Wunderbar

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Wednesday 30 January 2008

Liebe Frau Miller
Gestern stiess ich auf Ihre Website. Ihre Texte sind unglaublich tiefgründig und für mich enorm gut verständlich. Fast alles kommt meinen eigenen Erfahrungen und Erkenntnissen extrem nahe. Gerne schreibe ich Ihnen eine umfassende Reaktion zu Ihren fundierten Erkenntnissen und Aussagen, die von solch grosser Bedeutung für die Gesellschaft sind. Nur so viel für den Moment: Seit 2001 (seit mir eine Psychologin einer Grossfirma einen ungeheuerlich anmutenden Tipp gab) analysiere ich mich selbst, mit Nachforschungen in meiner Kindheit und der Lektüre von Büchern (Verfasser u.a.: Schultz-Hencke, Riemann, Richter…). Ich weiss zwar immer mehr, komme aber dennoch nicht richtig weiter. Ganz offensichtlich fehlte mir bisher ein „Zeuge“, wie Sie das nennen. Zudem fiel ich Anfang Dezember 2007 in eine schwere Depression mit begleitenden Extrasystolen, Dann kam wieder diese panische Angst. Der sehr verständige – und lange zuhörende – Hausarzt empfahl mir einen Psychotherapeuten. Jetzt habe ich drei Stunden hinter mir.
Ihre Meinung zur Psychotherapie-Praxis der heutigen Zeit hat mich sensibilisiert, Ich werde Ihre Vorschläge dazu ernst nehmen.
Ich habe keine Ahnung, in welcher Form mein Text bei Ihnen ankommt. Deshalb schreibe ich mit dem Wunsch nach Diskretion mit einem Kürzel. Auf jeden Fall würde ich gerne etwas mehr über meine persönliche Geschichte verlauten lassen; auch einige Fragen habe ich an Sie.
Herzliche Grüsse, verbunden mit grossem Dank für Ihre wertvolle Arbeit
ES

AM: Wenn ich Therapeuten kennen würde, die Respekt genug hätten, um Ihre Fragen zu beantworten; die frei genug wären, um ihre Empörung über das zu zeigen, was Ihre Eltern Ihnen angetan haben; empathisch genug, wenn die seit Jahrzehnten in Ihrem Körper angestaute Wut es braucht, frei zu werden und von Ihnen ausgedrückt zu werden; weise genug, um Ihnen nicht Vergessen, Vergebung, Meditation und positives Denken zu predigen; ehrlich genug, um Ihnen nicht leere Worte wie Spiritualität anzubieten, wenn sie vor ihrer eigenen Geschichte Angst haben, und die nicht Ihre lebenslangen Schuldgefühle noch vergrößern – dann wäre es mir mit Sicherheit eine Freude, Ihnen ihre Namen, Adressen und Telefonnummern zu geben.
Leider kenne ich sie nicht, doch ich möchte immer noch hoffen, dass es sie gibt. Wenn ich jedoch im Internet nach ihnen suche, dann finde ich jede Menge esoterischer und religiöser Angebote, sehr viel Verleugnung, kommerzielle Interessen, traditionelle Fallen, jedoch ganz und gar nicht das, wonach ich suche. Aus diesem Grund gab ich Ihnen mit meiner FAQ Liste ein Werkzeug, damit Sie Ihre eigenen Forschungen anstellen können. Wenn ein Therapeut sich weigert, Ihre Fragen von Anfang an zu beantworten, dann können Sie sicher sein, dass Sie Zeit und Geld sparen, wenn Sie ihn verlassen. Wenn Sie es aus Angst vor Ihren Eltern nicht wagen, Ihre Fragen zu stellen, mag Ihre Angst höchst verständlich sein. Es könnte allerdings nützlich sein, es dennoch zu versuchen, weil Ihre Fragen wichtig sind und Sie nur gewinnen können, wenn Sie den Mut haben, sie zu äussern.

Ein neues Buch von Alice Miller, Jenseits der Tabus, 2009, exclusiv im Internet