Das Kind als Heilbringer

Das Kind als Heilbringer
Saturday 03 October 2009

Liebe Frau Miller,
hier der neue Text:

Sie haben dich geblendet und blind gemacht und deine Blindheit ist deine stumme Scham, dass du an deiner Blindheit, wie an deiner Blendung selbst schuld hast. Sie haben dich beschuldigt und verletzt, jetzt schieben sie die Verantwortung von sich und dir dem Opfer zu. Dem Kind, das sich nicht wehren kann und niemand hat, der es bestätigt, in dem Verdacht, ein unschuldiges Kind von Anfang an gewesen zu sein. Die Schuld ist gefühlte Scham. Die Scham ernährt sich von sich selbst und allen anderen Beschämten; und wird von allen Blinden stets erneuert.

Ist das Kind die Ursache seiner Einsamkeit und seines Alleinseins und des Schmerzes: In die Welt geworfen sein. Ist das Kind selbst seine Einsamkeit?

Das Kind lernt von der Mutter Angst.

Die Mutter schämt sich für die Unbeholfenheit und Verletzlichkeit des eigenen Kindes. Sie schämt sich für die Verletzbarkeit, dafür dass sie nicht helfen kann, dem Kind in seiner Not. Sie schämt sich für ihre eigene Unfähigkeit und Not und schiebt dem Kind die Schuld dann zu. Sie schiebt die Schuld auf seine Äußerungen, nennt es Unmut, und Ungeduld, so sei doch nicht so ungeduldig, ich komme doch, sie schiebt es auf das kleine Kind, dass sie nicht weiß, was diesem Kind jetzt fehlt, sie schiebt es auf die Kleinheit dieses Kindes, auf sein „Unvermögen“ zu sprechen und zu sein, wie Mutter es gern hätte. Sie schiebt es auf die Sprache, auf die Schmerzenslaute ihres Kindes. Dein Schreien stört sie sehr, noch nie ein Kind gesehen und gehört das ähnlich schrie, noch nie ein Schreien so gehört. Das Kind zerspringt vor lauter Sprache förmlich aus dem Kopf und alles bleibt doch gleich, unerwidert, stumm. Die Mutter ist die stumme Frau, die nichts versteht, auf jede Äußerung des Kindes mit Schreck antwortet, und dann erstarrt und bleich, und dann in Panik rennt, das Kind am Boden lässt und aus dem Zimmer rennt, wohin, wo sie sich denken kann, was diesem Kind jetzt wieder fehlt. Die Mutter denkt sich alles aus. Sie denkt das Kind, das sie nicht kennt. Sie denkt sich aus, was diesem Kind jetzt fehlen könnte. Sie denkt sich ihre Sorge aus. So lässt sie dieses Kind allein, indem sie Sorgen denkt. Sie lässt dich stets allein, wenn Not dein Herz ergreift, wenn du dich wehren willst im Beisein deiner Eltern. Sie lässt dein Händchen los, erstarrt und lässt dich einsam sein. Du kannst dir nie erklären, was sie tut, wenn sie die Flucht vor dir ergreift und geht und dich in deinem Bettchen lässt.

Was regt die größte Wut, den größten Hunger nach Veränderung in dir dem Kind?

Das Gehen und das Schauen dann, beim Wiederkommen; als wäre nichts gewesen. Dass nichts von alledem was du erlebt hast, zählt. Dass kein Gefühl das deinen Mund verlässt, das deinen Kopf erhält, das in dir ist und deine Not beschreibt, das wahr im wahrsten Sinn des Wortes ist, in ihren Augen wiederkehrt. Dass nichts bestätigt wird von alledem, das du in dir geborgen hast und aus dir lässt, das dich verlässt und sagt und sagen soll, das ist nicht recht. Das ist nicht, was du brauchst und nötig hast. Kein Wunsch wird dir erfüllt. Kein Da und Da wird aufgehoben. Da ist kein Wunsch von dir dabei, in ihren Wünschen.

Das ist nicht wahr, sagt sie, die Stimme deiner Mutter, die Warnende. Das ist nicht wahr, wir haben stets das beste für dich getan. Das Kind versteckt sein Leid vor diesem Augenblick, der dich ermahnt. Du sollst jetzt absehen, von dem, was du „erfunden“ hast, was du dir „ausdenkst“ um deine Eltern nur zu ärgern. Du sollst jetzt endlich aufhören zu lügen. Das sagt sie dir ins Herz und deine Sinne zweifeln. Wie kannst du lügen, ohne dir bewusst zu sein. Wie kannst du lügen, wenn du keine Lügen kennst? Wie sollst du lügen können? Woher die Fähigkeit, was ist denn lügen überhaupt?

