nicht, sonst kriegen wir keine Aufträge mehr.“
Oft, sehr oft hatte ich mich danach gesehnt, mich einem lieben, mitfühlenden Menschen anvertrauen zu können – nach einer Schulter zum Ausweinen. Denn in meinem Elternhaus – einschließlich Großeltern – wurde ich meinem Schicksal allein überlassen. Wir wohnten mit 6 Personen in einem Haus, aber ich fühlte mich stets einsam und allein.
Meine Meinung, meine Pläne galten nichts – diese hätte ich zugunsten meiner Eltern, meiner Großmutter und meiner Schwester grundsätzlich hintanzustellen. Kommentare wie „Sei nicht immer so eigenwillig.“; „Du hast überhaupt kein Recht, dich nicht mehr bei uns sehen zu lassen.“; „Es ist doch wohl die Pflicht der Kinder, die Eltern zu besuchen und sich um diese zu kümmern, wenn diese Probleme haben. Eltern haben ja schließlich auch was für ihre Kinder getan.“ wurden mir nur so um die Ohren „gehauen“. Auch bedienten sich meine Mutter und meine Großmutter oft der emotionalen Erpressung im Sinne von „Wenn du nicht gleich artig bist, dann falle ich tot um.“; „Wenn du deine Mutti weiterhin so ärgerst, dann hast du sie nicht mehr lange.“; „Wenn mir was passiert, dann hast du(!) mich auf dem Gewissen.“; „Du siehst nur(!) dich und bist sowas(!) von ichbezogen, dass du die anderen gar nicht mehr siehst – du solltest dich was schämen!“
Oft, sehr oft fragte ich mich als bereits Erwachsene: „Darf ich, S., überhaupt glücklich sein? Darf ich einen eigenen Willen, eine eigene Meinung, ein eigenes Leben haben? Darf ich meine Pläne verwirklichen? Darf ich überhaupt Nein sagen oder bin ich egoistisch, wenn ich Nein sage und Grenzen setze? Darf ich das alles überhaupt, oder können meine Eltern, meine Großmutter und auch meine Schwester zusammen mit ihrem damaligen Mann mich per Gerichtsbeschluss zu weiteren Kontakten zwingen und per Gerichtsbeschluss dazu zwingen, dass ich meine Pläne zugunsten meiner Eltern, meiner Schwester und meiner Großmutter grundsätzlich hinanstelle?“
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Nachdem ich meine Mutter mit dem hier Geschilderten konfrontiert und ihr meine verletzten Gefühle (Gefühle der Wut und der Traurigkeit) mitgeteilt hatte, sagte sie nur, ich könne mich ja wohl nicht beschweren; ich hätte ja schließlich alles gehabt, wie z.B. die schönen Urlaube, die Hand-OP, den Schüleraustausch, die Klassenfahrten, ein schönes Zimmer, den Besuch der Fachschule für Fremdsprachen; sie und Vater hätten viel für mich getan; Vater hätte mir mit seinem Nachlass Gutes getan; sie könne und wolle sich nicht entschuldigen, da die Erziehungsmethoden früher nun einmal so gewesen seien; auch sie hätte sich ihrer Mutter anpassen müssen, da hätte sie keine andere Wahl gehabt, denn sonst wären wir damals als Familie von unseren Großeltern aus dem Haus geworfen worden; sie könne sich aufgrund ihres Schlaganfalls an vieles nicht mehr erinnern, was sie angeblich getan haben sollte und sie könne weder meinen Vater, meine Großmutter noch meinen Großvater fragen, da die ja nicht mehr leben täten; ich sei als Kind immer eigenwillig und aggressiv gewesen und hätte mich im Alter von 2 und 3 Jahren immer schreiend auf den Boden geschmissen, um meinen Willen durchzusetzen; A. hätte schließlich auch mal Schläge bekommen und die würde ihr auch keine Vorwürfe machen – im Gegenteil A. sei pflichtbewusst und immer lieb und nett zu ihr und kümmere sich um sie, weshalb A. sie später beerben