Projektion auf wissende Zeugin

Projektion auf wissende Zeugin
Wednesday 03 October 2007

Hallo,

ich habe mich recht ausführlich mit der schwarzen Pädagogik auseinandergesetzt und fast alle Ihre Bücher gelesen.

Meine eigene Erziehung war ohne Liebe, dafür mit viel Strafe (Schläge). Mit 16 Jahren bekam ich meine Tochter. Der Vater ging vor der Geburt ins Ausland und hat sich bis heute nicht zum Kind bekannt. Ich selbst habe in den ersten 5 Monaten der Schwangerschaft ständig gelogen nicht schwanger zu sein. Ich hatte einfach Angst und verdrängte die Tatsachen.
Bis Mitte 30 wollte mein Vater (mit Unterstützung von meiner Mutter und meiner Schwester) mir vorschreiben, wie ich zu leben habe. Ich machte Therapie aufgrund Depressionen und löste mich von Eltern und Schwester. Dies hatte zur Folge, dass meine Tochter sich von mir abwandte (weil meine Mutter unter der Trennung und weil ich ja nicht mehr funktionierte litt). Da war sie 19 Jahre alt. Ich wollte sie nicht gegen meine Familie aufhetzen da sie für meine Tochter ja auch wichtige Personen waren. Ich ließ die Situation hilflos zu und wurde schwer depressiv.

Nun zum eigentlichen Thema. Inzwischen habe ich mit meinem Vater ein gutes Verhältnis aufgebaut. Nichts ist vergessen, doch wir müssen und wollen uns nichts mehr vorwerfen. Unser Umgang ist sehr gut. Doch meine Schwester (5 Jahre jünger) hat ihre schlimme Kindheit voll auf mich projeziert. Ich sei Schuld. Aufgrund meines negativen Verhaltens in der Kindheit hätten die Eltern sie kaum wahrgenommen. Das ist die Sicht meiner Schwester. Für mich fühlte es sich anders an.
Hinzu kommt, dass ich mich nicht um unsere Mutter kümmerte als diese 2002 starb. Ich hatte ja abgeschlossen mit den Dreien. Meine Schwester ist nun eifersüchtig, neidisch, wütend und ich weiß nicht noch was. Dabei war ich damals immer für sie da. Habe ihr in der Pubertät beigestanden, über alles geredet etc. War zu der Zeit also ihr „wissender Zeuge“. Doch nach meiner Ansicht projeziert meine Schwester alles negative aus der Kindheit auf meine Person, damit sie sich nicht mit den Erziehungsfehlern unserer Eltern und den Auswirkungen auseinandersetzen muss.
Nun ist es so, dass meine Schwester weiterhin meine (inzwischen 31-jährige) Tochter gegen mich aufhetzt. Ich bin für sie immer noch das schwarze Schaf in der Familie. Da keine Aufarbeitung der Geschichte bei meiner Schwester in Sicht ist, ist auch keine Möglichkeit zur Verbesserung des Kontaktes mit meiner Tochter. Zusätzlich wirft mir meine Tochter immer noch ihre Entstehungsgeschichte vor.
Leider habe ich noch keinen Weg gefunden mit meiner Tochter wieder ein normales Verhältnis aufzubauen.

Über einen Kommentar oder eine hilfreiche Anregung würde ich mich sehr freuen.

Mit freundlichen Grüßen, A. S.

AM: Es geschieht häufig, dass eine jüngere Schwester, die viel Verständnis von der älteren erhalten hatte, diese später stellvertretend mit Hass überhäuft, um die Eltern von ihren Vorwürfen zu verschonen. Weil die Schwester ihr vielleicht Liebe gegeben hat, braucht sie nicht angst vor ihr zu haben. Bei den Eltern darf sie auf keinen Fall ihre Wut zeigen. Es ist sicher sehr schmerzhaft für Sie, dass sich Ihre Tochter so beeinflussen lässt. Vielleicht müssen Sie Ihre Illusionen aufgeben, keine Dankbarkeit mehr erwarten und sich deutlicher von Ihrer Schwester distanzieren, wenn kein konstruktives Gespräch mehr möglich ist.

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