Die Mutter flieht in ihre Welt. Der Zorn den ihre Augen zeigen, verbreitet in dir Schrecken. Sie droht jetzt wieder mit Verwünschungen, was wäre, wenn ich ein für allemal jetzt geh, was würde sein, bei meinem Tod, was wäre dann, wenn auch dein Vater nie mehr wiederkehrt, wie auch sein Vater schon vorher. Was wäre wenn ich nie mehr wiederkommen. Was wäre, wenn du niemand hättest? Was wäre, wenn du niemand außer mir mehr hättest? Wenn dir niemand mehr bliebe. Wenn alle weg sind und vergessen und ich, die Mutter auch noch geht? Was wäre wenn? Sie spielt sich mit dir tot in ihrem Spiel der Spiele. Wer gibt jetzt auf, jetzt gleich und fängt nicht an. Wer hört jetzt endlich auf zu weinen und wer zu schreien auf. Wer hört mit seiner Wut jetzt endlich auf. Wer hört jetzt endlich auf zu pulvern. Wer gibt jetzt endlich Ruhe. Wer gibt jetzt endlich auf, damit die Mutter wieder kommt?

Das Kind hat keine Chance. Die Mutter redet laut mit sich und alles was sie sagt, das hörst du auch. Sie wünscht sich nun ein andres Kind, ein braveres, ein besseres, das besser folgt und seinen Eltern auch gehorcht, das endlich brav sein will, das sich erholt, das niemals krank sein wird, das niemals sich beschwert, das auch begreift, dass seine Mutter niemals eine schlechte Mutter ist. Ach wenn das Kind ein Mädchen wäre, denn Mädchen sind nicht schwer. Ach wenn das Kind ein Mädchen wäre.

Wenn jemand schnell stirbt, dann wünscht sich Mutter auch einen schnellen Tod. Einen schönen Tod. Von Anfang an, ist einer der Wünsche deiner Mutter, außer dass sie sich einen braven Jungen wünscht, ein schöner, schneller Tod. Das gefällt ihr und sie lacht dazu.

Du bist mit Wünschen konfrontiert, die du weder kennst, noch irgendwie verstehst. Warum will jemand sterben? Warum will deine Mutter einen schnellen Tod? Warum will sie weg sein und nicht hier sein und nicht bleiben?

Was sagt dir Mutter mit den Wünschen?

Dass sie weg will, weg von dir.

Das stimmt doch nicht. Ich werde immer für dich da sein, sagt sie dir als kleines Kind.

Das Kind ist ohne Wahl, es nimmt die Wünsche ernst und hält sie fest, und hält sich fest an ihnen fest.

Sie lügt.

Das stimmt doch nicht. Da sind die Lügen. Ihre Wünsche sind die Lügen deiner Träume, nach der Mutter die sich sorgt, und alles tut für dich. Ihre Wünsche sind Verwünschungen. Ihre Wünsche sind nur Träume die sie hat. Ihre Träume sind die Wünsche ihrer Mutter schon gewesen. Immer träumt sie sich zurück. Sagt dann, dass die Kindheit schön gewesen sei.

Wenn nur endlich Ruhe wäre. Wenn nur endlich einmal Ruhe wäre, sagt sie ein ums andere Mal. Wenn ich einmal tot sein werde, werde ich in Ruhe sein. Wirst schon sehen, was dann bleibt. Wirst schon einmal sehen. Dieser Grund in mir, ist die dunkle Welt. Hier erscheint kein Licht und keine Welt, die mir als Kind geholfen hat. Hier erscheint der Grund für alle Tode, die du sterben musst. Hier erscheint der Grund zur Flucht. In die dunkle Stadt allein. Fetzen treiben durch die Welt. Asche ist hier aufgeschichtet. Keine Leben. Hier erscheint die lebenslange Angst. Aus dem Tor der Rettung, kommt sie dir entgegen. Deine Mutter rettet sich, wenn sie stirbt. Wünscht sich, dass sie nicht mehr lebt, lebt sich in die Todeszone, bleibt dort ganz allein. Ruhe herrscht. Tag und Nacht ist Schlaf. Sie beschwört die Stille. Sie beschwört den Raum. Sie erschuf die Zeit, jene Helle, wenn sie kommt.