würde und sie mir nur den Pflichtteil zugedacht hätte, weil ich ihr gegenüber überhaupt kein Pflichtbewusstsein hätte, mich nicht um sie gekümmern würde und sie nicht besucht hätte, als sie mit ihrem Schlaganfall in der Klinik gelegen hätte; sie hätte ihrer Mutter zu deren Lebzeiten auch so einiges vorwerfen können, aber sie hätte nach deren Tod damit abgeschlossen und würde nur im Hier und Jetzt und Heute leben, A. würde das genauso tun und ich sollte das ebenso tun und nicht immer in der Vergangenheit herumkramen; stattdessen solle ich an etwas Schönes denken und sie würde sich riesig freuen, wenn ich sie mal wieder besuchen käme und in einigen Monaten mit ihr ihren Geburtstag feiern würde, denn sie wüsste ja noch gar nicht, wie lange sie noch leben würde und ob ich schon mal daran gedacht hätte, wie alt sie schließlich sei. Abschließend teilte sie mir noch mit, dass meine Schwester inzwischen wieder – genau wie im Kleinkind- und im Grundschulalter – unter Neurodermitis leiden würde und einen Auswuchs an der Hand hätte, der operiert werden müsste. Drauf entgegnete ich meiner Mutter, dass die Neurodermitis meiner Schwester mit Sicherheit mit deren erfahrenen Misshandlungen zu tun habe. Die Antwort meiner Mutter: „Ach S., du hast doch was im Kopf. Du solltest mal zum Arzt gehen. Mensch(!) in ein paar Jahren wirst du 50 und dann kannst du doch nicht immer noch wieder alte Geschichten aus der Kiste kramen.“
Daraufhin war für mich das Gespräch mit meiner Mutter beendet.
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Ich weiß, dass ich auf dem richtigen Weg bin und mir weitere Kontakte zu meiner Mutter und auch zu meiner Schwester nicht gut tun. Denn ich kann dieses Die-Wahrheit-nicht-wissen-Wollen nicht mehr hören. Auch, kann ich dieses Gerede mit den Pflichten, dem Pflichtbewusstsein und Mich-kümmern-Müssen nicht mehr hören. Nein, ich kann es nicht mehr hören, denn ich bin nicht deren Leibeigene (wie meine Eltern, meine Großeltern und auch meine Schwester es nur zu gern gehabt hätten).
Grundsätzlich kümmere ich mich – ohne mich aufzuopfern – um die Menschen, die aufgrund ihres menschenfreundlichen Verhaltens meine Aufmerksamkeit verdienen.
Nochmals ganz recht herzlichen Dank Ihnen beiden für Ihre wichtige und wertvolle Arbeit. Und bleiben Sie beide gesund.
S.
AM: Vielen Dank für Ihren Brief. Er ist sehr viel länger als die Briefe, die wir veröffentlichen können, aber er enthält so viel Wahrheit und Einsicht in die Zusammenhänge, dass wir beschlossen haben, ihn zu drucken. Er wird zweifellos anderen Menschen helfen, ihren Mut zu finden und das SEHEN zu riskieren, wie Sie es getan haben. Der Ausgang Ihrer Geschichte zeigt, wie wichtig es für Ihr Leben und Ihre Gesundheit war, sich wirklich von diesen Monstern zu befreien und nicht, wie die meisten schwer misshandelten Kinder, lebenslang zu hoffen, die Eltern würden sich eines Tages ändern. Und alles begann damit, dass Ihre Eltern sie nicht wollten und ihren abgrundtiefen Hass auf Ihre Existenz an Ihnen abgeladen haben. Wie gut, dass Sie sich nicht mehr täuschen ließen. Ihr Kampf um Ihre Wahrheit und Ihre Beschreibung dieses Kampfes sind herzzerreissend. Ihre Hörstürze wundern mich nicht, wenn ich die Reden Ihrer Mutter lese. Die Hörstürze waren für das wehrlose Mädchen offenbar der einzige Schutz vor den schrecklichen Zeitbomben, die ihr die Mutter täglich mit den vergifteten Worten an den Kopf warf.