Kind bist du gewesen. Keine Ahnung hat dir aufgeholfen. Keine Spur von einer Rettung bleibt.

Dunkler Wunsch, wenn die Eltern sterben, du auch endlich sterben kannst. Und sie nicht mehr hoffen lehren. Lehrer bist du ihrer Hoffnung auch. Im Geheimen willst du ihre Hoffnung sein. Musst auch ihr Verständnis haben, musst auch ihr Verstehen sein. Musst auch alles wissen, was sie weiß, musst ihr beistehen und sie retten. Darfst ihr nie mehr böse sein. Sag nie mehr ein böses Wort. Kläre deine Sinne. Sage nur, was sie erfreut.

Das Kind ist nicht die Ursache seines Wunsches sich zu töten, seinem Leben ein Ende zu setzen, indem es seinem Leben und dem Leben seiner Eltern zum Trotz ein Ende setzen muss. Das Kind ist der Grund des Wunsches für seine Mutter und den Vater, die sagen, immer wieder über es, das Kind somit verwünschen und mit einem Fluch belegen, weil sie es verwünschen und verfluchen, weil sie es sich wieder weg wünschen. Sie wollen ein anderes Kind. Dieses hier, das du bist, wollen sie nicht mehr. Wenn sie dich zurückgeben könnten, würden sie das tun, sagen sie. Sie sagen, dass du ihnen schlaflose Nächte bereitest und Kopfzerbrechen, noch und noch, und Ärger machst, und schuld an ihrem Leben hast. Das Kind wird als Grund, als Oberfläche für den Wunsch der Eltern missbraucht, der Sinn für ihre Wünsche zu sein, die so alt sind wie das Kind, wie jedes Kind, wie sie einst Kinder waren. Die Träume der Eltern werden mit dem Erscheinen ihrer Kinder wach. Die alten Träume werden plötzlich wahr. Die Worte tauchen auf, wie aus dem Traum geborgen, wie einst ein Schatz mit alten Büchern, darin Geschichten von der Welt, als alles jung und noch nicht alt, als sie die Eltern Kinder waren und gewesen sind. Es tauchen Worte auf, die ihre Welt erschrecken, die sie im Kern der Mutterschaft und Vaterschaft erschrecken. Es tauchen plötzlich ihre Worte auf, die ihre Eltern einst verwandten und sie erschrecken dann und die einst zurückgehaltene Wut wird frei. Endlich, fühlen sie die Freiheit kommen, endlich bin ich auch ein Teil, der sagen kann, was Wahrheit ist. Die Wut der Eltern über ihre Eltern wird jetzt frei und in den Grund des Kindes eingegossen. Die Wut fließt in die Kinder unbehindert, es werden alle Träume wahr. Der Zorn, die Zornesröte darf jetzt endlich auch erblühen, das Kind gibt allen Grund dafür. Das Kind ist fruchtbar für die Eltern, die Unschuld, seine, ist das fruchtbarste.

Sie gießen in dich Tod und blinde Wut, sie gießen in dich Träume von Gewalt, sie schlagen in dich Schläge, die sie einst erfuhren. Sie schlagen dich für ihre Wunden, die ihre Eltern ihnen einst zufügten. Du kannst niemals die Eltern sehen, wie sie sind, du lernst nie ihre wahre Welt, du siehst sie durch die Augen ihrer Eltern und lernst sie kennen. Ihr Blick ist abgeschaut. Das Kind weiß nichts von alledem. Es leidet und erduldet ihre Taten. Das Kind erfährt die nackte Wahrheit jetzt, wo keine Wahl zur Rettung ist. Es sieht und spürt und hat den Schmerz und hungert ohne Wissen. Es ist der Schmerz, der in ihm ist. Ein Schrei, der nach sich sucht, der andere sucht, die ihn erwidern. Wie viel Einsamkeit kann ein Kind ertragen?

„Würden Sie lachen, wenn Sie ein Kind sähen, das seinen Kummer einer Wand anvertrauen muss, weil niemand anderer da ist?“

Alice Miller

Ein Kind kann nicht für sich verantwortlich sein. Das Kind ist nicht die Ursache seiner Einsamkeit und auch nicht seiner Angst, ebenso wenig wie es die Ursache seiner Gewalt sein kann. Ein Kind ist unschuldig. Es gibt keine Schuld in der Welt eines unschuldigen Kindes. Erst mit dem Erwachsenen fällt die Schuld mit dem Wort in das Kind. Kein Kind ist die Ursache von Schuld. Kein Kind hat sich die Eltern ausgesucht, die es bekommen hat. Kein Kind kann sich seine Eltern aussuchen. Kein Kind ist verantwortlich für die Schmerzen, die ihm von außen zugefügt und beigebracht werden. Kein Kind hat eine Wahl. Wer dem Kind eine Wahl zuspricht, beschuldigt das Kind für die Leiden selbst verantwortlich zu sein. Er gibt dem Kind die Schuld. Wer das Kind in seiner Unschuld nicht sieht und begreift, ist blind für den Schmerz, der mit dem Kind geboren wird und im Kind darauf wartet, bejaht zu werden. Das Kind wartet mit seinem Schmerz, dass einer kommt und sich ihm ebenbürtig zeigt.

Der Traum, den ich nie wörtlich nahm, der erste Alptraum, der die Frau am See mir zeigte, in mir erschuf ich sie, das Bild inmitten eines stillen Sees, erschreckt sie mich, am Ufer wandernd, stumm, und schaut mich an mit glühenden Augen, vor Zorn und Wut zugleich, aus Augen, die vom Himmel fallen, dich durch und durch erschaudernd. Du bist am Ufer für dich selbst, gefangen in der Stille und schaust sie nur im Halbblick an. Das ist der abgewandte Blick, den sie dir beigebracht haben, Vater, und besonders Mutter, wenn sie ihre Angst umtreibt und in dich treiben, in tiefer Nacht und dich erschreckt; am Stuhl ein Hemd ein Tuch, das dich erschreckt, sagt sie, das ist nicht wahr und lacht sich schief, dann kommt sie selbst und sinkt in dich, versenkt sich selbst mit ihrer Wut und treibt dich an. Sie zwingt dich hin zu sehen, sie zwingt dir ihre Worte, Pscht, Was ist da, jetzt kommt der schwarze Mann, wenn ich jetzt geh, dann bist du ganz allein. Sie zwingt dich dir und ihr zu glauben, dass sie der einzige Mensch ist, der dich am Ufer retten kann, notfalls mit Tod, mit Untergehen und Ertrinken, mit Abrutschen und ins tiefe Wasser gehen. Der Einsame, der Junge der ertrunken ist, der bist du auch, der dich erlösen hilft, dass alles, was sie sagt, die Wahrheit ist. Wie auch der Traum die Wahrheit ist, das Bild der Frau, das alles zeigt, so wie es für dich war: mit ihr allein, als Kind, so siehst du jetzt; sie ängstigt dich zu Tode und lässt dich dabei zusehen, wenn sie stirbt, und sterben will und untergeht, sie zwingt dich hin zu sehen. Sie selbst sieht niemals das, was sie da treibt. Als Ungeheuerlichkeit erscheint es dir, deshalb erblickst du sie mit halbem Blick, den du von ihr bekommen hast, du blickst vom halben Blick, den Schrecken weg und siehst sie an und wachst dann auf in höchster Angst und Not. Du hast sie angesehen und wusstest nicht, wie dir geschieht. Der Traum sagt dir: Sie ist das, die das Kind erschreckt. Sie mit den glühend heißen Augen.

„Ist das Kind die Ursache seiner Angst?“

Du rennst mit deiner Angst

zu ihr, der Mutter

bis du endlich fühlst

im tiefsten Inneren

dem ältesten Teil

wie sehr sie selbst,

die vermeintliche Retterin,

die Verursacherin deiner

Angst ist,

dass die Verursacherin

und „Retterin“ die ein

und selbe sind/ist

die Fremde

Frau

Du hältst dich an der

Vorstellung der Retterin

fest, dass sie die einzige

ist, die dich retten kann.

Das war ja so.

Sie war es ja

die einzige

Das stimmt ja auch.

Heilung ist die Beseitigung der Angst

doch ist sie, SIE diejenige

die deine Angst in dir erschuf,

und Sie die einzige

die verschwinden muss

endgültig, wenn deine Angst

in dir

zum Stillstand

endlich einmal kommen soll.

Denn Sie ist die Erschafferin

der Todesangst für dich.

Mit Wort und Bild und Tat

tatsächlich Tat.

Das ist es was das Kind verwirrt

unendlich peinigt auch:

Dass Sie es ist, die dich

beruhigt UND auch tödlich

ängstigt, mit dem Verlust,

indem Sie geht, wie sie es

will und kommt, wann sie es

will. Du bist allein gelassen

jetzt und immer dann, wenn Sie erscheint.

Sie ging nie weg für dich,

nur für sich selbst.

Weil sie sich fürchtete

Vor dir dem Kind,

und du warst keine Ursache;

für Sie warst du die Ursache,

das Kind, das Sie

in sich erschuf,

von sich verlassen,

einst Mutter

ebenso, die Angst auf sie

verfrachtete und übertrug.

Sie war die Ursache für dich

und ihre Mutter nun für sich.

„Die Frau am See“

Sie kommt zu dir und

weckt dich auf und

du erschrickst,

sie kommt zu dir, dass du/DU

die Angst beseitigst,

dass du ihr Kind, die

Angst, die sie entwickelt

ein für allemal verheilst.

Sie sieht in dir den Heilsbringer

sie setzt in dich die Heilsbringerei

für Ihre Angst vor Kindern allemal.

So hat sie es schon selbst einmal

erlebt, als sie wie du erschrocken ist,

vor jener Mutter, die sie schreckte, vor der sie selbst

erschrocken ist. Alleingelassen.

Das tote aufgebahrte Schwesterchen, von dem

Sie dir erzählte, die mit nur 6 Jahren

an Diphtherie verstarb, beschwört sie

heute noch in Weiß, und bleich im

Rüschenhemd, und in der Nacht in

einem Zimmer aufgebahrt, im Haus

der Eltern, dort bist du nie gewesen,

doch Mutter sieht dich zu sich heim,

mit dir an ihrer Seite sollst DU ihr IHRE

Angst wegnehmen und Beistand sein,

ein Kind das niemand je begleitet hat

in höchster Not und Seelenpein, soll Beistand

sein, für seine Mutter, Eltern, Welt,

damit die Angst vom Kind jetzt übernommen,

von den Eltern weicht.

Solange du nur bei ihr

und ihresgleichen Rettung

suchst, solange wird das

Kind in dir erschreckt;

für jedes Mal, bei jedem

Ruf in dir nach ihr,

wird dieses

arme Kind

erschreckt.

Nun hör jetzt auf,

die Rettung bei der

erschrockenen Erschreckerin

zu suchen

Dort findest du nur Schrecken

noch und noch und

jeder deiner Rufe

nach der Mutter

erneuert deine Angst

solange bis du spürst,

fühlen darfst, dass

sie es ist, die dich

tatsächlich zu Tode erschreckt hat,

immer wieder, und

dann als Retterin

hervorgetreten ist,

als wäre sie die Retterin.

Sie hat dich stets erschreckt

UM SICH zu retten,

ein ums andere Mal.

Es war für sie, und nicht für dich.

Sie wollte sich mit dir mit

Deinem Schrecken selbst erretten.

Deshalb bist du der, der sich selbst

erschreckt, erschrecken musste, um

selbst zu sehen, woher die Angst,

die dich von Anfang an gepeinigt

hat, gekommen ist. Wer dieser Gott,

der Angst und Schrecken in dir und anderen

verbreitet, ist. Mit seinem Gehen, und Verschwinden,

und Wiederkommen in deiner Vorstellung

und deiner Phantasie.

„Denn sie wissen nicht, was sie tun“

Weiß sie denn, was Sie tut?

Weiß er denn, was er tut?

Wissen sie/die Eltern, was sie tun?

Die Frage, die sich irgendwann das Kind stellt. Wissen meine Eltern, dass sie mir weh tun und schaden? Wissen sie, dass sie schreckhaft sind. Weiß Mutter, dass sie ängstlich ist? Weiß Mutter, dass sie mich zu Tode erschreckt? Weiß sie, was sie tut, weiß sie, was sie tut und unterlässt. Weiß sie, dass sie mich allein lässt? Weiß sie, dass ich leide?

Und wenn nein?

Was fühlt sie für dich?

Das Kind sucht nach mildernden Umständen für sich und sein Leid. Deswegen versucht das Kind, die Eltern zu verstehen und fragt und sagt sich, weiß meine Mutter, was sie tut, und mir schädlich ist und weh tut? Wenn sie es weiß, was dann? Weiß Eichmann, was er tut? Weißt du, was du da gemacht hast?

Das Kind sucht nach mildernden Umständen für die Taten der Eltern. Warum? Um sie zu behalten, um nicht allein zu sein. Um nicht allein zu sein, sucht das Kind nach mildernden Umständen, nach Ausreden, denn das schlimmste Gefühl das es gibt, ist ALLEIN für immer in einem Sarg zu stecken, und dass du dich nicht rühren kannst. Du suchst nach Rettungsgedanken, nach mildernden Umständen, für dich und dein Leid.

Du suchst nach Argumenten, nicht völlig allein zu sein, ohne einen Menschen, um nicht der einzige der atmet zu sein. Du erfindest Husten, damit dir der Husten Beistand ist, du erfindest Geräusche, damit du nicht so allein bist, du erfindest Hoffnung, damit du nicht so allein bist. Das Kind sucht nach mildernden Umständen. Für ihr Verhalten. Aber am See siehst du sie, und die Frau, die sagt: Tun sie das bitte nicht! Nachdem dich ein Kampfhund angefallen hat. Vater. Nachdem er dich angefallen und ebenso schnell wieder fallengelassen, von dir abgelassen hat und verschwunden ist. Vater kommt und geht, wie ein Besucher. Du wolltest den Hund streicheln, aber soweit bist du nicht gekommen. Du hast auf deine Hose geklopft, damit er näher kommt. Daraufhin hat sie gesagt: Tun sie das bitte nicht! Sie will nicht, dass du dich um deine Angst selbst kümmerst. Das will sie nicht. Sie will auch nicht, dass deine Angst vor deinem Vater weniger wird. Sie will nicht, dass sich die Angst verschmälert und deine Distanz zum Vater geringer wird. Sie lässt dich nicht zu ihm, auch wenn du es mit Zärtlichkeit versuchst. Du willst deine Umstände verbessern.

Das will sie nicht.

Vom Sinn des Kampfes, den Kampf aufgeben, vom sinnlosen Kampf.

Der sinnlose Kampf ist, die Anderen, alle, zu verändern, wollen. Der Teilerfolg hat katastrophale Folgen für das Kind, weil er das Ungeheuer, das Ungeheuerliche schmälert, selbst in deinem eigenen Herzen, glaubst du dir nicht mehr, was du siehst. Der gute Vater ist eine Katastrophe für das wehe Herz. Der plötzlich Andere, reißt dich entzwei, der kranke stumme Vater, der leidet. Das war die Mutter nie, sie ist stets krank gewesen, geisteskrank und körperlich. Der kranke Vater zwingt dich aufzugeben, den Wut- Zorn- Krieg aufzugeben, und ihm dem Vater zu verzeihen. Deine Angst vor ihm und seinem Verschwinden, nötigt dir die Zuneigung ab. Du schämst dich selbst vor deiner angedeuteten Art. Du schämst dich, keine Liebe für ihn zu haben.

Du schämst dich. Sie wollen keine „bösen“ Kinder haben.

Sie war nie da.

Du hast alles erdenkliche getan, gedacht, dass sie sich bessert. Du hast alles getan, versucht gedacht, getan, dass sich deine Situation bessert, du hast alles getan was, ein Kind tun kann, du suchst nach einem Weg der Besserung, und später, um nicht an jene Einsamkeit erinnert zu werden, in der du dir die Schuld dafür gegeben hast, überlegst du dir auch für deine Eltern, die Täter, mildernde Umstände. Du tust also immer noch das, was du als kleines Kind getan hast, du phantasierst dich aus dem Alleinsein heraus.

Wenn du aufhörst nach mildernden Umständen zu suchen, aufhörst dich selbst nach Rettung umzuhören, öffnet sich das Tor, das Gefühl der Einsamkeit, die Wahrheit des Kindes: Allein mit dir. Allein mit einer Toten; allein mit einer Toten.

Die Verwandlung ist bei Kafka noch ein Weg.

Der Hungerkünstler nicht mehr. Der Hungerkünstler gibt auf, er verzichtet für sich auf mildernde Umstände. Oder?

Mildernde Umstände für den Schmerz, der sich zeigen will. Wegschauen. Warum schaust du weg, warum willst du wegschauen? Du suchst nach mildernden Umständen, nach Besserung, nach einer Illusion. Du hast Verständnis für das Wegschauen. Du suchst nach mildernden Umständen, um nicht an jene Einsamkeit erinnert zu werden, in die dein Kind geworfen worden ist. Es wurde der Einsamkeit ausgesetzt. Das ausgesetzte Kind, allein mit seinem Leid und Weinen. Allein in seiner Welt.

Was tust du wenn du wegschaust?

Du suchst nach mildernden Umständen. Das hast du, das musstest du von ihr lernen, und das war das Schreckliche, von dir selbst wegzuschauen, wegschauen zu müssen; deinen eigenen Schmerz wegschauen zu müssen.

Ein Kind das leiden muss, das bösen ungeheuerlichen Eltern ausgesetzt ist, lernt nichts mehr als ununterbrochen nach mildernden Umständen Ausschau zu halten.

Was tut das Kind, was muss das Kind machen, das einer feindlichen Umwelt ausgesetzt ist, wehrlos ausgesetzt ist, und nicht einmal weinen und fühlen und sich einsam fühlen darf? Es sucht nach mildernden Umständen. Das Kind, jedes Kind sucht instinktiv nach mildernden Umständen. Es versucht seinen Schmerz wieder loszuwerden. Dieses Kind ist den ganzen Tag, sein Leben lang bemüht, die Angst zu schmälern und für sich mildernde Umstände zu finden. Dieses Kind erfindet die Illusion, dass nichts so ist, so weh tut, wie es weh tut. Das Schwierigste für so ein Kind ist, die Illusion als Erwachsener zu sehen und wieder loszuwerden. Es sucht mildernde Umstände, es muss, das Kind muss selbst, sich selbst mildernde Umstände ausdenken, weil niemand da ist, der das Kind in seinem Schmerz erkennt und unterstützt und somit tröstet. Weil niemand da ist, der ein Zeuge ist, der dieses Kind in seiner Not auffängt. Deshalb muss das Kind wegschauen und sich somit helfen.

Das Peinigende, dass ich für mich allein, alleingelassen in Schmerz und Not mir mildernde Umstände suchen musste, erschrak, und dass die Eltern für ihre Taten und Versäumnisse auch noch von mir, dem Kind, an dem sie sich nach Belieben austoben konnten, auch noch stets von mir mildernde Umstände einforderten. Sie forderten Verzeihung und Vergebung; und das Kind war ganz allein.

Sie schauten einerseits weg, wenn mir etwas fehlte, in der Not alleingelassen, und andererseits forderten sie Wegschauen, förderten es, die Nachsicht, Wegsicht, wenn sie etwas getan hatten, das mich, das Kind zu Tränen rührte. Sie verhinderten die Wut zu ihren Gunsten.

Die Umstände mildern, indem du die Eltern milderst, ihre Taten, indem du unaufhörlich für deine Eltern, für ihre Taten mildernde Umstände suchst, findest, erfindest. Das Wegschauen zur Tugend machen, aus Schmerz, damit Hoffnung entsteht, du machst dir Hoffnung, indem du versuchst die Umstände zu mildern.

Du lernst und bist ganz stolz auf dein Gelerntes und dann erschreckt dich deine Hilflosigkeit, weil niemand dein Gelerntes mag. Weil sie nicht mögen, was du doch von ihnen hast, was sie dich doch gelehrt haben. Du bist so einsam mit deinem Wissen über sie, weil sie nichts von dem mögen und wiederhaben wollen, was du weißt.

Du suchst von Anfang an mildernde Umstände und du erkennst und siehst und du erzählst dir davon, und plötzlich hörst du, wird dir bedeutet, dass du das nicht tun sollst, dir den Kopf für die Anderen, den Kopf der Anderen zu zerbrechen. Ich kümmere mich schon um mich selbst, sagt Vater. Du musst dir nicht meinen Kopf zerbrechen, kümmere du dich ruhig um dich selbst, sagt er. Als wollte er nicht, dass ein Kind nach Möglichkeiten sucht. Ihm auf die Spur zu kommen. Alles was ich lerne und was mir hilft, helfen würde, wenn ich auf die Eltern schaue, mögen diese nicht. Sie weisen dich zurecht. Dein Lernen ist nicht angesagt und nicht erwünscht. Sie wollen nicht erzogen werden. Sie erziehen gern und wollen nie erzogen werden. Du lernst von ihnen und erkennst und willst jetzt deinerseits erziehen, doch sie verwehren sich dagegen.

Du darfst nicht, was die andern tun. Warum? Weil ich es sage, bedeutet dir dein Vater und die Mutter.

Die mildernden Umstände gelten nur für sie, für deine Eltern. Für Täter, für Opfer nie. Das haben alle Täter so gelernt und auch dem Opfer beigebracht, dass ihre Sicht der Opferrolle, nicht ihre Aufgabe ist, nicht ihr Belang. Die Eltern wehren sich erkannt zu werden.

Sie wollen nichts von dir und dem, was du erkannt hast. Sie wollen dein Gefühl, das du für sie entwickelst, nicht, und auch dein Weinen nicht.

Der Spiegel ist für sie nicht angenehm. Sie wollen keine Spiegel. Jetzt sieht dein Vater dich und sich, erschreckt sich selbst.

Das Enttäuschende, dass niemals jemand etwas von dem, was ich erlernte und mir mühsam beibrachte, haben wollte, dass niemand etwas von mir, meine Wahrheit haben wollte. Sie wollten sie nicht hören. Sie wollten niemals meine wahren Gefühle sehen, hören, spüren, und auch nicht mit mir teilen.

Dass niemand von alledem, das in mir war, das in jedem Kind ist, mir lassen wollte, dass niemand das, was ich erlernte, von meinen Eltern haben wollte, dass sie niemals mein Lernen für gut befunden haben, und ganz im Gegenteil, dass alles, was ich fand fatalerweise an ihre Ängste rührte, sie und ihre Angst antrieb. Dass nichts von alledem, das ich als Kind für mich entdeckte, für einen von den Eltern eine Freude war.

Sie mochten meine Sicht der Dinge nicht, wie ich sie sah, anschaute. Sie mochten nicht, wie ich sie sah, wenn ich die Augen, ihre, Vater/Mutter sah, und ich erschrak. Sie mochten nicht, dass ich erschrak, beim Angesicht der Mutter meiner Mutter, beim Sehen seiner eigenen Mutter schrie ich auf. Ich sah, erkannte ihre Leiden und sah es ihren Müttern an, was sie für ihre Kinder waren, der Schrecken, der Schrecken ihrer Kindheit; auch.

Dass niemand meine Liebesfähigkeit des Kindes erkennen wollte, dass niemand meine Liebesfähigkeit von mir, dem kleinen Kind, erkannt hat.

Dass niemand mein Bemühen, die Welt erträglich zu gestalten, als Liebe zu den Menschen hin erkennen konnte. Als Versuch die Menschen trotzdem zu lieben. Der Liebe trotzig doch die Treue halten.

Der Eigenliebe endlich wütend doch zum Ausgang zu verhelfen.

Niemand will das, niemand ist da, der deine Umstände mildert, der deinen Schmerz erkennt und deine Tränen trocknet. Dich tröstet, wenn du einsam und allein bist.

Es ist sehr wichtig für die Wahrheit des Kindes, dass Du als Erwachsener erkennst, dass niemand da war. Keiner, der sich für das Kind und seine Besserung eingesetzt hat. Es ist sehr wichtig, dass das Kind jetzt weiß, dass es völlig allein gewesen ist und dass sein Rettungsdenken nur eine Illusion gewesen ist, um sein Überleben zu ermöglichen. Das Kind weiß jetzt, dass es selbst sein eigenes Leben gerettet hat. Das heißt, dass das Kind alles getan hat, was in seiner Macht stand. Das Kind hat nichts unversucht gelassen, um sich zu retten. Das ist sein Erfolg. Allein überlebt zu haben. Dieses Kind braucht jetzt keine Illusionen mehr. Dieses Kind ist frei.

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AM: Die Idee, dass die Eltern im Kind den Heilbringer für ihre Not erwarten, hat mir sehr eingeleuchtet. Die Erwartung, dass das Kind sie endlich aus ihrer Not erlöst, kann eventuell zu Misshandlungen führen, weil das Kind nicht so funktionieren kann, wie sie es möchten. Manche Kinder versuchen es und zerbrechen daran, manche haben gar keine Möglichkeit, dies zu tun. Doch was auch immer das Kind tut, es kann niemals die Bedürfnisse der Eltern erfüllen. So erntet es Feindseligkeit, wenn die Eltern die Leiden des Kindes leugnen.
Sie schreiben auch, dass manche Eltern ihre Kinder fürchten. Das ergibt sich natürlich aus der Tatsache, dass sie die Angst vor ihren eigenen Eltern auf das Kind projizieren. Sie leugnen ihr früheres Leiden, aber leiden in der Gegenwart an den eigenen Kindern. Kein Wunder, dass oberflächliche Erziehungsratschläge, die diese Dimension ignorieren, keinen Erfolg haben.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet